Piraten, Bienchen oder Clowns: Eine kunterbunte Karawane Kostümierter zieht am Schmutzigen Donnerstag durch den Ortskern von Flüelen. Ihnen allen gemein ist: Sie laufen im Gleichschritt. Und spielen unisono den Katzenmusikmarsch. Mit den Instrumenten Trommel, Trompete oder Pauke. Immer und immer wieder.
Mal kommt eine Trommlerin dazu. Mal springt ein Paukist ab. Hier kann jede und jeder mitmachen. Jederzeit. Bei dieser Fasnachtstradition von Kindesbeinen an dabei zu sein, ist Ehrensache im Kanton Uri. «Die Tradition der Katzenmusik wandert von einer Generation zur nächsten», sagt Thomas Bissig. «Das sorgt für Zusammenhalt.»
Bissig ist Präsident der Fidelitas Flüelen. Einer Fasnachtsgesellschaft, die seit 100 Jahren das Brauchtum der Katzenmusik pflegt. «Jede Einwohnerin und jeder Einwohner ist automatisch bei Fidelitas dabei.» Ohne Wenn und Aber. «Und wer Lust hat, spielt mit.»
Und die Lust ist gross, wie der Augenschein vor Ort zeigt: 100 Musikantinnen und Musikanten ziehen durch die Strassen. Seit den frühen Morgenstunden. «Mir gefällt die Geselligkeit», meint eine Teilnehmerin. Und eine andere sagt, jeder kenne hier jeden: «Man darf sich auch mal daneben benehmen – es bleibt im Dorf.» Doch den gleichen Marsch rauf und runter zu spielen – wird das nicht langweilig? Die Flüelerinnen winken ab. «Den könnten wir 100 Mal spielen!»
Wer hat die schönste Katzenmusik?
Würde man sich in Altdorf, Erstfeld oder Schattdorf umhören, würde es wohl ähnlich tönen. Nur bei der Frage, wer denn die schönste Katzenmusik spielt – da gehen die Meinungen auseinander. Denn trotz grosser Masse und gleicher Melodie: Kleine Unterschiede gibt es doch.
Im Urner Hauptort ist der Marsch dreigeteilt, mit Pausen dazwischen. «Die Altdorfer haben einen langsamen», meint eine Flüelerin. «Und die Schattdorfer blasen ewig», sagt ein Flüeler. Für ihn ist klar: Die schönste Katzenmusik gibt es im Dorf. «In Flüelen kannst du durch die Gässchen laufen. Und es tönt immer wieder anders, weil es ein Echo gibt.»
Anfänglich wurde ins Geisshorn geblasen
Die Katzenmusik ist in Uri fest verankert. Ihren Ursprung hat sie aber vermutlich anderswo. «Der Brauch war früher in ganz Europa verbreitet», sagt Rolf Gisler. Der pensionierte Historiker weiss praktisch alles über die Urner Fasnacht. «Einst ging es darum, vor einem bestimmten Haus Krach zu machen und jemanden anzuprangern.»
Bei der Urner Variante der Katzenmusik haben wohl Soldaten der französischen Bourbaki-Armee ihre Spuren hinterlassen. «Die Internierten in Altdorf spielten am Morgen jeweils den Reveil-Marsch.» Die Melodie dieser Fanfare dürfte die Katzenmusik inspiriert haben. Genaueres weiss man allerdings nicht.
Die mit den Blechbüchsen waren die Arbeiter-Katzenmusiken.
Klar ist: Als Instrumente dienten anfänglich Geisshörner und Blechbüchsen. «Früher konnte man sich noch keine Trompeten, Trommeln und Pauken leisten», sagt Rolf Gisler. Noch in den 1930er-Jahren war das soziale Gefälle hör- und sichtbar: «Die mit den Blechbüchsen waren die Arbeiter-Katzenmusiken.» Jene mit Trommeln die Herren-Katzenmusiken. «Die gaben einander schon mal aufs Dach.»
Solche Misstöne gibt es heute nicht mehr – ausser, jemand würde bei der Trompete das falsche Ventil erwischen. Wobei das kaum möglich ist, glaubt man Pascal Arnold, OK-Präsident des 100-Jahr-Jubiläums der Fidelitas. Üben? Nein, das müsse er nicht. «Das ist wie Velofahren.» Der Katzenmusikmarsch muss Urnerinnen und Urnern wohl in den Genen liegen.