«Bekämpft die Klimakrise, nicht den Klimastreik!» So wehrt sich das Klimastreikkollektiv St. Gallen gegen neue Absenzregeln. Diese sehen vor, dass Mittelschülerinnen und Mittelschüler im Kanton St. Gallen nicht mehr wegen politischen Veranstaltungen fehlen dürfen. Die Regierung hat diese Anpassung jetzt vorgelegt.
Auslöser für die Vorlage sind die Klimastreiks. 2019 reichte die SVP-Fraktion eine entsprechende Motion ein. Schülerinnen und Schüler seien verpflichtet, die obligatorischen Fächer zu besuchen.
Es sollte gesetzlich explizit festgehalten werden, dass für politische Veranstaltungen keine Absenzen bewilligt werden. Will heissen: Dem Unterricht fernbleiben für eine «Fridays-for-Future»-Kundgebung soll nicht mehr möglich sein.
Rechtsprofessor untermauert Gegenargumente
Die neue Regelung stösst vor allem den Klimastreikenden sauer auf. In der Mitteilung ist die Rede von einem «Armutszeugnis». Thuraya Abbass vom Klimastreikkollektiv St. Gallen: «Warum werden wir mundtot gemacht, wenn wir einfach unseren politischen Willen auf die Strasse tragen? Es ist peinlich, dass uns erst einmal nicht zugehört wird. Und uns dann noch still machen zu wollen? Das ist einfach eine Unverschämtheit.»
In der Schule werde schliesslich politische Bildung vermittelt, nun soll die Möglichkeit der politischen Partizipation eingeschränkt werden, so heisst es. Dieses Argument wird von Benjamin Schindler, Professor für öffentliches Recht an der Universität St. Gallen, bestärkt.
Zwar wird den Klimajugendlichen das Demonstrieren nicht generell verboten - sie sollen es aber in der Freizeit und nicht während der Schule tun. Politische Grundrechte seien mit der neuen Regelung trotzdem eingeschränkt: «Die Meinungs- und Versammlungsfreiheit sind betroffen. Man darf sie zwar einschränken, auch mit Blick auf den Ausbildungsauftrag. Aber in dieser Absolutheit ist es unverhältnismässig», sagt Schindler. Zudem sei der Begriff der politischen Veranstaltung schwammig.
Mehr Fragen als Antworten
Schindler übt auch Grundsatzkritik: «Es wäre sinnvoller, man würde die genaue Auflistung den Schulleitungen überlassen.» In einem Reglement wären die Absenzgründe besser aufgehoben als so detailliert niedergeschrieben in einem Gesetzestext, sagt Schindler.
Für den Rechtsexperten wirft der Artikel mehr Fragen auf, als er beantwortet: «Dürfen Normalbegabte nicht für Sportanlässe und Aufführungen dispensiert werden? Darf jemandem, der bei einem Verein nicht in leitender Funktion ist, keine Absenz gewährleistet werden?» Die detaillierte Auflistung ist nur die eine Seite der Kritik von Benjamin Schindler:
In dieser Absolutheit ist der Gesetzesnachtrag in meinen Augen verfassungsrechtlich problematisch.
Die Klimajugend droht derweil mit Konfrontation: «Von unserer Seite ist mit Widerstand zu rechnen. Man kann nicht von uns erwarten, dass wir stillsitzen und einfach zuschauen, wie man unsere Zukunft bestimmt», sagt Thuraya Abbass vom Klimastreikkollektiv St. Gallen.
Im Februar soll die Vorlage in den Kantonsrat kommen. Da dürften erneut Diskussionen über die Absenzregeln entstehen.