Der Bundesrat hat am Donnerstag anerkannt, dass die Verfolgung der Jenischen und Sinti als «Verbrechen gegen die Menschlichkeit» zu bezeichnen ist. Der Drehbuchautor und Filmproduzent Johannes Boesiger war einer der ersten Kunstschaffenden, die sich des Themas angenommen haben.
SRF News: Johannes Boesiger, der Bundesrat hat sich bei den Jenischen entschuldigt. Wie kommt das bei Ihnen an?
Johannes Boesiger: Das kommt sehr spät. Schon Anfang der 1970er Jahre haben sich jenische Frauen gewehrt. Und es hat bis heute gedauert, dass der Bundesrat eingesteht, dass das ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist. Es ist höchste Eisenbahn, dass dies geschieht.
Zwei Organisationen verlangten, dass die Verfolgung der Jenischen als Genozid eingestuft wird. Das hat der Bundesrat gestützt auf ein Rechtsgutachten abgelehnt. Sind Sie enttäuscht?
Das wäre die nächste Stufe. Aber das betrifft nicht nur die Jenischen in der Schweiz, sondern auch die Sinti und Roma in Deutschland im Zusammenhang mit Auschwitz und dem Holocaust. Da ist auch noch viel zu tun.
Dank einer Freundin meiner Mutter wusste ich früh vom Kampf des fahrenden Volkes um seine Rechte.
1992 kam der Film «Kinder der Landstrasse» in die Kinos. Wie sind Sie so früh schon auf dieses Thema gekommen?
Ich kam durch meine Mutter auf das Thema. Meine Mutter war eng mit Mariella Mehr [Schweizer Schriftstellerin, die als Kind ihrer jenischen Familie weggenommen wurde, A.d.R.] befreundet. Sie lebte zeitweise bei uns, so dass auch ich mich mit ihr angefreundet habe.
So wusste ich früh vom Kampf des fahrenden Volkes um seine Rechte und konnte sofort auf die Idee des Regisseurs Urs Egger reagieren, man müsse darüber einen Film machen. Ich fing an zu recherchieren und das Drehbuch zu schreiben und habe mich dabei auch immer wieder auf Mariella Mehr abgestützt.
Was hat der Film bewirkt?
So viel ich weiss, hat er erstens einen Beitrag geleistet zur Erziehung einer neuen Generation von Sozialarbeitern - mein Sohn und meine Schwiegertochter bekamen beide während ihres Studiums diesen Film präsentiert.
Zweitens gab es eine positive Veränderung im Vormundschaftsrecht. Damit bin ich konfrontiert worden, als ich 2017 - nach Jahren im Ausland - in die Schweiz zurückkam, um Pflegevater und Beistand meines verwaisten fünfjährigen Göttibubs zu werden – wie von der verstorbenen Mutter gewünscht. Da habe ich gemerkt, dass es im Vormundschaftsrecht einige positive Änderungen gegeben hat, auch wenn es noch weitere Verbesserungen braucht.
Es ist nach wie vor ein Kampf um Standplätze und um Anerkennung der Kultur und Sprache.
Der Chef der zuständigen Kindesschutzbehörde sagte mir, dass er sich mit mir verbunden fühle, weil ich Produzent und Autor des Films «Kinder der Landstrasse» sei. Da hat sich für mich ein Kreis geschlossen, als ich gemerkt habe: Der Film hat etwas bewirkt. Das hat mich gefreut. Aber es sollte weitergehen.
Wie geht es den Jenischen und den Sinti heute in der Schweiz?
Ich verfolge das Thema eher am Rande - ich bin Mitglied der Radgenossenschaft der Fahrenden, das ist die Dachorganisation der Jenischen und Sinti in der Schweiz - aber was ich sehe: Es ist nach wie vor ein Kampf um Standplätze und um Anerkennung der Kultur und Sprache. Persönlich bin ich der Meinung, dass die Sprache der Jenischen auch auf unsere Banknote gehört.
Das Gespräch führte Sibilla Bondolfi.