- Eine Gruppe älterer Schweizerinnen könnte Justizgeschichte schreiben – und zwar weit über die Schweizer Landesgrenzen hinaus.
- Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) fällt ein Grundsatzurteil über die Klage der Seniorinnen gegen die Schweiz.
- Das Gericht entscheidet, ob die Schweiz zu wenig unternimmt im Kampf gegen den Klimawandel.
Klimaseniorin Rosmarie Wydler-Wälti wird mit Dutzenden Mitstreiterinnen der Urteilsverkündung beiwohnen. Und zwar, wie sie sagt, «freudig, aufgeregt und voller Spannung». Es ist für sie ein grosser Moment: «Da kommt nun das entscheidende Urteil, auf das wir schon seit Jahren warten.»
Klimaschutz ein Menschenrecht?
Was sie sich erhofft: «Klimaschutz ist ein Menschenrecht – das wäre das optimale Urteil für uns. Damit die Schweiz nun dringend verpflichtet wird, effizient vorwärtszumachen mit der Klimapolitik.»
Seit acht Jahren fordert der Verein Klimaseniorinnen ein stärkeres Engagement der Schweiz für den Klimaschutz. Gerade für ältere Frauen sei der rapide Klimawandel eine existenzielle Bedrohung, so die Begründung.
Schweizer Gerichte traten indes gar nicht materiell auf die Klage ein und wiesen sie ab. Daraufhin wandten sich die Klimaseniorinnen an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg. Dort stehen ihre Chancen besser.
Wenn die Politik nicht handelt, dann hat jeder Mensch das Recht, sich an ein Gericht zu wenden.
Hinter den Klimaseniorinnen steht die kampagnenerprobte Umweltorganisation Greenpeace. Für deren Vertreter Georg Klingler ist die Gerichtsentscheidung offen: «Alles ist möglich. Wir haben drei Szenarien, die wir vorbereiten.»
Als Erfolg gälte schon, wenn der EGMR den Klimaseniorinnen im Grundsatz recht gäbe: «Die richterliche Feststellung, dass der Klimaschutz menschenrechtsrelevant ist, wäre schon sehr wichtig. Das könnte für unsere Klimapolitik, so wie sie jetzt aufgegleist ist, bedeuten, dass sie deutlich verstärkt werden muss.»
Zwei weitere Klimaurteile erwartet
Die Klimaseniorinnen brachten mit ihrer Kampagne und ihrer Klage Dynamik in die Klimadebatte. Sie mobilisierten aber zugleich viele Gegner. Manche von ihnen finden es unstatthaft, dass nun auf dem Weg über die Justiz versucht wird, die eher bedächtige Klimapolitik und damit das Stimmvolk zu übersteuern. Von Zwängerei ist die Rede.
Klingler von Greenpeace wehrt sich gegen diesen Vorwurf: «Die Gerichte hier sind die richtigen Instanzen, um zu entscheiden, wie wir uns aufstellen müssen, damit die Grundrechte der Menschen gewahrt sind.» So sei nun mal unser Rechtssystem. Und Rosmarie Wydler-Wälti findet: «Wenn die Politik nicht handelt, dann hat jeder Mensch das Recht, sich an ein Gericht zu wenden.»
Gleichzeitig fällt der Strassburger Gerichtshof zwei weitere Klimaurteile. Im einen geht es um die Klage eines ehemaligen Bürgermeisters gegen Frankreich, weil dessen Regierung zu wenig unternehme, um Überflutungen seiner Gemeinde am Ärmelkanal zu verhindern.
Im anderen klagen junge Portugiesinnen und Portugiesen gleich gegen 33 Länder wegen gravierender klimapolitischer Versäumnisse. Unter den drei Klagen gilt jene der Schweizer Klimaseniorinnen als chancenträchtigste.