- Im SRG-Wahlbarometer kann die SVP als klar stärkste Kraft noch einmal zulegen.
- Bei den Wahlen am 22. Oktober 2023 könnte es ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen FDP und Mitte um Platz 3 geben.
- Das grösste Ärgernis der Schweizer Wahlberechtigten sind die CS-Misswirtschaft und die Boni, gefolgt von den Klimaklebern und der Genderdebatte/«Wokeness».
FDP gegen SP, Mitte gegen Grüne: Lange sah es so aus, als ob diese Duelle die eidgenössischen Wahlen am 22. Oktober prägen würden. Nun aber kommt Bewegung in die Sache: Im neuesten Wahlbarometer der SRG verliert die FDP den Anschluss an die SP. Die Grünen drohen derweil die 10-Prozent-Hürde nicht zu schaffen.
Die Mitte ist dagegen im Aufwind und rückt der FDP gemäss Wahlbarometer bis auf 0.3 Prozentpunkte auf die Pelle. «Mit einem solch spannenden Rennen haben nicht mehr allzu viele gerechnet», sagt Michael Hermann, Leiter der Forschungsstelle Sotomo, welche die Umfrage im Auftrag der SRG durchführte.
Wir sehen jetzt, dass die letzten Wahlen sehr aussergewöhnlich waren.
Die Ergebnisse müssen mit Zurückhaltung interpretiert werden, zumal die Veränderungen im Fehlerbereich von +/- 1.2 Prozentpunkten liegen. Für Politikwissenschaftler Hermann ist ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen FDP und Mitte aber realistisch: «Offensichtlich zahlt sich die Fusion von CVP und BDP aus. Es scheint, dass die neue Partei beide Wählerschaften mitnehmen kann – und das reicht, um auf Augenhöhe mit der FDP zu sein.»
Besondere Brisanz kommt dem Duell zu, weil die drittstärkste Partei der Schweiz zurzeit zwei Bundesräte stellt. Gleichzeitig könnte es für die Grünen nach den Wahlen schwierig werden, einen Platz im Bundesrat zu beanspruchen.
Grünes Leiden am eigenen Erfolg
Die GLP legt zwar leicht zu, kann aber nicht verhindern, dass der «Grünrutsch» von bei den Wahlen 2019 zu versanden droht. «Wir sehen jetzt, dass die letzten Wahlen sehr aussergewöhnlich waren», bilanziert Hermann.
Für die Befragten bleibt der Klimawandel zwar die grösste politische Herausforderung. «Das Thema hat aber nicht mehr dieselbe Dringlichkeit wie vor vier Jahren. Die Grünen können damit nicht mehr so mobilisieren», schätzt Hermann. «Zudem kann man fast nur verlieren, wenn man so viel gewonnen hat wie die Grünen bei der letzten Wahl.»
Ein Teil der linken Wählenden, die sich 2019 für die Grünen entschieden haben, scheinen zu den Sozialdemokraten zurückzukehren. Die SP kann sich nun deutlich von der FDP absetzen.
«Korrekturwahl» statt Rechtsrutsch
Klar stärkste Kraft bleibt die SVP, die im Herbst ihr drittbestes Wahlresultat der Geschichte realisieren könnte. Die Partei könne sich nach Corona nun wieder mit ihren Kernthemen wie Asyl und Zuwanderung profilieren, sagt der Politologe. Ein eigentlicher Rechtsrutsch ist aber nicht zu erwarten.
Stattdessen spricht Hermann von einer «Korrekturwahl»: «Vor vier Jahren ist das Pendel sehr stark Richtung grün und progressiv ausgeschlagen. Nun schlägt es wieder zurück.» Allerdings: Die SVP gewinnt gemäss Wahlbarometer nur etwa die Hälfte der verlorenen Stimmen zurück, und die Grünen verlieren ihrerseits nur etwa die Hälfte der zugewonnenen Stimmen.
Die Emotionen schaukeln sich auf
«Frauenwahl», «Klimawahl», «Grünrutsch»: Die Wahlen 2019 führten zu historischen Verschiebungen im Parlament. Vier Jahre später zeigt sich aber auch: Um die Themen entfaltet sich ein neuer Kulturkampf in der Schweiz. «Gerade die Wählerschaft der SVP regt sich über ‹Wokeness›, Gender und Klimakleber auf, genauso wie ein Teil der FDP-Basis», sagt Politologin Sarah Bütikofer von Sotomo.
Bemerkenswert: Für Männer sind diese Themen gegenwärtig die Ärgernisse Nummer eins im Land. Die SVP trifft also mit ihrem Wahlkampf, der auch diese Themen stark in den Fokus rückt, besonders bei ihnen einen Nerv – zumindest im rechtsbürgerlichen Spektrum.
Doch auch von linker Seite wird die Aufregung befeuert. Die Forschungsstelle Sotomo beobachtet ein emotionales Aufschaukeln, wie man es auch aus dem Ausland kennt – multipliziert durch die sozialen Medien. Viele Menschen empfinden denn auch genau diese zunehmende Polarisierung als belastend, wie die Umfrage zeigt.
Die gute Nachricht: Anzeichen für einen gesellschaftlichen Bruch wie etwa in den USA gibt es derzeit nicht. «Die Schweiz ist ein sehr stabiles politisches System», erklärt die Politologin. «Die direkte Demokratie ermöglicht es der Bevölkerung, sehr regelmässig über Sachfragen zu befinden.»
Und: Der grösste Aufreger überhaupt bleibt bei den Schweizer Wahlberechtigten das Debakel um die Credit Suisse. «Das hilft sicherlich der politischen Linken und dort insbesondere der SP, die sich von Anfang an stark positioniert hat und mit dieser Thematik schon in der Vergangenheit mobilisieren konnte», schliesst Bütikofer.