Es ist ein Thema, das man früher vor allem aus weit entfernten Ländern kannte, das aber auch in der Schweiz erschreckend brandaktuell ist: die Verstümmelung von Mädchen und jungen Frauen. Auch bekannt unter der viel harmloser klingenden Bezeichnung der «weiblichen Genitalbeschneidung».
Der brutale Eingriff wird insbesondere in Teilen Afrikas, Asiens und dem Nahen Osten noch vollzogen. Er findet häufig ohne Betäubung, unter unhygienischen Zuständen statt und er kann tödlich enden.
Die Gesetzgebung der meisten Staaten verbietet die weibliche Genitalbeschneidung. Gleichwohl sind immer noch viele Frauen – auch in der Schweiz – davon betroffen.
35 Beratungen im Kanton Zürich
Experten schätzen die Zahl der Betroffenen in der Schweiz auf über 20'000. Sie sind von einer Genitalbeschneidung betroffen oder bedroht. Diverse Kantone haben deshalb Anlaufstellen eingerichtet, die Mädchen und Frauen vor dem Eingriff schützen sollen.
Seit einem Jahr ist eine solche im Kanton Zürich in Betrieb. Frauen und Mädchen können sich dort beraten lassen und Hilfe suchen.
Wir sind gestartet, ohne zu wissen, was auf uns zukommt.
Bisher habe man 35 Beratungen durchgeführt, hiess es an einem Anlass zum ersten Jahrestag. Tönt nicht nach besonders viel, sind im Kanton Zürich doch schätzungsweise knapp 3000 Mädchen und Frauen von einer Beschneidung betroffen oder bedroht.
«Wir sind gestartet, ohne zu wissen, was auf uns zukommt», sagt Katja Theissen, Leiterin der Anlaufstelle. Angesichts der Tatsache, dass die Anlaufstelle erst vor einem Jahr gestartet ist, sei sie sehr zufrieden. Man wolle das Angebot aber noch bekannter machen.
Zwei Millionen Franken stellt der Kanton Zürich für den vierjährigen Betrieb der Anlaufstelle zur Verfügung. Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli (SVP), die sich bereits als Nationalrätin für das Thema starkmachte, sagt: «Für jedes Mädchen, das wir retten konnten, hat es sich gelohnt.»
Betroffene sieht noch Luft nach oben
Mitinitiiert wurde die Anlaufstelle gegen die weibliche Genitalbeschneidung von Sara Aduse. Die heute 32-Jährige wurde als Kind in Äthiopien selber beschnitten. Mit ihrer Stiftung kämpft sie weltweit gegen die Verstümmelung von Frauen und Mädchen.
Für die Zürcher Fachstelle sieht sie noch Luft nach oben. Sie hoffe, dass die Zusammenarbeit mit Frauen aus Kulturkreisen, in denen Genitalbeschneidungen vollzogen werden, noch enger werde. «Mein Wunsch wäre, dass auch eine Betroffene bei der Zürcher Anlaufstelle arbeitet.» Bei den Verantwortlichen stosse sie mit dieser Forderung auf offene Ohren, so Sara Aduse.
Das grösste Potenzial sieht die 32-Jährige aber beim medizinischen Personal. Sara Aduse fordert, dass Ärzte, Gynäkologinnen oder Hebammen bei der Staatsanwaltschaft melden müssten, wenn sie bei einer Frau feststellen, dass sie beschnitten wurde oder die Gefahr dafür bestehe.
Ob Ärztinnen und Ärzte ihre Schweigepflicht in solchen Fällen brechen sollen oder nicht, darüber herrsche derzeit noch eine grosse Unsicherheit, so Sara Aduse.