Kaum jemand hätte vor der Corona-Krise damit gerechnet, dass OP-Masken, Schutzkittel oder bestimmte Schmerzmittel in der Schweiz zu Mangelware werden könnten. Und doch: die reiche Schweiz, Heimat innovativer Pharmakonzerne und eines der teuersten Gesundheitssysteme der Welt, beklagte Engpässe bei einfachen medizinischen Gütern.
Es fehlten Produkte, die nicht mehr in der Schweiz oder Europa, sondern in Asien hergestellt werden – aus Kostengründen. Viele Engpässe in den letzten Wochen konnten durch Importe rasch behoben werden. Trotzdem drängt sich die Frage auf: sollen künftig mehr medizinische Grundprodukte hierzulande hergestellt werden?
Die Krise als Chance
Das würde die Versorgungssicherheit in der Schweiz erhöhen, sagt Stefan Grösser. Der Professor für strategisches Management an der Fachhochschule Bern beschäftigt sich mit Entscheidungen in komplexen Systemen. Käme die Produktion für bestimmte Güter zurück in die Schweiz, «dann hätte die Schweiz als Nation eine bessere Kontrolle über die Produktionskapazität und entsprechend im Notfall eine schnellere Versorgung», so Grösser.
Bei OP-Masken ist das schon der Fall. Bei Felix Schönle, Geschäftsführer der Wernli AG, ist im April die erste Maschine eingetroffen, die künftig OP-Masken für Spitäler in Rothrist produzieren wird. Eigentlich sollten bei der Firma Wernli, die medizinisches Verbandsmaterial herstellt, Arbeitsplätze wegfallen. Nun braucht es mehr Leute. «Wir werden locker wieder verdoppelt», freut sich Schönle. Seine Auftragsbücher sind voll, für die nächsten Monate kann er keine zusätzlichen Bestellungen annehmen.
Kosten sind das grösste Risiko
Und danach? Im Moment seien seine Masken zwar günstiger, als solche aus dem Ausland. Langfristig schätzt er aber, dass ihr Preis ein Drittel über dem Preis von Masken aus Asien liegen wird. «Wenn wir ganz schnell wieder zur Normalität zurückwollen und jeder Rappen am Schluss wichtig ist, sehe ich etwas schwarz», so Schönle.
«Ein Risiko ist mit Sicherheit, dass die Kosten explodieren, wenn man die Produktion unkontrolliert in die Schweiz zurückholt», so Stefan Grösser. Das gilt für Masken wie für andere Produkte. Grösser rät deshalb, genau zu evaluieren, welche Produkte für das Gesundheitssystem besonders wichtig sind. Bei der Produktion von Wirkstoffen für Medikamente sei auch eine Kooperation mit anderen europäischen Ländern denkbar.
Potenzial: ja, aber
Produktionskapazitäten für medizinische Wirkstoffe sind besonders teuer und komplex. Sollen diese künftig wieder in der Schweiz produziert werden, braucht es wohl finanzielle Anreize für Pharmaunternehmen. Zuletzt haben die Räte den Bundesrat in der Sondersession beauftragt, die Voraussetzungen für die vermehrte Produktion von Medikamenten und Impfstoffen in der Schweiz zu prüfen.
Eine Rückverlagerung der Produktion wird sich trotzdem noch hinziehen. Selbst die viel simplere Maskenproduktion bei Wernli läuft noch stockend: die Maschinen klemmen, produzieren weniger als geplant. Trotzdem wird nach der Krise nicht mehr nur der Preis eines medizinischen Produkts den Ausschlag geben, glaubt Stefan Grösser. «Ich bin überzeugt, dass künftig mehr innerhalb der Schweiz und innerhalb Europas produziert wird. Das ist eine der wesentlichen Lehren.»