Am Anfang unserer Recherche steht eine kleine Schachtel mit kostbarem Schmuck. Zwei Halsketten, drei Armbänder, zwei Ringe und ein Paar Ohrclips. 166 Gramm pures Gold. Aktueller Wert an diesem Tag: 14'000 Franken.
Den Schmuck erhalten wir als Leihgabe von Patrick Huber, der seit 33 Jahren als Edelmetallhändler in Aarau ein Geschäft betreibt. «Jedes Schmuckstück weist einen Stempel auf und ist somit problemlos als echt zu erkennen», sagt er. Einem Profi sollte sofort klar sein, mit welchem Feingehalt er es zu tun hat. Und was ein anständiger Preis ist, den er dafür bieten sollte.
Würde Huber uns den Schmuck selbst abkaufen, bekämen wir abzüglich seiner Marge knapp 12'500 Franken.
Wir rüsten uns mit versteckten Kameras aus. Schliesslich wollen wir zeigen, wie fliegende Goldhändler genau vorgehen. Und das geht nur, wenn wir uns als Kunden ausgeben und ihre Tricks dokumentieren können. Dafür treten wir als Ehepaar auf.
Der Trick mit dem älteren Herrn und dem Pelz
Wir fahren nach Olten zur Firma «Pelz & Edelmetall Ankauf Temetra». Gegründet im Februar 2025, veranstaltet sie kurz darauf eine «Ankaufsaktion» von sechs Tagen in einem angemieteten Ladenlokal. Laut Flyer sucht der Händler «dringend» Gold, aber unter anderem auch Pelzmäntel, für die er bis zu 14'500 Franken zu zahlen verspricht. Wir nehmen deshalb zwei alte Mäntel mit, die man im Brockenhaus für gut hundert Franken erhält.
Auf dem Flyer ist ein Foto eines sympathisch wirkenden älteren Herrn am Telefon abgebildet. Allem Anschein nach der Händler, der auf dem Flyer als «Inh. Valentino» ausgewiesen wird. Auch Goldzähne will er ankaufen. Zu einem sehr hohen Preis. Dasselbe Foto fällt uns auf verschiedenen anderen Flyern auf – mit anderen Namen, Orten und Telefonnummern. Das macht uns stutzig. Wir vermuten, dass bei unserem Besuch nicht alles korrekt ablaufen könnte.
Und tatsächlich: Im Oltner Ladenlokal warten statt des Herrn zwei junge Männer in Anzug auf Kundschaft. Der ältere führt das Verkaufsgespräch.
Falsche Gewichtsangabe und verwirrende Angebote
Nach kurzer Betrachtung der Pelze bietet er uns 2700 Franken. Er fragt uns nach Gold und untersucht dieses eingehend auf Stempel. Plötzlich greift er zur Zange: «Darf ich das durch die Mitte kaputt machen?» Er müsse dies tun, um die Echtheit prüfen zu können. Das können wir natürlich nicht zulassen.
Plötzlich ändert der Händler seine Strategie und will nichts mehr von den Pelzen wissen: «Sie haben für den Preis von 2700 Franken leider zu wenig Gold mitgebracht.» Er brauche «mindestens noch 200 Gramm». Er fordert uns auf, «zuhause mehr Gold zu holen – zum Beispiel Goldvreneli». Als wir ablehnen, verwickelt er uns in ein verwirrendes Gespräch über die Entwicklung des Goldpreises und wiegt dann unseren Schmuck. Die Anzeige der Waage können wir nicht sehen – laut dem erfahrenen Edelmetallhändler Patrick Huber ein «No-Go».
Der ältere der beiden Männer teilt uns mit: «Da sind Metalle, Blei und Kupfer drin. Es bleiben insgesamt 22.6 Gramm pures Gold.» Für den Schmuck und die Pelze könne er uns 2750 Franken anbieten. Zur Erinnerung: Der mitgebrachte Schmuck entspricht 166 Gramm Feingold und hat einen Wert von 14'000 Franken.
Bargeld lockt
Wir sagen ihm, dass wir vom tiefen Gewicht überrascht seien. Nun bietet er uns plötzlich 4150 Franken an und blättert Hunderter- und Tausendernoten auf den Tisch.
Als wir zögern, setzt er weiter Druck auf. Es sei der letzte Tag seiner Aktion, er komme erst in einem halben Jahr wieder. Wir verlassen das Lokal.
