Aus homosexuellen wieder heterosexuelle Menschen machen: Das versuchen Seelsorger, Beraterinnen und Berater aus evangelikalen Kreisen. Doch wie genau werden Homosexuelle «therapiert»? Das will ich als Rec.-Reporter wissen.
Da diese sogenannten Umpolungsmethoden höchst umstritten sind, sprechen die Akteure nicht öffentlich darüber. Daher recherchiere ich verdeckt und unter dem fiktiven Namen Guido.
Ich kontaktiere Lebensberaterinnen und -berater sowie Seelsorger aus dem evangelikalen Milieu. In einem Mail suche ich Hilfe, um mich von meiner Homosexualität befreien zu lassen. Von den rund 30 angeschriebenen Adressen erhalte ich von der Hälfte eine Antwort. Drei Termine nehme ich mit versteckter Kamera wahr.
«Ist etwas in deiner Kindheit schiefgelaufen?»
Ich treffe eine Frau in mittlerem Alter. Sie sagt mir, dass sie ursprünglich gelernte Pflegefachfrau sei und später eine Ausbildung zur Individualpsychologischen Lebensberaterin absolviert habe. Sie sei keine studierte Psychologin, habe aber eine Ausbildung gemacht, am Institut für christliche Lebens- und Eheberatung ICL.
Die Frau fragt mich, ob etwas in meiner Kindheit schiefgelaufen sei. Ein Vater-Komplex oder Missbrauch? «Unbewusst kann eine Abneigung gegen das andere Geschlecht entstehen», erklärt sie mir. Ich frage sie, ob sie mein Problem aufarbeiten könne. Sie antwortet: Ja. Es brauche rund 10 Sitzungen à 100 Franken.
Ich besuche eine weitere Therapeutin. Auch sie kommt schnell auf mögliche Komplexe und Traumata aus meiner Kindheit zu sprechen. Diese müsse man aufarbeiten. Sie verspreche aber nicht Heilung in jedem Fall. Das sei von Mensch zu Mensch verschieden, manche würden tatsächlich heterosexuell leben, erklärt sie mir. «Wir werden sehen, was es für Auswirkungen auf deine Neigung hat.»
«Jesus, ich löse mich von gleichgeschlechtlicher Liebe»
Beim nächsten Termin geht es nicht um eine sogenannte Aufarbeitung durch Therapie, sondern durch Gebet. Die Heilsarmee bietet Hilfe oder «Befreiung» für viele Probleme an. Ein Seelsorger empfängt mich. Im Raum sind weitere, betende Gläubige. Der Seelsorger führt das Gebet ein: «Also Guido, Herr Jesus und auch wir haben dich lieb so wie du bist. Auch wenn du gekommen wärst und gesagt hättest, dass du mit 30 Männern geschlafen hast, auch dann hätten wir dich lieb. Wir würden das nicht cool finden, aber wir hätten dich genau gleich lieb, Herr Jesus auch.»
Dann kommt das gemeinsame Gebet: «Herr Jesus Christus, wir preisen dich, dass Guido hierhergekommen ist. Wir finden das so toll. Ich danke dir, dass du diese Lossagung leitest. Damit er heute frei werden kann von diesem Empfinden, das ihn so stört.» Folgende Worte darf ich dem Seelsorger nachbeten: «In deinem Namen Jesus Christus von Nazareth, löse ich mich von dieser Hingezogenheit zu Männern. Ich löse mich davon. Im Namen Jesus.»
«Prägendes evangelikales Weltbild»
Ich zeige die versteckten Aufnahmen der verschiedenen Umpolungstherapien Religionswissenschaftler Adriano Montefusco. Er beschäftigt sich seit Jahren mit Homosexualität und Konversionstherapien in Freikirchen. Er sagt: «Es sind nicht Personen, die Ahnung haben auf diesem Gebiet.» Viele hätten einen Kurs besucht oder bei einer evangelikalen Gruppierung eine Ausbildung gemacht.
Montefusco weiter: «Alles ist in dieser Szene stark überformt von einem evangelikalen Welt- und Menschenbild. Deshalb erstaunt es nicht, dass es solche Konstrukte gibt. In der Logik dieser Personen machen sie Sinn. Aus wissenschaftlicher Sicht nicht.»
Wissenschaftlich gilt als erwiesen, dass Homosexualität keine Störung oder gar eine Krankheit ist. Die sexuelle Orientierung steht bereits bei der Geburt fest. Das ist wissenschaftlicher Konsens.
Verbot von Umpolungstherapien
Während mehrere Länder wie Deutschland, Österreich oder Kanada Konversionsmassnahmen verboten haben, sind diese in der Schweiz noch erlaubt.
Das Parlament hat es 2021 verpasst, über ein Verbot abzustimmen. Neue parlamentarische Vorstösse wurden aber im vergangenen Herbst eingereicht.
Was sagen die Seelsorgerinnen und Seelsorger dazu?
Nach den verdeckten Aufnahmen haben wir die betroffenen Beraterinnen und Berater konfrontiert. Alle distanzieren sich von Konversionstherapien. Über ihre Anwälte lassen uns die besuchten Beraterinnen wissen, dass sie keine Verfechterinnen von Konversionstherapien seien und solche Therapien nicht vertreten würden.
Die Heilsarmee teilt uns mit, sie biete keine Konversionstherapie an und lehne diese ab. Die Heilsarmee dränge niemandem eine Überzeugung gegen den eigenen Willen auf. Und respektiere die Würde und die Entscheidungsfreiheit des Menschen. Der Einsatz der versteckten Kamera vermittle einen «falschen Eindruck».
Die Rec.-Reportage ist in voller Länge auf SRF Play und dem Youtube-Kanal von SRF DOK. Eine Kurzversion ist am Mittwochabend in der «Rundschau» zu sehen. Marc Jost, Generalsekretär der Schweizerischen Evangelischen Allianz, wird an der «Rundschau»-Theke zum Thema Stellung nehmen.