Der Bundesrat will am Mittwoch Klarheit schaffen und darüber informieren, wie die Schulöffnung in zwei Wochen vor sich gehen soll. Seine Entscheide stützt er auf den Austausch mit der Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK), der Vereinigung aller 26 kantonalen Bildungsminister.
Hier gibt es die Antworten auf die drängendsten Fragen mit Aussagen der EDK-Präsidentin Silvia Steiner, die Erziehungsdirektorin im Kanton Zürich ist. Sie sagt, wie der Präsenzunterricht gewährleistet und gleichzeitig das Schutzkonzept eingehalten werden soll – und warum es keine «Matura light» ist, wenn die Abschlussprüfungen ausfallen.
Welche Schutzmassnahmen soll es geben? Das Schutzkonzept orientiert sich an drei Eckpfeilern, aber lässt Handlungsspielraum. Es gelte vulnerable Personen zu schützen, ein Präventions- und Informationskonzept vorzulegen und Hygienemassnahmen zu treffen. «Wir können aber nicht den Anspruch haben, dass ab dem ersten Tag alles perfekt läuft. Man muss eine Chaosphase ertragen», sagt Steiner.
Ohne Einschränkungen im Unterricht wird es kaum gehen. Für Steiner ergibt es aber wenig Sinn, allzu penible Vorgaben von oben zu machen: «Es wird wohl sogar von Schulhaus zu Schulhaus etwas unterschiedlich sein. Denn jedes hat eine eigene Schulkultur.» Auch die Infrastruktur sei jeweils anders und müsse berücksichtigt werden.
Werden Schulkinder zur Gefahr für sich und andere? Daniel Koch vom Bundesamt für Gesundheit bezeichnet Kinder als «schlechte Virusträger». Kleinere Kinder würden praktisch kaum mit dem Coronavirus infiziert und von ihnen gehe keine Gefahr für Risikopatienten und Grosseltern aus.
Nach dem Austausch mit den Experten des Bundes hält es Steiner nicht für angezeigt, Distanzregeln für Schulklassen mit kleinen Kindern zu erlassen. «Wir wollen auf keinen Fall eine Schulpolizei, die kontrolliert, ob ein Kind dem anderen zwei Zentimeter zu nahe kommt.»
Wie können die Ängste der Eltern zerstreut werden? Die oberste Erziehungsdirektorin anerkennt, dass die Verunsicherung in der Bevölkerung gross ist: «Und wenn man Angst hat, schickt man sein Kind ungern in die Schule und geht selber auch nicht gerne dahin.» Aufgabe der Behörden und Schulleitungen sei es, das Vertrauen wieder aufzubauen. «Wenn alle wissen, dass die Schule ein sicherer Ort ist, wird alles funktionieren wie vorher.»
Werden Lehrpersonen zum Präsenzunterricht gezwungen? Auch unter dem Lehrpersonal, gerade bei Älteren und Angehörigen der Risikogruppe, sind Ängste vor der Wiederaufnahme des Schulbetriebs verbreitet. «Niemand muss seine Gesundheit gefährden», stellt Steiner klar. Aber: «Man kann sich nicht einfach ausklinken.»
Grundsätzlich erachtet Steiner sozialen Kontakt für zentral – auch wenn man mit dem Fernunterricht wertvolle Erfahrungen gesammelt habe. «Gerade die Kleineren haben sehr unter der Situation gelitten.»
Wie kann der verpasste Stoff nachgeholt werden? Der Fernunterricht stellte auch Eltern und so manche Lehrperson vor Herausforderungen. Viele Schülerinnen und Schüler dürften unterschiedlich weit sein. Steiner glaubt aber, dass alle «abgeholt» werden können: «Es ist ein grosser Vorteil, dass sich das Bildungswesen in den letzten Jahrzehnten hin zur individuellen Betreuung bewegt hat.»
Die Lehrpersonen würden die Bedürfnisse der einzelnen Kinder und Jugendlichen kennen und seien nun aufgefordert, allfällige Lücken zu eruieren und zu schliessen. «Das wird eine der grossen Herausforderungen sein – wir werden diese aber meistern.»
Sind Absolventen ohne Abschlusszeugnis schlechter gestellt? Manche Kantone wollen Zeugnisse für das laufende Semester ausstellen. Andere – darunter der Kanton Zürich – nicht. Ist das nicht eine schreiende Ungerechtigkeit, etwa für Jugendliche, die auf Lehrstellensuche sind und denen die Vergleichsmöglichkeit fehlt? Steiner relativiert: Die Wirtschaft wolle schon länger andere Beurteilungsschemen als blosse Noten. «Man kann für Bewerbungen auch einen Bildungsbericht oder eine Empfehlung der Lehrperson ausstellen.» Solche Referenzen würden in der Wirtschaft häufig höher gewertet als Zeugnisse.
Fallen die Matura-Prüfungen ins Wasser? Jugendliche an Gymnasien stehen eigentlich vor entscheidenden Wochen: Die Maturaprüfungen sind die Kür des jahrelangen Paukens. Morgen entscheidet der Bundesrat, ob diese stattfinden können. Grosse Kantone wie Bern und Zürich sind vorgeprescht und wollen die Prüfungen ausfallen lassen. «Ich finde es in dieser Krisensituation schwierig, an einem Ritual festzuhalten», so die Zürcher Erziehungsdirektorin.
Von einer «Matura light» will Steiner deswegen nicht sprechen. Jahrelang hätten sich die Maturanden einem strengen Promotionsverfahren mit ununterbrochenen Leistungskontrollen stellen müssen. «Wenn dieser Jahrgang jetzt nicht reif für die Matura ist, haben wir ein grundsätzliches Problem.»