Inhaber will mit Abzock-Angebot nichts zu tun haben
Kurze Zeit später kehren wir als Journalisten von SRF zurück – mit Kamera und Mikrofon in der Hand. Im Laden ist nur noch der jüngere Mann anzutreffen. Ob der ältere etwas geahnt hat, wissen wir nicht. Der Jüngere bestreitet, etwas mit dem Verkaufsgespräch und dem miesen Angebot zu tun zu haben. Dabei ist er – laut eigenen Angaben und Eintrag im Handelsregister – der Inhaber der Firma.
Er sagt: Er habe den Schmuck nicht gewogen, nichts ausgerechnet. Das Angebot sei keine Abzocke. Man könne es annehmen oder nicht. Damit hat er recht. Aber: Der Händler müsste dem Kunden das korrekte Gewicht des Goldes mitteilen.
Der Händler sagt weiter, der Mitarbeiter sei neu bei ihm. Er habe schauen wollen, wie dieser ein Ankaufsgespräch führe.
Auf unsere nachgereichten Fragen haben wir von Firmeninhaber Valentino Temetra bis Redaktionsschluss keine Antwort erhalten.
Höchstpreis nur für «schönen» Schmuck
Wir suchen undercover einen zweiten Händler auf, der uns aufgrund seines Flyers ebenfalls verdächtig erscheint. Während vier Tagen kauft die Firma «Gold-Chästli F. Zozerd» in einem Winterthurer Restaurant Schmuck und Uhren an. «Gold bis zu 90 Franken pro Gramm» steht auf dem Flyer – ein Höchstpreis. Uns macht zudem stutzig, dass der Händler angibt, er zahle für antiken Schmuck bis zu 30 Prozent über dem Tageskurs.
Bei der Prüfung der wertvollsten Kette findet Händler Frank Zozerd angeblich den Stempel nicht, der darauf hinweist, dass die Kette aus echtem Gold ist. Obwohl er die Lupe zu Hilfe nimmt. Schliesslich bietet er für unsere acht Schmuckstücke 8000 Franken. Pro Gramm sind dies nur 55 statt der auf dem Flyer versprochenen 90 Franken. Die Erklärung des Händlers: «Das Angebot ist nur für schönen Schmuck. Das hier trägt kein Mensch mehr.»
Dann verstrickt auch er uns in ein verwirrendes Gespräch über Gewichtsangaben und Preise. Und auch bei ihm sehen wir nicht auf die Anzeige der Waage, mit der er unseren Goldschmuck wiegt. Wir verlassen den Laden.
Gepackt und gestossen
Als wir als SRF-Reporter zurückkehren, ist ein zweiter Mann vor Ort. Während Firmeninhaber Frank Zozerd freundlich anbietet, sein Angebot nochmals nachzurechnen, fordert uns der zweite Mann vehement auf, das Restaurant zu verlassen. Er drängt uns zur Türe. Versucht, den Kameramann nach draussen zu stossen.
Die Situation eskaliert. Frank Zozerd packt den Reporter an der Jacke und will ihn zusammen mit der Reporterin zurück ins Lokal ziehen. Als der Reporter zu schreien beginnt, schubst der Händler sie aus der Tür, der zweite Mann schliesst ab.
Vor dem Restaurant steht plötzlich ein dritter Mann mit Hund vor uns und deckt uns mit wüsten Beschimpfungen und Drohungen ein. Die beiden anderen Männer kommen aus dem Restaurant und tun ihm gleich. Wir verlassen den Ort schnellstmöglich.
Zurück auf der Redaktion klingelt das Telefon: «Wenn eine Reportage kommt, dann geht es los. Was, wirst du dann sehen», bekommen wir zu hören.
Auf unsere mehrfachen schriftlichen Anfragen zum Vorfall und zum niedrigen Kaufangebot haben wir von Frank Zozerd bis Redaktionsschluss keine Antwort erhalten.
Die Handgreiflichkeiten und Drohungen zeigen: Mit gewissen Goldhändlern ist nicht zu spassen, wenn ihre Methoden auffliegen. Für sie geht es um viel Geld – das Goldgeschäft ist lukrativ. Und es geht um die Familie. Denn hinter den fliegenden Händlern stecken in vielen Fällen organisierte Familienclans.
Die Zozerds etwa leben in der Ostschweiz, mehrere Familienmitglieder betreiben an der gleichen Geschäftsadresse in Wil SG Firmen und sind im Goldankauf tätig.
