«La Ville d'Images» nennt sich Vevey. Nun aber – ausgerechnet vor der Fête des Vignerons – gibt die Stadt selber ein schlechtes Bild ab. In der Altstadt sitzen zwei der drei suspendierten Mitglieder der Stadtregierung: Michel Agnant und Jérôme Christen von der Mitte-Bewegung «Vevey Libre», beide Mitte fünfzig und seit Jahren in der Politik.
Christen sagt, er und Agnant seien im «Hôtel de Ville» nicht mehr erwünscht. Damit vertrete die Stadtregierung nicht mehr die Bevölkerung: «Der Wille der Wähler von 2016 wird nicht mehr respektiert, auch nicht die damalige politische Neuausrichtung – den Stimmbürgern von Vevey wurden durch unsere Suspendierung die demokratischen Rechte entzogen.»
Der tiefe Fall der «Whistleblower»
Wie konnte es so weit kommen? Die Stadt befindet sich seit anderthalb Jahren im Ausnahmezustand – seit eine Affäre um SP-Exekutivmitglied Lionel Girardin öffentlich wurde. Dieser steht im Verdacht, sich über 200'000 Franken aus einer Stiftung für Sozialwohnungen selber zugeschanzt zu haben. Die Waadtländer Staatsanwaltschaft nahm Ermittlungen auf und im Sommer 2018 wurde Girardin suspendiert.
Hier kommen auch Christen und Agnant ins Spiel: Sie nehmen für sich in Anspruch, Alarm geschlagen zu haben. In der Stadtregierung seien sie aber auf taube Ohren gestossen. Darauf gaben sie Informationen an ihren Anwalt, ihren politischen Berater und an die Geschäftsprüfungskommission des Stadtparlaments weiter.
Deshalb ermittelt nun die Staatsanwaltschaft wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses gegen die beiden Politiker und Ende Jahr wurden sie ebenfalls suspendiert. «Wir fühlen uns ungerecht behandelt, wir haben ein Problem aufgedeckt und nun befinden uns selber auf der Anklagebank. Auch ein fünfjähriges Kind versteht, dass Ungerechtigkeit nicht hingenommen werden darf», sagt Agnant.
Aussage gegen Aussage
Nicht alle in Vevey nehmen ihnen aber die Rolle als Whistleblower ab, inklusive die verbleibenden Mitglieder der Stadtregierung. Es steht Aussage gegen Aussage. Die Stadtregierung ist nun nicht mehr beschlussfähig, nur noch zwei gewählte Mitglieder sind noch im Amt, Stadtpräsidentin Elina Leimgruber von den Grünen und Etienne Rivier von der FDP.
Der Kanton stellte ihnen deshalb zwei Verwalter zur Seite. Auch so funktioniere die Regierung, sagt Stadtpräsidentin Elina Leimgruber: «Wir machen die Arbeit zu viert. Zu fünft wäre zwar angenehmer gewesen, aber wir kommen trotzdem bei allen Dossiers voran, wir arbeiten zum Wohl der Bevölkerung.»
Willkommene Ablenkung vom Polit-Chaos
Aber: Es brodelt weiter in Vevey. Die Unterstützer von Christen und Agnant verlangen den Rücktritt der Stadtpräsidentin und von Rivier, und gehen auf die Strasse. Bis die Strafverfahren abgeschlossen sind, zeichnet sich kein Ausweg aus der Krise ab. Alle Mitglieder der Stadtregierung hoffen nun, dass die Ermittlungen möglichst bald abgeschlossen werden.
Immerhin: Der Streit in der Stadtregierung färbt nicht direkt auf das Winzerfest ab – weil das von der Winzerbruderschaft, der Confrérie des Vignerons – organisiert wird. Und dieses Winzerfest wird nun während eines Monats für andere Schlagzeilen sorgen als die Krise in der Stadtregierung – eine willkommene Pause für die zerstrittene Lokalpolitik.