Asylchaos, Asylbetrug, Asylschmarotzer: Die SVP spart nicht mit deutlichen Worten, um ihre Stammwählerschaft aufzurütteln. Dass die Partei auf das Thema Migration setzt, sei richtig, finden zwei Politologen und ein Kampagnenprofi. Denn der Bund erwartet für den Herbst einen markanten Anstieg der Asylgesuche.
Andreas Hugi von der Kampagnenagentur Furrer-Hugi ist kein Fan von Kraftausdrücken. Doch er verweist aufs benachbarte Ausland, dort sei der Ton noch viel schärfer als in der Schweiz: «Wir sind in der Schweiz relativ schnell empört über politische Kampagnen. Unser politisches System hält aber sehr viel aus – auch ein paar Kraftausdrücke.»
Die SVP setzt seit Jahren auf provokante Töne und bewirtschaftet vor allem die Themen Europa und Migration. Bei den letzten Wahlen 2019 stand jedoch das Klima im Vordergrund, die SVP verlor prompt fast vier Prozentpunkte. Jetzt greift sie wieder an mit dem Asylthema.
Den Wahlsieg auf sicher habe die SVP damit jedoch nicht, sagt Michael Hermann von der Forschungsstelle Sotomo. Und auch die Grünen dürften im Herbst eher verlieren als zulegen. Themen wie Klimawandel oder Migration hätten heute nicht mehr dieselbe Brisanz wie vor zehn Jahren, sagt Hermann. «Ein extremer Sommer oder hohe Zuwanderungszahlen sind zuerst vielleicht ein Schock. Aber im nächsten Jahr haben sich die Menschen schon etwas daran gewöhnt.»
Deshalb zweifelt Hermann daran, ob das Asylthema bis zu den Wahlen am 22. Oktober tragen wird. Zudem habe die SVP die Lancierung ihres Wahlkampfthemas selbst sehr ungeschickt ausgebremst. Noch vor dem Sonderparteitag in der Urschweiz setzten die Partei und ihr Nationalrat Andreas Glarner provokante Tweets zum Feldgebet von muslimischen Armeeangehörigen ab. Die SVP sah wegen des Gebets Kinderehen und Steinigungen auf die Schweiz zukommen.
Andreas Glarner ist der Choreografie der Partei in die Parade gefahren.
Das brachte zwar viel Aufmerksamkeit, sagt Hermann, aber es habe vom eigentlichen Wahlkampfthema abgelenkt: «Glarner ist der Choreografie der Partei in die Parade gefahren. Vom Parteitag hat man dann viel weniger mitgekriegt.»
Die Tweets seien auch wahlkampftaktisch ungeschickt, weil Islamismus als spezifischer Teil des Themas Migration in diesem Wahljahr keine grosse Rolle spiele. Die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus hat die Tweet-Kampagne als rassistisch und hetzerisch bezeichnet. Persönlich und als Milizoffizier distanziert sich Kampagnenprofi Hugi von den Tweets.
Aus Wahlkampfsicht seien die Tweets allerdings geschickt, sagt Hugi. Die SVP habe die Reaktion der Antirassismus-Kommission wohl bewusst provoziert, um ihre Wählerschaft zu mobilisieren.
Geht die Rechnung auf?
In diese Richtung argumentiert auch Politikprofessor Georg Lutz von der Universität Lausanne. Für Aufregung zu sorgen, sei Teil der SVP-Strategie und habe mit den Tweets funktioniert: «Es hat geholfen, weil es in das Muster passt: Die SVP kann dann sagen, die Schweiz sei gefährdet. Das ist eine Provokation, wie sie die Partei liebt.»
Die SVP werde provozieren, solange die Rechnung aufgehe und von ihrer Basis gehört werde. Die drei Experten warnen jedoch vor einer allzu radikalen Sprache.
Lutz findet grobe Töne riskant, gerade für den Ständeratswahlkampf der SVP: «Denn dort muss sie mehrheitsfähig sein.» Eine solche Kampagne würde der Mehrheitsfähigkeit ihrer Kandidierenden eher schaden.