Rot-Grün bläst zum Angriff auf den Sitz von Bundesrat Ignazio Cassis. Dies nur, damit die Kräfteverhältnisse in der Regierung den Wählerwillen widerspiegle, beteuern sie. Es ist aber kein Geheimnis, dass ihnen Cassis' Aussenpolitik grundsätzlich missfällt.
Die Liste seiner Missetaten sei lang, findet SP-Fraktionschef Roger Nordmann: «Die Kritik am UNO-Palästinenserhilfswerk und die Angriffe auf die Entwicklungspolitik waren völlig kontraproduktiv, die Europapolitik katastrophal.»
In der Aussenpolitik zählt das Wort. Durch seinen Zick-Zack-Kurs hat Cassis die Schweiz geschwächt.
Mit unbedachten Aussagen wie, dass die Schweiz über die flankierenden Massnahmen verhandeln solle, habe Cassis die Europapolitik in eine Sackgasse geführt. Überhaupt stelle er den aussenpolitischen Konsens infrage, den sowohl linke wie bürgerliche Aussenminister über Jahrzehnte hinweg verfolgt hätten.
Harte Kritik von links
Die Schweiz sei als kleines Land auf Multilateralismus und Kooperation angewiesen. Der Aussenminister habe «alles verpolitisiert» und Glaubwürdigkeit verspielt, kritisiert Nordmann. «In der Aussenpolitik zählt das Wort. Durch seinen Zick-Zack-Kurs hat Cassis die Schweiz geschwächt.»
Ganz anders schätzt FDP-Aussenpolitiker Hans-Peter Portmann die bisherige Arbeit seines Bundesrates ein. Cassis sei ein guter Aussenminister, sagt er, setze neue Schwerpunkte, indem er die internationale Entwicklungszusammenarbeit etwa stärker an wirtschafts- und migrationspolitischen Anliegen orientiere.
Wenn man sieht, was Cassis im EU-Dossier innerhalb von zwei Jahren der EU abringen konnte, dann ist das ein gutes Ergebnis.
«Cassis ist der einzige Departementschef, der eine zehnjährige Vision dargelegt hat. Und wenn man sieht, was er im EU-Dossier innerhalb von zwei Jahren der EU abringen konnte, ist das ein gutes Ergebnis», findet Portmann.
Aus etwas grösserer Distanz beurteilt Laurent Goetschel, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Basel, die aussenpolitischen Schwerpunkte von Cassis. Grundsätzlich sagt er: «Cassis hat eigene Akzente gesetzt, indem er bisherige linksliberale Haltungen mit Fragezeichen versehen hat.»
Cassis hat eigene Akzente gesetzt, indem er bisherige linksliberale Haltungen mit Fragezeichen versehen hat.
So etwa in der Nahostpolitik, beim Multilateralismus aber auch in der Entwicklungszusammenarbeit. Zu letzterer habe Cassis eine kürzere, klarere Botschaft verlangt und diese in die breite Vernehmlassung geschickt. Das sei neu: «Dort ist Cassis seinem Credo gerecht geworden, wonach er die Aussenpolitik verstärkt im Inneren verankern möchte.»
Noch sei dieser Prozess im Gange. Aber der Ansatz, den Cassis gewählt habe, könne dazu führen, dass die internationale Entwicklungszusammenarbeit breiter verankert und stärker legitimiert werde.
Was die UNO angeht, habe er mit seiner Haltung zum UNO-Migrationspakt einen deutlichen Schwenk nach rechts gemacht. Bei der Frage des Einsitzes im UNO-Sicherheitsrat hingegen folge er dem bisherigen Kurs der Schweiz.
In der europapolitischen Sackgasse?
In einer zentralen Frage habe Cassis aber Fehler gemacht, sagt Goetschel: in der Europapolitik. Als Cassis die flankierenden Massnahmen infrage stellte, verlor er die Unterstützung der Gewerkschaften.
Das sei politisch unklug gewesen: «In der schweizerischen Europapolitik schafft man nur Mehrheiten von links bis leicht rechts über die Mitte hinaus.» Ganz rechts gebe es nichts zu holen. Und wer die Linke absäge, komme nirgends hin. «Das hat das EDA in den letzten Monaten ja ausgiebig getestet.»
Einen Weg aus der Sackgasse zu finden, werde eine der grössten Herausforderungen für Cassis – wenn der Angriff auf seinen Sitz scheitert.