- Die Aussenpolitische Kommission (APK) des Nationalrats führte eine öffentliche Anhörung zum Rahmenabkommen mit der EU durch.
- Vier Juristinnen, ein Politologe sowie ein Ex-Diplomat stellten sich den Fragen der Kommissionsmitglieder.
- Als nächstes wird der Bundesrat betroffene Institutionen kontaktieren.
Die Kommission habe beschlossen, eine öffentliche Anhörung durchzuführen, weil das Thema so wichtig sei. Es gehe nicht darum, einen politischen Entscheid zu fällen, sondern darum, Experten öffentlich Fragen zu stellen, betont Elisabeth Schneider-Schneiter (CVP), Präsidentin der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats.
Das wollen die Nationalräte wissen
Roger Köppel will von Paul Widmer wissen, ob die Schweiz und die EU nach Annahme des Abkommens immer noch gleichberechtigt wären. Widmer antwortet, dass er den Vertrag in der vorliegenden Form nicht gut finde. «Der Vertrag lässt zu vieles offen und packt zu vieles auf eine falsche Weise an.» Niemand sei glücklich mit dem Inhalt, betont Widmer.
Für die SP fragt Martin Näf Christa Tobler, wie sie das Abkommen generell einschätzt. Tobler antwortet, dass beide Parteien nicht erreicht hätten, was sie wollten. «Es ist ganz klar ein Kompromiss.» Alle Probleme würden aktuell durch das Abkommen nicht gelöst werden.
Die Experten Astrid Epiney und Matthias Oesch betonen, dass man daran denken müsse, dass die Schweiz am EU-Binnenmarkt teilnehmen will. Oesch sagt, dass die Schweiz Mitspracherechte hätte, was ein positives Element darstelle. «Wir haben das Recht, Nein zu sagen», sagt er im Zusammenhang mit der Automatisierung.
Sibel Arslan (Grüne) will etwas zum Lohnschutz wissen. «Wie schätzen die Experten die Möglichkeit ein, dass die Schweiz statt die flankierenden Massnahmen die Harmonisierung der Unternehmenssteuern zur Disposition stellen würde?» Epiney schätzt es als wenig wahrscheinlich ein, dass das umgesetzt werden könnte.
Tiana Moser (GLP) möchte auf die grundsätzliche Diskussion zurückkommen. «Wo hat die Schweiz Verhandlungserfolge erreicht?» Tobler betont den Anwendungsbereich. «Die Schweiz hat sich hier durchgesetzt.» Epiney ergänzt das Streitbeilegungsverfahren. «Das Schiedsgerichtsverfahren wird wohl sehr selten zum Zuge kommen.» Carl Baudenbacher widerspricht: Er sieht in den erwähnten Punkten keine Erfolge. «Die Schweiz muss sich vom Tunnelblick lösen.»
Fabian Molina (SP) will von Oesch wissen, wie das «Decision Shaping» die Schweiz betrifft. «Das ‹Decision Shaping› macht die Schweiz heute zum Teil schon», so Oesch. Als Beispiel erwähnt er die Waffenrichtlinien, in welchen ein Teil extra für die Schweiz ausgearbeitet worden seien.
Hans-Peter Portmann (FDP) spricht Marc Bros auf die Löhne an. Er will wissen: Wie wären die Auswirkungen auf das Gesamtgewerbe, wenn man diese Verträge erodieren würde? Bros sagt, dass die Lohndiskussion schwierig ist. «Eine Lohnsimulation gibt es nicht.» Wenn die Löhne nicht auf demselben Niveau bleiben würden, müssten auch die Preise angepasst werden, sagt er.
Was die europäischen Wahlen für Auswirkungen auf ein anfälliges Abkommen haben würden, wenn es nicht gelingt, es bis dann abzuschliessen, will Claude Béglé (CVP) wissen. Epiney betont, dass es schwierig ist, das einzuschätzen. Aber sie sagt, dass die EU betont hat, dass es nur dieses Abkommen gebe. Sie sieht es als Gefahr an, wenn man nun nichts unterzeichnet.
Yvette Estermann (SVP) betont, dass in Zukunft die EU über die Einwanderung bestimmen könnte. «Herr Widmer, wie ist ein solches Abkommen für einen souveränen Staat überhaupt möglich?» Widmer sagt, dass es zwei Ebenen gebe: die Materie und die institutionellen Verfahren. «Die Materie macht mir weniger Beschwerden, als die Verfahren.» Die Materie sei eingeschränkt, «die grossen Probleme gibt es bei den Verfahren.» Für ihn ist das Schiedsgericht in diesem Zusammenhang nicht unabhängig.
Thomas Burgherr (SVP): «Wie beurteilen Sie die staatspolitischen Veränderungen durch das Abkommen?» Widmer sagt, dass er Gefahren für die Demokratie und den Föderalismus sehe. Die Sanktionsmöglichkeiten seien stark. Einig sind sich die Experten bei diesem Punkt nicht, Tobler und Epiney widersprechen.
Martin Naef (SP) stellt eine Frage zum Lohnschutz. «Welche Elemente des Schweizer Lohnschutzes könnten juristisch als tatsächlich diskriminierend angeschaut werden?» Oesch nennt Beispiele wie die Dienstleistungssperre oder die Häufigkeit der Kontrollen. «Schutzmassnahmen sind natürlich erlaubt», betont er.
Roberto Balzaretti, Staatssekretär, äussert sich zum weiteren Verfahren. Der Bundesrat werde ab Mittwoch die interessierten Kreise kontaktieren und Konsultationen organisieren. «Der Bundesrat möchte eine interaktive Diskussion führen.» Bis im Frühling soll der Bundesrat die Ergebnisse in einem Bericht präsentiert bekommen.
Fragen zum Landverkehr hat Manuel Tornare (SP). «Kann die Schweiz weiterhin ohne Einschränkungen das Kabotageverbot aufrechterhalten?» Epiney antwortet mit Ja.
«Falls es Nachverhandlungen gibt, wo würden Sie noch genauer hinschauen?», fragt Eric Nussbaumer (SP). Tobler: «Wenn es zu Ausgleichsmassnahmen kommt und die Frage im Raum steht, ob eine Massnahme verhältnismässig ist oder nicht – wäre das jetzt eine Frage, die man dem EuGH als Auslegungsfrage vorlegen müsste oder nicht?» Epiney betont, dass es gefährlich wäre, wenn zu viel aufgeschrieben würde. «Es braucht eine Ausgewogenheit.» Auch Widmer sieht bei den Ausgleichsmassnahmen Probleme. Zudem betont er noch einmal, dass das Schiedsgericht so nicht akzeptiert werden dürfe.
Fünf von 120 Verträgen
Der Bundesrat und die EU konnten sich bislang nicht auf einen gemeinsamen Entwurf zum Rahmenabkommen einigen. Der Bundesrat hatte den Entwurf im Dezember vergangenen Jahres in die Vernehmlassung gegeben.
Der neue Vertrag soll ausserdem klären, wie Streitigkeiten über die bilateralen Verträge gelöst werden. Gemäss Aussagen des Bundesrates betrifft das Rahmenabkommen fünf von über 120 Verträgen. Diese sichern der Schweiz den Zugang zum EU-Markt.
Der Vertragsentwurf fokussiert im Wesentlichen auf das Abkommen über die Personenfreizügigkeit, den Landverkehr, die technischen Handelshemmnisse sowie das Agrarabkommen.