Das Wichtigste in Kürze
- Patientenverfügungen kommen dann zum Einsatz, wenn der Patient nicht mehr ansprechbar und dauerhaft urteilsunfähig ist.
- Seit fünf Jahren müssen sich Ärzte an Patientenverfügungen halten.
- In vielen Fällen können Ärzte die Verfügungen nicht umsetzen.
- Der Bund will neue Lösungen und hat ein Rahmenkonzept erarbeitet.
Intensivstation, Koje 5. Die junge Frau im Bett hatte einen Unfall. Sie ist bewusstlos, hat schwere Hirnschäden. Sie ist nicht ansprechbar, nicht urteilsfähig. Das Beatmungsgerät leistet unaufhörlich seinen Dienst. Wird die Frau jemals wieder aufwachen? Und welche Schäden trägt sie davon? Möchte sie mit möglichen Behinderungen weiterleben? Soll die Beatmung gestoppt werden?
Angehörige werden emotional entlastet
Fragen, mit denen Angehörige und Spital-Personal auf Intensivstationen tagtäglich zu kämpfen haben. Eine Patientenverfügung kann in solch einem Fall helfen. Das Intensiv-Team weiss dann, bis wie weit es mit seiner Behandlung gehen kann – und wann es aufhören soll. Und: Angehörige müssen letzten Endes nicht entscheiden; eine emotionale Entlastung.
Was ist schon ein Schlauch?
Doch oft sorgen Patientenverfügungen für mehr Verunsicherung als für die angestrebte Klarheit. Schlecht beraten ist zum Beispiel, wer in seine Verfügung reinschreibt: «Ich will nicht an Schläuchen hängen.» Denn: Was ist mit «Schlauch» genau gemeint? «Das ist eine unsinnige Formulierung», sagt Mathias Nebiker, Arzt für Intensivmedizin am Inselspital Bern. Jede Infusion sei ein Schlauch. Auch jedes Sauerstoff-Schläuchlein zur Nase sei ein Schlauch, so Nebiker. «Oder ist damit die Herz-Lungen-Maschine gemeint?»
Widersprüche in Patientenverfügungen
Widersprüche und Unklarheiten in Patientenverfügungen kommen im Alltag oft vor. So kann man beispielsweise ankreuzen, dass man nicht an ein Beatmungsgerät angeschlossen werden möchte. Gleichzeitig kann der Patient auch zur Organspende einwilligen.
Nur: Beides zusammen geht nicht! «Organspender müssen eine Zeit lang künstlich beatmet werden. Sicher ein paar Stunden, manchmal können es auch ein, zwei Tage sein», erklärt Mathias Nebiker. War das dem Patienten klar, als er die Verfügung ausfüllte? Was ist dem Patienten wichtiger?
Tanja Krones, Professorin und Leiterin Klinische Ethik am Unispital Zürich, teilt die Kritik. Die aktuell erhältlichen Patientenverfügungen hält sie alle samt und sondern für ungenügend. «Es wird zu viel über einzelne Massnahmen geredet und zu wenig über Werthaltungen der Patientinnen und Patienten», so Krones. Es müsse klar sein: Was ist mir im Leben wirklich wichtig? Was darf auf keinen Fall passieren? Und wie viel Belastung bin ich bereit, für ein längeres Leben in Kauf zu nehmen? «Das gehört in eine gute Patientenverfügung», sagt Tanja Krones.
Eigenverantwortung
Mathias Nebiker will sich nicht falsch verstanden wissen. Er findet Patientenverfügungen grundsätzlich eine gute Sache. Denn dann habe sich jemand mit dem Thema offensichtlich schon mal beschäftigt, was zu begrüssen sei, so der Intensivmediziner. «Aber nicht jede Patientenverfügung erleichtert uns das Leben auf der Station.»
Nationales Rahmenkonzept
Das Problem ist erkannt. Das Bundesamt für Gesundheit BAG und die Schweizerische Gesellschaft für Palliative Medizin, Pflege und Begleitung (Palliativ CH) haben gemeinsam eine Expertengruppe ins Leben gerufen. Rausgekommen ist ein nationales Rahmenkonzept: Das Konzept will, kurz gesagt, dass sich die Schweizer Bevölkerung früher und bewusster mit Fragen rund um die eigene gesundheitliche Vorausplanung, Patientenverfügungen, Testament befasst.
Tanja Krones ist Mitglied der Expertengruppen. Für sie ist wichtig, dass Formulare und Prozesse vereinfacht und vereinheitlicht werden. «Damit vom Notfallsanitäter vor Ort, über den Intensivmediziner bis zur Stationsärztin alle genau wissen, was gemeint ist. Und was zu tun ist», sagt Krones.
Ausserdem: Eine Patientenverfügung für alle Fälle gebe es nicht. «Man muss sich überlegen, was im Notfall zu tun sei, was auf der Intensivstation und was bei einer andauernden Urteilsunfähigkeit», so Krones. Klar sei auch, dass man Patientenverfügungen regelmässig alle zwei, drei Jahre überprüfen, sich beim Ausfüllen professionelle Hilfe suchen und vor allem mit den Angehörigen über die Verfügung reden solle.
Vertrauensperson hinzuziehen
Wer keine Angehörigen hat, oder diese mit dem Thema nicht belasten will, kann auch eine Vertrauensperson in der Patientenverfügung vermerken (siehe Merkblatt).
Diese kann dann im Notfall für die Patientin, den Patienten entscheiden. Gerade für unverheiratete, nicht am gleichen Wohnsitz gemeldete Paare eine wichtige Option. Sonst kommen nur die im Gesetz erfassten Vertretungspersonen zum Einsatz, unter Umständen gar die Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde Kesb.
Professor Christoph Zenger, Gesundheitsrechtsspezialist an der Universität Bern, rät deshalb, eine Person als Vertretung in einer Patientenverfügung zu bestimmen. Und mit dieser Person nicht nur über erwünschte oder nicht erwünschte Behandlungen zu sprechen, sondern auch, welches Ziel man mit einer Behandlung erreichen und was man nicht erleben möchte. Solche Informationen geben wichtige Hinweise auf den Willen des Patienten und helfen im Notfall, eine Patientenverfügung zu interpretieren.
«Kassensturz» hat in Zusammenarbeit mit Professor Zenger, Professorin Krones und der Stiftung Dialog Ethik ein Merkblatt erarbeitet. Neben rechtlichen Informationen enthält es Tipps, worauf Sie beim Ausfüllen Ihrer Patientenverfügung achten sollten.