Ermittlungen bei Sexualdelikten sind immer eine schwierige Angelegenheit. Was im vorliegenden Fall, den das Bundesgericht beurteilen musste, klar ist: Ein Mann und eine Frau haben sich in einer Genfer Bar kennengelernt, haben getrunken, getanzt und sich geküsst. Schliesslich sind die beiden zu ihm nach Hause und hatten Sex.
Umstritten ist, ob die Frau wirklich einverstanden war mit dem Geschlechtsverkehr. Sie behauptete danach nämlich, sie sei vergewaltigt worden. Erstinstanzlich war der Mann tatsächlich wegen Vergewaltigung verurteilt worden. Dann wurde er aber vom Genfer Kantonsgericht freigesprochen, genauso wie jetzt vom Bundesgericht.
«Im Zweifel für den Angeklagten»
Dieses sieht nämlich keine Beweise für eine Vergewaltigung. Es gibt zum Teil widersprüchliche Aussagen der beiden Beteiligten, und es gilt der Grundsatz: im Zweifel für den Angeklagten. Juristisch interessant ist, dass die Frau mit Bezug auf das Prinzip «Nur Ja heisst Ja» eine Verurteilung verlangte, also, dass es vor dem Geschlechtsverkehr eine ausdrückliche Zustimmung brauche. Sie argumentierte, dies verlange das Europaratsabkommen gegen Gewalt an Frauen, die sogenannte Istanbul-Konvention, die auch die Schweiz ratifiziert hat.
Hier widerspricht das Bundesgericht. Die Bestimmung in der Istanbuler Konvention sei relativ offen formuliert. Die einzelnen Staaten seien frei darin, wie sie das konkret in der Gesetzgebung umsetzten. Und nach geltendem Schweizer Strafrecht ist es so, dass eine Vergewaltigung vorliegt, wenn ein Täter weiss oder in Kauf nimmt, dass das Opfer keine sexuelle Handlung will und sich darüber hinwegsetzt, indem er zum Beispiel psychischen Druck ausübt oder droht. Eine Verurteilung ist auch dann möglich, wenn die Person keine körperliche Gewalt anwendet.
Verschiedene Frauenorganisationen und linke Parteien fordern eine Verschärfung des geltenden Sexualstrafrechts und verlangen, dass die Beteiligten immer explizit Ja sagen müssen zum Geschlechtsverkehr. Der Rechtskommission des Ständerats geht das zu weit. Sie plädiert für eine erweiterte «Nein heisst Nein»-Regelung. Mit der umstrittenen Frage wird sich bald auch das Parlament befassen.