Bei den Temetras handelt es sich um eine Grossfamilie, die schweizweit bekannt ist: Vor einigen Jahren zockten Mitglieder des Clans ahnungslose Kunden mit Teppichreinigungen ab. Und flogen damit in der SRF-Sendung Kassensturz auf. Meist haben sie die deutsche Staatsbürgerschaft. Die Mitglieder der Grossfamilie Temetra nennen sich immer wieder anders: Demetrio, Demeter, Dimetrio.
Verbindungen nach Deutschland
SRF Investigativ hat diverse Firmen ausfindig gemacht, die in den vergangenen Monaten durch Mitglieder der Temetras aus Deutschland gegründet wurden.
Die Temetras agieren nicht allein: Sie haben Verbindungen zum in Deutschland berüchtigten Goman-Clan. Dieser macht immer wieder mit dem Enkeltrick Schlagzeilen. Mehrere Angehörige des Goman-Clans wurden in den vergangenen Jahren in Deutschland wegen Diebstahl und Betrug zu Haftstrafen verurteilt.
Gespräche mit gut informierten Quellen zeigen, dass viele Clan-Mitglieder nur für kurze Zeit in die Schweiz einreisen. Die Firmen dienten lediglich dazu, Seriosität vorzugaukeln, denn: Wer über einen Jahresumsatz von mindestens 50'000 Franken und einen Eintrag im Handelsregister verfügt, wird auf der offiziellen Liste des Bundes eingetragen, welche registrierte Goldankäufer ausweist.
Auch die beiden Goldhändler, die wir undercover besucht haben, sind auf der Liste der Edelmetallkontrolle (EMK) registriert.
Wie intensiv fliegende Goldhändler derzeit in der ganzen Schweiz unterwegs sind, zeigt diese Karte.
SRF Investigativ hat während Wochen Flyer zusammengetragen und miteinander verglichen. Neben Familienclans sind auch ein gutes Dutzend andere fliegende Goldankäufer in der Schweiz unterwegs und versuchen, gute Geschäfte zu machen. Nicht alle arbeiten unseriös, unsere Recherche zeigt aber, dass man bei den meisten Angeboten sehr vorsichtig sein sollte.
Händler nutzen Gesetzeslücken aus
Dubiose Goldhändler schlüpfen durch Lücken im neuen Edelmetallkontrollgesetz, das letztes Jahr in Kraft getreten ist. Geht den Kontrolleuren ein unseriöser Händler ins Netz, kann ihn die Edelmetallkontrolle (EMK) zwar anzeigen. Der Händler bleibt jedoch auf der offiziellen Liste registriert – und gilt für Laien weiterhin als seriös. «Die Registrierung kann nicht aberkannt werden, das ist leider ein Mangel im Gesetz», sagt Roger Hafner, Leiter Aufsicht EMK.
Weiter sei es auch schwierig, die Identität der Verkäufer festzustellen. Manche hätten keine Ausweise bei sich und behaupteten, nur der Vertreter des Firmeninhabers zu sein – und selbst gar kein Gold anzukaufen. Ähnliches haben wir in Olten bei Goldhändler Temetra erlebt.
In Bezug auf fliegende Goldhändler stellt die EMK fest: «Das sind teilweise Leute aus Clan-Familien, auch Sinti und Roma. Wir haben auch Schweizer Fahrende, die sich hier gruppieren. Ihre Mitglieder treten mit verschiedensten Namen auf. Doch am Schluss gehören und arbeiten die meisten davon irgendwie zusammen.»
Die Edelmetallkontrolle räumt ein: Sie kann das Geschäft dubioser Händler nur stören, aber nicht stoppen. Seit Anfang 2024 hat sie rund 40 Anzeigen bei kantonalen Staatsanwaltschaften gemacht.
Werden die Händler bei ihren Geschäften ertappt, können sie auch gegenüber den Behörden ruppig werden.
In verschiedenen Gesprächen mit Insidern erfahren wir, dass die Anzeigen dubiose Goldhändler kaum abschrecken. Zu lukrativ sei das Geschäft.
Polizei wird kaum tätig
Verschiedene Kantonspolizeikorps sprechen von einer hohen Dunkelziffer an Opfern. Viele würden aus Scham keine Anzeige erstatten, andere würden gar nicht realisieren, dass sie von Händlern abgezockt wurden.
Man könne potenziellen Kundinnen und Kunden nur einen Rat geben: Nicht hingehen – auch wenn ein bunter Flyer mit Versprechungen nach schnellem Geld verlockend wirke.