Am 27 Kilometer langen ringförmigen Tunnel 100 Meter unter der Erde im schweizerisch-französischen Grenzgebiet bei Genf müssen neue Tunnelstücke angebaut werden. Bald sind bei der schon jetzt grössten Forschungsanlage der Welt deshalb wieder Bagger und Bohrmaschinen am Werk.
Der Startschuss für das HiLumi-LHC-Projekt – von «High Luminosity», etwa: «hohe Leistungsfähigkeit» – ist am heutigen 15. Juni gefallen. Dazu kommen weitere Ausbauprojekte. Gesamtinvestitionen: fast eine Milliarde Euro.
Alles dreht sich bei der Europäischen Organisation für Kernforschung (Cern) um die Kollisionen, die die Physiker erzeugen, wenn sie Protonen in entgegengesetzter Richtung durch den 27 Kilometer langen Tunnel schiessen. Unterwegs sind in der Röhre Trillionen von Protonen, von denen jedes einzelne pro Sekunde 11'000 Runden dreht.
Die Forscher bringen sie an bestimmten Stellen zur Kollision und simulieren damit die ersten Nanosekunden nach dem Urknall. Sie wollen unbekannte Elementarteilchen aufspüren, um bislang ungelöste Geheimnisse des Universums zu erklären.
Der Beschleuniger schafft heute eine Milliarde Protonenkollisionen in der Sekunde. Aber das reicht den Physikern nicht. Sie wollen mindestens fünf Milliarden Kollisionen erreichen. Dafür sollen zum einen mehr Protonen zirkulieren, und der Zusammenstoss soll künftig auf acht statt 16 Mikrometer fokussiert werden, um die Chance von Kollisionen zu erhöhen. Acht Mikrometer entspricht 0,008 Millimeter.
Es ist wie bei einer Hausrenovierung. Man baut eine neue Heizung ein, die effizienter ist, aber um mehr zu heizen, braucht man mehr Holz und entsprechend grössere Keller.
Der Beschleuniger soll 2025 viel leistungsstärkere Magneten haben, und es sollen mehr Protonen auf Kollisionskurs gebracht werden. Dafür muss nun gebohrt und getunnelt werden.
Oliver Brüning ist Vize-Projektleiter und sagt: «Es ist wie bei einer Hausrenovierung. Man baut eine neue Heizung ein, die effizienter ist, aber um mehr zu heizen, braucht man mehr Holz und entsprechend grössere Keller.»
Nur sind die Herausforderungen am Cern eine Nummer grösser: Die Physiker, die mit dem Beschleuniger in noch unbekannte Materie vorstossen wollen, haben so ehrgeizige Pläne, das vieles von dem nötigen Material für die Bauteile erst entwickelt werden muss.
Die Halle in Prévessin im französisch-schweizerischen Grenzgebiet, in der viele Vorbereitungsarbeiten für den Ausbau des LHC laufen, gleicht einer ganz normalen Werkstatt. Es gibt riesige Kabelspulen, Schläuche, Metallzylinder, Werkbänke, Pressen, Schrauben und Mutternschlüssel in allen Grössen. An den Wänden hängen Baupläne. Mitarbeiter schrauben, messen, probieren, justieren. Die neuen Kabel und Magneten müssen deutlich leistungsfähiger sein als bislang.
Weil die Magnete stärkere Magnetfelder erzeugen sollen, mussten die Cern-Spezialisten erst Kabel entwickeln, die das aushalten können. Auch für den Stromtransport von der Steckdose zu den Magneten schufen sie Kabel aus neuen Materialen, in diesem Fall Magnesium2Borite, einem selbst bei hohen Temperaturen superleitenden Material. Damit kann der Energieverbrauch für den Betrieb der Magnete gedrosselt werden. «Das ist auch für die Industrie interessant», sagt Brüning.
Die neuen Tunnel in 100 Metern Tiefe können nur gebohrt werden, wenn der Beschleuniger still steht. Die Vibrationen der Bohrmaschinen würden die sensiblen Instrumente stören. Deshalb beginnen die Bauarbeiten jetzt schon einmal an der Erdoberfläche, denn der Beschleuniger wird im Dezember für eine zweijährige Routine-Wartung abgeschaltet.
2021 startet er noch einmal im «alten» Modus. Ab 2025 sollen alle neuen Kabel, Magneten und Messinstrumente installiert sein, damit der Super-Beschleuniger dann 2026 an den Start gehen kann.