Während anderthalb Jahren haben die Schweiz und die EU Gespräche geführt; am Ende haben sie sich auf ein gemeinsames Dokument geeinigt, als Basis für die kommenden Verhandlungen. Auf Seite 9 des Dokuments ist die Schutzklausel konkretisiert. Radio SRF liegt die Passage vor und hat diese verschiedenen Gesprächspartnerinnen zur Stellungnahme unterbreitet.
Zum Beispiel Astrid Epiney, Europarechtlerin an der Universität Freiburg. Sie hält es für eine «sehr wichtige politische Absicherung», dass die EU bereit sei zu akzeptieren, dass die Schweiz bedeutende Abschwächungen des Lohnschutzes nicht übernehmen müsse. «Damit kommt ein gewisser Wille der EU zum Ausdruck, die Interessen der Schweiz in diesem Zusammenhang ernst zu nehmen.»
Konkret steht zur Schutzklausel – in umständlichem Englisch: Wenn sich die Schweiz im Bereich der Personenfreizügigkeit und des Lohnschutzes an die EU bindet, muss sie neues EU-Recht übernehmen; sie muss dies aber nicht, wenn das neue EU-Recht den Lohnschutz substantiell schwächt. Auch Roland Müller, der Direktor des Arbeitgeberverbandes, sieht die konkrete Formulierung zum ersten Mal.
Wenn ich das so durchlese, ist unseres Erachtens das Ziel erreicht.
Die Klausel solle ein «Sicherheitsnetz einziehen, um die künftige Entwicklung im Bereich des Lohnschutzes abzusichern», sagt Müller. Demnach müsse die Schweiz nur positive Entwicklungen übernehmen und keine Regelungen, die zu einer Verschlechterung des Lohnschutzes führen würden. «Wenn ich das so durchlese, ist unseres Erachtens das Ziel erreicht.»
Ist damit also alles gut? Keineswegs. Denn es gibt auslegungsbedürftige Formulierungen. Zudem kann sich die Schweiz nur bei neuem EU-Recht auf diese Schutzklausel berufen, nicht aber bei bestehendem EU-Recht. Bekanntlich fordert die EU aber, dass die Schweiz auch aktuelles EU-Recht übernimmt; sie fordert Änderungen der Schweiz, bei der Spesenregelung oder auch der Kautionspflicht.
Man schneidet den einen Finger ab und gibt die Garantie ab, dass wir den zweiten behalten dürfen.
Solche Änderungen würden den Lohnschutz massiv schwächen, kritisieren die Gewerkschaften. Auch deshalb sagt Daniel Lampart: «Die EU-Kommission verlangt von der Schweiz, dass sie den Lohnschutz verschlechtert.» Gleichzeitig biete sie eine Bestandesklausel an, wonach es danach nicht noch schlechter würde. «Man schneidet den einen Finger ab und gibt die Garantie ab, dass wir den zweiten behalten dürfen.» Das sei nicht die Lösung, so Lampart. «Wir brauchen eine Garantie des Lohnschutzes.»
Tatsächlich bringt die Schutzklausel für die Lösung der offenen Streitpunkte nichts. Bei diesen geht es vielmehr um die Frage, wie weit die Schweiz den Forderungen der EU nachgibt und wie sie das mit innenpolitischen Massnahmen kompensiert. Für Lampart gibt es solche innenpolitischen Lösungen aber derzeit nicht. «Es braucht mehr: Der Bundesrat muss den Lohnschutz per Mandat effektiv absichern. Was jetzt auf dem Tisch liegt, ist klar ungenügend.»
Wo genau die Gespräche zu innenpolitischen Massnahmen stehen, ist schwer zu sagen. Bemerkenswert ist aber, dass sich Gewerkschaften und Arbeitgeber fundamental widersprechen. Während Lampart keine Fortschritte sieht, sagt Müller das Gegenteil.
Das alles heisst: Die Schutzklausel ist ein wichtiges Zeichen für die Zukunft, wer sich davon aber eine Lösung für die aktuell konkreten Streitpunkte beim Lohnschutz erhofft hat, sieht sich enttäuscht – umso dringender ist eine Klärung auch bei diesen.