Natalie Urwyler befand sich am Anfang einer vielversprechenden Karriere. Sie war festangestellte Oberärztin am Berner Inselspital und wollte eine akademische Karriere einschlagen. Doch dann wurde sie schwanger und bekam ein Kind.
Nach ihrer Schwangerschaft sei sie ausgebremst worden, erzählt Natalie Urwyler. «Ich wurde in meiner Karriere behindert, im Vergleich mit den Männern nicht gefördert und bin langsamer vorangekommen.» Als Mutter sei ihr dann gar gekündet worden. Das habe ihre Karriere geknickt.
Gegen Kündigung gewehrt
Nach der Geburt wollte sie ihr Pensum auf 80 Prozent reduzieren. Doch das Spital wollte davon nichts wissen. Nach längerem Hin und Her kündigte die Inselgruppe 2014 der Ärztin. Die Begründung: Das Arbeitsverhältnis sei sehr belastet worden und das Vertrauensverhältnis nachhaltig gestört.
Gegen diese Kündigung hatte sich Urwyler gestützt auf das Gleichstellungsgesetz bereits früher erfolgreich vor Gericht gewehrt. Das Urteil verlangte vom Inselspital, dass die Ärztin wieder angestellt werden müsse. Das Spital stellte sie aber gleich wieder frei.
Das ist eine grosse Genugtuung für mich.
Nun hat sich Urwyler vor dem Berner Regionalgericht nicht nur gegen die Kündigung gewehrt, sondern hat auch weitere Diskriminierungen geltend gemacht. Ihr Vorwurf: Das Spital habe ihr eine Beförderung verwehrt, weil sie eine Frau sei. Deshalb hätte sie auch weniger Geld vom sogenannten privatärztlichen Pool bekommen. Das Gericht gibt ihr teilweise recht.
Die Richterin schreibt in ihrem Urteil, das der Tagesschau vorliegt, «dass die Klägerin mit Auswirkung auf die Ausschüttung aus dem privatärztlichen Pool geschlechterspezifisch diskriminiert wurde» und dass sie «auch hinsichtlich der Beförderung geschlechterspezifisch diskriminiert worden ist».
«Das ist eine grosse Genugtuung für mich», sagt Urwyler zum Urteil, auf das sie fast zehn Jahre wartete. Das Inselspital schreibt auf Anfrage: «Wir prüfen das Urteil derzeit und können zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Stellung dazu nehmen.» Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Das Spital hat 30 Tage Zeit, um es anzufechten.
Urteil mit Signalwirkung
Urteile wie dieses sind selten. In der Datenbank, in der Urteile aufgrund des Gleichstellungsgesetzes erfasst werden, ist keines zu finden, bei dem eine Frau erfolgreich auf Beförderungsdiskriminierung geklagt hat. In den meisten Fällen werden die Klagen abgewiesen oder beide Seiten können sich auf einen Vergleich einigen.
Unternehmen müssen aufpassen, dass solche Diskriminierungen nicht vorkommen.
Beförderungsdiskriminierung ist schwierig nachzuweisen. Deshalb hat das Urteil Signalwirkung, so die Einschätzung von Arbeitsrechtsexperte Thomas Geiser. «Einerseits zeigt es, dass man solche Prozesse führen und gewinnen kann», sagt er. Noch wichtiger sei das Signal, das an Unternehmen ausgesendet werde: «Unternehmen müssen aufpassen, dass solche Diskriminierungen nicht vorkommen.»
Auch für Urwyler ist die Signalwirkung des Urteils wichtig. Zwar macht es für sie karrieremässig keinen grossen Unterschied mehr, aber: «Ich hoffe, dass ich da etwas für die Frauen verändern kann.»
Fall nicht abgeschlossen
Urwyler schätzt den finanziellen Schaden, den sie erlitten hat, auf mehrere hunderttausend Franken. Wie viel ihr das Inselspital wird nachzahlen müssen, muss ein Gericht entscheiden. Der Fall ist also noch nicht abgeschlossen.
Natalie Urwyler wäre gerne ans Inselspital zurückkehrt. In der Zwischenzeit hat sie sich eine neue Karriere im Wallis aufgebaut.