Am 22. Oktober werden in der Schweiz National- und Ständerat neu besetzt. Die Bundesräte werden den Ausgang der Wahlen mit Argusaugen verfolgen: Denn die eidgenössischen Wahlen sind der Prolog für die eigene Schicksalswahl.
Erleidet die eigene Partei bei den Wahlen im Herbst eine empfindliche Niederlage, könnte das für so manches Regierungsmitglied unangenehm werden. Werbung in eigener Sache kann eine positive Wahrnehmung in der Schweizer Stimmbevölkerung liefern. Das SRG-Wahlbarometer hat eben diese erfasst.
Alain Berset: Abschied nach Mass?
Keine Sorgen über eine Wiederwahl muss sich Alain Berset machen. Denn nach 12 Jahren und drei Legislaturen verlässt der «ewige Innenminister» den Bundesrat. Bei der Mehrheit der Bevölkerung geniesst er hohes Ansehen: Er gilt als einflussreichstes Mitglied im Gremium, und auch im Sympathieranking ist er an zweiter Stelle. Allerdings finden auch 17 Prozent der Befragten den SP-Bundesrat unsympathisch.
In den letzten Jahren machte Berset auch Negativschlagzeilen: ein Erpressungsversuch durch eine Geliebte, ein Irrflug in Frankreich, mutmassliche Indiskretionen durch seinen langjährigen Kommunikationschef. Zieht all das spurlos am Magistraten vorbei?
«Berset hat während der Corona-Pandemie Eindruck gemacht», erklärt Politologe Michael Hermann von der Forschungsstelle Sotomo, welche die Wahlbarometer-Umfrage im Auftrag der SRG durchführte. «Die Menschen schätzen ihn, weil er klar kommuniziert. Dann verzeiht man solche Skandale und Skandälchen auch.»
Viola Amherd: die Landesmutter
Jovial, direkt, volksnah: Die erste Frau an der Spitze des Verteidigungsdepartements kommt beim Schweizer Stimmvolk gut an. «Die Landesmutter aus dem Wallis verzeichnet die höchsten Sympathiewerte aller Bundesräte», sagt Politologin Sarah Bütikofer von Sotomo.
Zum Kerngeschäft im VBS gehört es, dem Volk teure Rüstungsprojekte schmackhaft zu machen – keine allzu dankbare Aufgabe. Mit dem Krieg in der Ukraine bekam Amherd aber eine sichtbarere Rolle, auch auf aussenpolitischem Parkett. Allzu grossen Einfluss im Bundesratsgremium schreiben ihr die Befragten trotzdem nicht zu.
Elisabeth Baume-Schneider: sympathisch, aber...
Neu im Bundesrat, aber noch nicht ganz im Zentrum der Macht angekommen: Das neue Schlusslicht im Einflussranking bildet Elisabeth Baume-Schneider. Im Dezember letzten Jahres gelang der bis dahin wenig bekannten SP-Ständerätin der Sprung in den Bundesrat – ein Überraschungscoup im Duell mit Kronfavoritin Eva Herzog.
«Sie war nicht das typische Schwergewicht, das dann auch in den Bundesrat gewählt wird», führt Hermann aus. «Das hängt ihr noch immer in der Wahrnehmung der Bevölkerung an.» Kommt hinzu: Baume-Schneider kommt aus dem Jura, einer Randregion. Und im Justizdepartment mit dem Kern- und Reizthema Asyl und Migration ist es schwierig, zu punkten.
Ignazio Cassis: Aussenminister im Umfragetief
Wie bereits in den früheren Befragungen finden Ignazio Cassis sowohl am wenigsten Befragte sympathisch wie auch am meisten unsympathisch. «Cassis konnte sich von seinem extremen Tief zwar ein bisschen erholen», schätzt Politologin Bütikofer. Seine zur Halbzeit der Legislaturperiode gewonnenen Sympathien hat er aber wieder vollständig eingebüsst.
Nachhaltigen Rückenwind hat ihm sein Präsidialjahr 2022 nicht gegeben. Im Einflussranking ist der Tessiner FDP-Bundesrat auf dem vorletzten Platz. Cassis hat bereits angekündigt, sich an der Wintersession zur Wiederwahl zu stellen.
Albert Rösti: der Energieminister
Im Gegensatz zu Baume-Schneider konnte sich Albert Rösti in seinem neuen Amt rasch profilieren – zumindest in der Wahrnehmung der Bevölkerung: Er gilt als Bundesrat mit dem drittgrössten Einfluss. Geholfen hat dem Berner SVP-Bundesrat und ehemaligen Parteipräsidenten dabei zweifelsfrei sein Bekanntheitsgrad.
Auffallend: «In den Medien wird Rösti meist als Energieminister bezeichnet», sagt Bütikofer. «Dies im Gegensatz zu seiner Vorgängerin Simonetta Sommaruga, die in der Berichterstattung und Wahrnehmung die Umweltministerin war.» Im Juni konnte Bundesrat Rösti mit dem Klimaschutzgesetz einen ersten Abstimmungssieg verbuchen – auch wenn seine eigene Partei das «Stromfresser-Gesetz» bekämpfte.
Karin Keller-Sutter: mächtig, aber wenig volksnah
Ihr Wechsel vom Justiz- ins Finanzdepartement konfrontierte Karin Keller-Sutter mit dem Niedergang einer helvetischen Institution. Mit heiligem Ernst moderierte die FDP-Bundesrätin das CS-Debakel. Von ihrem Tief in der Pandemie hat sich Keller-Sutter erholt. Die mediale Dauerpräsenz und der Departementswechsel haben sich auch auf ihren wahrgenommenen Einfluss ausgewirkt: Sie ist Alain Berset dicht auf den Fersen.
Für Politologe Hermann ist die St. Gallerin das Paradebeispiel dafür, dass Sympathie und Einfluss nicht gleichbedeutend sind: «Wie Berset wird Keller-Sutter als einflussreich angeschaut. Von ihrer Art der Kommunikation her ist sie aber kühler und reservierter.» Das spürt auch die Bevölkerung – und reagiert ihrerseits leicht unterkühlt.
Guy Parmelin: der zweite SVP-Bundesrat
Wirtschaftsminister Guy Parmelin stand im Bundesrat lange im Schatten seines Parteikollegen Ueli Maurer, der Ende letzten Jahres den Bundesrat verlassen hat. Nun ist es Albert Rösti, dem in der Bevölkerung ungleich grösserer Einfluss zugeschrieben wird. Die Freude am Regieren ist ihm aber nicht abhanden gekommen: Am Tag nach Alain Bersets Rücktritt liess er via Twitter verlauten, dass er Ende Jahr zur Wiederwahl antritt.
Als Höhepunkt von Parmelins bald acht Jahren im Bundesrat gilt sein Präsidialjahr 2021. «Damals erlebte er ein Hoch, doch seither ist sein wahrgenommener Einfluss wieder abgeflaut», schliesst Bütikofer.