Im Nordosten der Ukraine toben erbitterte Gefechte entlang einer neuen Frontlinie, nur 20 Kilometer von der zweitgrössten Stadt Charkiw entfernt. «Die Stadt einzunehmen, wird nicht einfach, selbst für Putin», sagt Margarita Antoni, welche dem Ukrainischen Verein Schweiz angehört. Hier führe man Krieg wie in Mariupol oder Aleppo, fügt sie hinzu.
«In der Nacht ist Charkiw stockdunkel», berichtet SRF-Ukraine- und Russlandkorrespondent David Nauer, der das Gebiet vor einem Monat bereiste.
Die Frage bleibt: Ist die Stadt im «Würgegriff der Russen», wie Alt-Botschafter Toni Frisch beschreibt? Oder handelt es sich um ein «mögliches Täuschungsmanöver», wie der Experte für Sicherheitspolitik Georg Häsler mutmasst? Unstrittig ist: Russland hat die Initiative übernommen und das Momentum auf seiner Seite.
Weltpolitik auf dem Bürgenstock
Während die Ukraine ums Überleben kämpft und Russland eine zuvor angekündigte Atomwaffenübung nahe der Ukraine beginnt, bereitet die Schweiz ein beispielloses Treffen vor: Am 15. und 16. Juni versammeln sich Staats- und Regierungschefs aus aller Welt auf dem Bürgenstock, um Weichen für den Frieden zu stellen.
An das Treffen sind grosse Hoffnungen geknüpft. Doch Alt-Botschafter Frisch dämpft die Erwartungen: «Es ist gut, dass das Treffen stattfindet, aber man sollte weder von Frieden noch von Gipfel reden», warnt er. Frieden sei noch in weiter Ferne, aber das Treffen könne ein erster kleiner Schritt dahin sein.
Politikprofessor und Swisspeace-Direktor Laurent Goetschel stimmt zu, dass es ein erster Schritt in Richtung Frieden ist: «Einen Versuch ist es allemal wert.» Insbesondere, wenn Länder wie Indien beteiligt seien. Aber konkrete, wenn auch kleine Schritte seien notwendig, damit das Treffen nicht zu «einer Art Geburtstagsfest» verkomme.
Diplomatischer Druck
Wesentlich sei, die internationalen Normen zu betonen, erklärt NZZ-Journalist Häsler. Der UNO-Sicherheitsrat und die OSZE seien blockiert, das Gewaltverbot der UNO missachtet. Gelinge es dennoch, auf dem Bürgenstock eine Einigung über gewisse Prinzipien und Normen mit nicht-westlichen Staaten zu erzielen, könne das eine gute Voraussetzung für die Zukunft schaffen.
«Das hat auch Einfluss auf Russland», betont der SRF-Korrespondent Nauer. Denn das Land reagiere einzig auf massiven Druck, der sowohl militärisch als auch diplomatisch aufgebaut werden müsse.
Werden Kriege am Verhandlungstisch beendet?
Politikwissenschaftler Laurent Goetschel kritisiert die fehlende Vision und Debatte über eine Einigung: «Früher oder später wird man sich auf eine politische Lösung einigen müssen.» Nauer entgegnet: «Man sagt immer, Kriege enden mit Verhandlungen und nicht auf dem Schlachtfeld, aber das stimmt nicht.» Das habe die Geschichte bereits gezeigt.
Wenn beide Parteien bis zum bitteren Ende kämpfen wollten, «wie kann man da über Frieden reden?», fragt Nauer Swisspeace-Direktor Goetschel. Dieser erwidert, dass es wohl keinen klaren Sieger in diesem Konflikt geben werde. Für ihn sei dies ein Zeichen, dass der Krieg mit einer Einigung enden werde.
Während die Ukraine in Flammen steht und die Weltpolitik nach Lösungen ringt, bleibt die Hoffnung auf kleine Fortschritte auf dem 1128 Meter hohen Bürgenstock.