Wer Auskunft über seine Daten beim Nachrichtendienst des Bundes will, muss damit rechnen, dass sein Gesuch aufgeschoben wird. Das werde immer häufiger gemacht, sagt Viktor Györffy, der Rechtsanwalt und Präsident des Vereins grundrechte.ch. «Das scheint mittlerweile fast das Standardprozedere beim Nachrichtendienst zu sein. Aber es ist meines Erachtens nicht korrekt», so Györffy.
Es lasse die Leute mit einer Unsicherheit darüber zurück, ob sie nun verzeichnet seien oder nicht, sagt der Rechtsanwalt. Und gerade bei politisch aktiven Leuten könne das dazu führen, dass sie sich gar nicht mehr zu engagieren wagen würden.
Die Bearbeitung der Gesuche durch den NDB beurteilen wir als richtig.
Jemand, der eine Demonstration organisiere – beispielsweise für das Klima oder die Aufnahme von Flüchtlingen – werde wegen der Unklarheit daran gehindert, weiter aktiv zu sein. Unklarheit führe also zu Selbstzensur, um nicht ins Visier der Überwachung zu geraten.
«Ausserordentlich hohe Anzahl Gesuche»
Im Jahr 2019 gingen beim Nachrichtendienst rund 850 Auskunftsgesuche ein, knapp 750 wurden aufgeschoben. Auch 2020 wurden die allermeisten Gesuche aufgeschoben. So steht es im Jahresbericht der Aufsichtsbehörde über den Nachrichtendienst. Deren Leiter, Thomas Fritschi, sagt, die Aufschübe seien gesetzeskonform: «Es ist kein Problem. Die Bearbeitung der Gesuche durch den NDB beurteilen wir als richtig.»
Der Nachrichtendienst NDB schreibt auf Anfrage von SRF, dass er 2019 und 2020 mit einer ausserordentlich hohen Anzahl von Auskunftsgesuchen konfrontiert worden sei. Weshalb die Gesuche aufgeschoben und nicht beantwortet werden, begründet der NDB folgendermassen:
«Der NDB kann die Antwort aufschieben, wenn die Bedingungen dafür erfüllt sind. Der NDB schiebt die Auskunft auf,
- wenn überwiegende Interessen an einer Geheimhaltung bestehen;
- wenn und soweit es wegen überwiegender Interessen Dritter erforderlich ist; oder
- wenn über die gesuchstellende Person keine Daten bearbeitet werden.»
Das heisst, es werden auch Gesuche aufgeschoben, von Personen, die nicht erfasst sind. Dazu schreibt der NDB: «Der Aufschub der Auskunft in Fällen, in denen über die gesuchstellende Person keine Daten bearbeitet werden, entspricht dem Willen des Gesetzgebers. Die Bestimmung muss vom NDB angewendet werden.»
Nach 3 Jahren muss Antwort kommen
Aufgeschoben ist aber nicht aufgehoben: Spätestens nach drei Jahren muss der Nachrichtendienst ein Gesuch beantworten, sofern die Person nicht erfasst ist.
Aus Sicht des Nachrichtendienstes macht der Aufschub allerdings Sinn: Teilt er allen, die nicht erfasst sind, dies mit, wissen alle, die erfasst sind, auch Bescheid. Beispielsweise auch Terroristen und Terroristinnen.
Hier löst man ein Problem auf dem Buckel von unbescholtenen Personen und Organisationen.
Das ist sich auch Viktor Györffy bewusst: «Das Problem daran ist, dass man hier ein Problem, das man mit einem mutmasslichen Terroristen hat – dem man die Auskunft verständlicherweise nicht geben kann – auf dem Buckel aller unbescholtenen Personen und Organisationen löst. Und das geht nicht.»
Zudem stört sich der Verein daran, dass es kaum Möglichkeiten gibt, sich gegen einen Aufschub zu wehren. Da müsse der NDB seine Praxis ändern.
«Handlungsbedarf erkannt»
Das sich etwas ändern muss, sieht auch Thomas Fritschi, der Leiter der Aufsichtsbehörde: «Der Handlungsbedarf ist von verschiedenen Seiten erkannt. Und die entsprechenden Arbeiten sind an die Hand genommen.» Dazu bräuchte es allerdings eine Gesetzesänderung und den politischen Willen dazu.