Die neuesten Aussagen von Virginie Masserey, Leiterin Sektion Infektionskontrolle beim Bundesamt für Gesundheit (BAG), lassen aufhorchen. Vollständig Geimpfte seien vor einer Corona-Infektion geschützt – und nicht nur vor schweren Verläufen.
Wir sehen, dass vollständig geimpfte Personen gut gegen eine Ansteckung geschützt sind.
«Wir haben immer mehr Hinweise dafür, dass die Impfung wirksam gegen eine Übertragung des Virus schützt», sagte Masserey am letzten Point de Presse vom BAG. «Wir sehen, dass vollständig geimpfte Personen gut gegen eine Ansteckung – sei dies mit oder ohne Symptomen – geschützt sind.»
SRF-Wissenschaftsredaktorin Katrin Zöfel zum Umdenken beim BAG, zur Schutzwirkung der Impfung und zum Umgang mit wissenschaftlichen Daten.
SRF News: Warum ist sich das Bundesamt für Gesundheit jetzt plötzlich sicher, dass die Impfung auch Infektionen verhindert, nicht nur Spitalaufenthalte?
Katrin Zöfel: Das ist wie bei einer Waagschale. Eine einzelne Studie reicht nicht, aber immer mehr Studien und Beobachtungen zusammen, die alle in die gleiche Richtung deuten, ergeben am Ende ein klares Bild. Und je mehr geimpft wird, desto mehr zeigt sich: Was man in den Ländern, in denen viel geimpft wird, beobachten kann, der starke Rückgang der Fallzahlen, lässt sich am besten damit erklären, dass die Impfung nicht nur schwere Erkrankungen verhindert, sondern eben auch die Infektion an sich.
Aber man hört immer wieder von Menschen, die sich trotz Impfung infiziert haben. Wie kann das sein?
Der Schutz ist eben nicht 100 Prozent. Eine Impfung wirkt quasi ja von zwei Seiten her gegen das Virus. Erstens: Jemand, der geimpft ist, ist selbst sehr viel weniger anfällig. Und zweitens: Jemand, der sich trotz Impfung infiziert, produziert viel weniger Virus, sodass er oder sie dann viel weniger infektiös ist, also das Virus viel seltener weitergibt. Zum zweiten Punkt gab es schon recht früh Daten – unter anderem eine Studie aus Israel von Anfang Februar. Die zeigte, dass Menschen, die sich zwölf oder mehr Tage nach der Impfung infizierten, eine vierfach geringere Virenlast hatten. Aber eben: Das war nur eine Studie in der Waagschale und nicht mehr. Diese beiden Effekte, diese beiden Seiten, schlagen sich jetzt zusammen in den sinkenden Fallzahlen nieder. Aber für den oder die Einzelne heisst das immer noch nicht, dass er komplett geschützt wäre.
Aber was bedeutet das konkret?
Es besteht ein relativ breiter Konsens, dass die Impfungen Ansteckungen verhindern, und zwar nicht nur ein bisschen, sondern deutlich. Aber wie stark genau der Effekt ist, ob nun 80 Prozent oder mehr, oder doch nur 60 Prozent, das ist deutlich schwerer zu fassen, und die Studien widersprechen sich hier auch immer noch. Das heisst, man kann sich als Geimpfter an einem Ort, wo viele Infizierte sind, nicht zu 100 Prozent sicher fühlen. Aber wenn eine Geimpfte umgeben ist von einer Bevölkerung, in der wenig Virus zirkuliert, dann ergibt das schon einen sehr guten Schutz. Und die Impfung sorgt dann mit dafür, dass die Situation stabil bleibt, und weiter wenig Virus zirkuliert.
Warum stellt sich das eigentlich erst jetzt heraus, konnte man das nicht direkt bei den ersten Studien klären?
Das liegt vor allem an der sehr breiten Spanne, wie eine Corona-Infektion verlaufen kann. Der Anteil an Infektionen, die symptomlos verlaufen, ist hoch, verglichen mit anderen Krankheiten. Hätte man diese symptomlosen Infektionen in den grossen Studien sicher erfassen wollen, hätte man regelmässig alle Studienteilnehmer durchtesten müssen. Das wäre sehr aufwendig und teuer gewesen, deshalb wurde das zunächst nur in kleineren Studien oder nur zu einem bestimmten Zeitpunkt gemacht, und nicht mehrmals. Deshalb musste man abwarten, bis sich der Effekt ausserhalb der Studien in der realen Welt zeigt.
Das Gespräch führte Benedikt Widmer.