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Schutz vor Lohndumping: Es wird konkret zwischen Bern und Brüssel
Aus Echo der Zeit vom 23.11.2023. Bild: Keystone/Peter Schneider
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Verhandlungen mit Brüssel Schweiz und EU konkretisieren Schutzklausel gegen Lohndumping

Der Lohnschutz ist ein zentraler Punkt bei den Verhandlungen mit der EU. Nun haben die Schweiz und die EU bei ihren Sondierungsgesprächen eine Schutzklausel konkretisiert und ausformuliert.

Während anderthalb Jahren haben die Schweiz und die EU Gespräche geführt; am Ende haben sie sich auf ein gemeinsames Dokument geeinigt, als Basis für die kommenden Verhandlungen. Auf Seite 9 des Dokuments ist die Schutzklausel konkretisiert. Radio SRF liegt die Passage vor und hat diese verschiedenen Gesprächspartnerinnen zur Stellungnahme unterbreitet.

Zum Beispiel Astrid Epiney, Europarechtlerin an der Universität Freiburg. Sie hält es für eine «sehr wichtige politische Absicherung», dass die EU bereit sei zu akzeptieren, dass die Schweiz bedeutende Abschwächungen des Lohnschutzes nicht übernehmen müsse. «Damit kommt ein gewisser Wille der EU zum Ausdruck, die Interessen der Schweiz in diesem Zusammenhang ernst zu nehmen.»

Der Text der «Non-Regression-Clause»

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«The European Commission and Switzerland share the objective to maintain the level of protection of posted workers as agreed between Switzerland and the European Union once Switzerland has taken over the Directives 2014/67 and 96/71/EC as amended by Directive 2018/957. Switzerland should not be bound by amendments to these instruments or by new EU legal instruments in the area of posting of workers where their effect is to meaningfully weaken or reduce the level of protection of posted workers with regard to the terms and conditions of employment, notably remuneration and allowance.»

Deutsche Übersetzung: «Die Europäische Kommission und die Schweiz teilen das Ziel, das gegenseitig vereinbarte Schutzniveau entsandter Arbeitnehmender beizubehalten, sobald die Schweiz die Richtlinien 2014/67 und 96/71/EC, abgeändert durch die Richtlinie 2017/957, übernommen hat. Die Schweiz soll nicht an Änderungen dieser Richtlinien oder an neue rechtliche Instrumente seitens der EU gebunden sein, wenn diese das Schutzniveau entsandter Arbeitnehmender hinsichtlich ihrer Anstellungsbedingungen in bedeutsamer Weise schwächen, vor allem betreffend des Lohns und der Vergütung.»

Konkret steht zur Schutzklausel – in umständlichem Englisch: Wenn sich die Schweiz im Bereich der Personenfreizügigkeit und des Lohnschutzes an die EU bindet, muss sie neues EU-Recht übernehmen; sie muss dies aber nicht, wenn das neue EU-Recht den Lohnschutz substantiell schwächt. Auch Roland Müller, der Direktor des Arbeitgeberverbandes, sieht die konkrete Formulierung zum ersten Mal.

Wenn ich das so durchlese, ist unseres Erachtens das Ziel erreicht.
Autor: Roland Müller Direktor des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes

Die Klausel solle ein «Sicherheitsnetz einziehen, um die künftige Entwicklung im Bereich des Lohnschutzes abzusichern», sagt Müller. Demnach müsse die Schweiz nur positive Entwicklungen übernehmen und keine Regelungen, die zu einer Verschlechterung des Lohnschutzes führen würden. «Wenn ich das so durchlese, ist unseres Erachtens das Ziel erreicht.»

Ist damit also alles gut? Keineswegs. Denn es gibt auslegungsbedürftige Formulierungen. Zudem kann sich die Schweiz nur bei neuem EU-Recht auf diese Schutzklausel berufen, nicht aber bei bestehendem EU-Recht. Bekanntlich fordert die EU aber, dass die Schweiz auch aktuelles EU-Recht übernimmt; sie fordert Änderungen der Schweiz, bei der Spesenregelung oder auch der Kautionspflicht.

Man schneidet den einen Finger ab und gibt die Garantie ab, dass wir den zweiten behalten dürfen.
Autor: Daniel Lampart Chefökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes

Solche Änderungen würden den Lohnschutz massiv schwächen, kritisieren die Gewerkschaften. Auch deshalb sagt Daniel Lampart: «Die EU-Kommission verlangt von der Schweiz, dass sie den Lohnschutz verschlechtert.» Gleichzeitig biete sie eine Bestandesklausel an, wonach es danach nicht noch schlechter würde. «Man schneidet den einen Finger ab und gibt die Garantie ab, dass wir den zweiten behalten dürfen.» Das sei nicht die Lösung, so Lampart. «Wir brauchen eine Garantie des Lohnschutzes.»

Bauarbeiter auf Baustelle, dahinter eine Bergkulisse
Legende: Der Lohnschutz ist ein Zankapfel bei den Verhandlungen der Schweiz mit der EU. Vor allem die Gewerkschaften und die SP fordern, dass eine mögliche Einigung mit der EU den Schutz der Löhne nicht schwächen dürfe. Keystone/Gian Ehrenzeller

Tatsächlich bringt die Schutzklausel für die Lösung der offenen Streitpunkte nichts. Bei diesen geht es vielmehr um die Frage, wie weit die Schweiz den Forderungen der EU nachgibt und wie sie das mit innenpolitischen Massnahmen kompensiert. Für Lampart gibt es solche innenpolitischen Lösungen aber derzeit nicht. «Es braucht mehr: Der Bundesrat muss den Lohnschutz per Mandat effektiv absichern. Was jetzt auf dem Tisch liegt, ist klar ungenügend.»

Stellungnahme das Aussendepartements EDA

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«Für den Bundesrat ist der Lohnschutz ein zentrales Anliegen. In den Sondierungsgesprächen mit der EU und in den inländischen Diskussionen mit den Sozialpartnern, der Wirtschaft und den Kantonen wurde dem Lohnschutz deshalb ein entsprechend hoher Stellenwert beigemessen. Der Bundesrat wird seine Gesamtbeurteilung bei der Verabschiedung des Verhandlungsmandats vornehmen. Zu diesem Zeitpunkt werden alle relevanten Dokumente, inklusive das Common Understanding, veröffentlicht.»

Wo genau die Gespräche zu innenpolitischen Massnahmen stehen, ist schwer zu sagen. Bemerkenswert ist aber, dass sich Gewerkschaften und Arbeitgeber fundamental widersprechen. Während Lampart keine Fortschritte sieht, sagt Müller das Gegenteil.

Lampart und Müller in einer Archivaufnahme
Legende: Man habe – mit Ausnahme der Spesenregelung – bei allen Forderungen innenpolitische Kompensationsmassnahmen gefunden, sagt Roland Müller vom Arbeitgeberverband (rechts): «Deshalb sind wir der Ansicht, dass das Lohnschutzniveau gehalten werden kann.» Gewerkschafter Daniel Lampart (links) sieht das diametral anders. Keystone/Peter Schneider

Das alles heisst: Die Schutzklausel ist ein wichtiges Zeichen für die Zukunft, wer sich davon aber eine Lösung für die aktuell konkreten Streitpunkte beim Lohnschutz erhofft hat, sieht sich enttäuscht – umso dringender ist eine Klärung auch bei diesen.

Echo der Zeit, 23.11.2023, 18 Uhr

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