Bis zu den eidgenössischen Wahlen dauert es noch gut zwei Monate; die heisse Phase des Wahlkampfs ist eingeläutet, auch für die Grünen. Derzeit sieht es aber nach einem Verlust für die Grüne Partei bei den nationalen Wahlen aus.
Dabei war der Juli der heisseste je gemessene Monat, die Meerestemperaturen erreichen Rekordwerte, die Gletscher schmelzen weiter – eigentlich sind das Themen, die der Grünen Partei helfen sollten. Was machen die Grünen falsch? Haben sie zu wenig aus dem historischen Wahlsieg 2019 gemacht? Und haben sich die Klimaaktivisten und die Grünen auseinandergelebt? Oder ist ganz einfach der Präsident, Balthasar Glättli, das Problem?
SRF News: Wie fühlt es sich an, wenn man weiss, jetzt gilt es ernst und man gleichzeitig davon ausgehen muss, dass man verlieren wird?
Balthasar Glättli: Wir wollen weiterhin drittgrösste Partei werden, wir haben Ambitionen. Man kann aber auch sagen – okay, wir sind schlecht in den Umfragen, aber wir haben das grösste Potenzial.
Ich bin keiner, der alle fünf Minuten den Weltuntergang verkündet, weil Angst gut mobilisiert.
Interessant ist, dass trotz des wärmsten Monats Juli, trotz enorm hoher Meerestemperaturen, trotz schmelzender Gletscher, die Grünen nicht davon profitieren. Warum nicht?
Ich weiss es nicht und ich bin auch keiner, der alle fünf Minuten den Weltuntergang verkündet, weil Angst gut mobilisiert, aber ich bin selber erschrocken, als ich die neusten Umfragen sah. Eine mögliche Erklärung könnte sein, dass es Menschen gibt, die sagen, es sei so oder so schon zu spät.
Verschiedene andere Politiker sagen, dass auch die Klimaaktivisten, die sich an die Autobahn kleben, den Grünen schaden.
Ich bin kein Politologe. Aber Michael Hermann sagt zum Beispiel, nein, er sehe das nicht so. Aber es kann sein, dass dies eine Mobilisierung auf der anderen Seite, auf der rechten Seite, auslöst. Also dass jemand der SVP, der vor vier Jahren zu Hause blieb, nun sagt – «jetzt Gopf, jetzt haue ich den Klimaklebern eins rein, jetzt gehe ich SVP wählen».
Müssten Sie dann nicht kritischer mit den Klimaaktivisten umgehen?
Ich teile ja diese Analyse. Ich muss aber auch sagen, ich bekomme viele andere Rückmeldungen, dass die Aktivisten die Dringlichkeit erkannt hätten und wir in der Politik nicht entsprechend handeln würden.
Die SP und die Grünen sind praktisch deckungsgleich und gleichzeitig Konkurrentinnen. Wenn man sich in die Position eines Wählers oder eine Wählerin versetzt, wählen diese Personen nicht die Partei mit mehr Einfluss, und das ist doch meistens die SP?
Man muss mir schon erklären, warum eine FDP, die gemäss aktuellen Umfragen etwa gleich stark ist, wie die Mitte, zwei Sitze hat und die Grünen, die massiv untervertreten sind, keinen Sitz haben.
Das ist eben nicht der Fall. Das ist völlig falsch, das ist eine komische Vorstellung, dass eine Stimme der SP mehr Wert hat als eine Stimme der Grünen. Es ist auch nicht so, dass wir nur im Umweltbereich gestaltend in den Kommissionen unterwegs sind. Nehmen wir das Thema Kriegsgewinnsteuer, Rohstoffhandelsfirmen, die enorm am Krieg verdienen; hier und in anderen Bereichen haben wir wichtige Themen auf die Agenda gesetzt.
Eine Frage noch zu den Bundesratswahlen. Ein Angriff der Grünen auf einen SP-Sitz würde das Verhältnis auf der linken Seite ziemlich verschlechtern.
Deshalb haben die aktuellen Umfragen nicht nur Negatives. Wenn man die aktuellen Umfragen anschaut, sind zwei Parteien etwa gleich gross, die Mitte und der Freisinn, die SP geht wieder aufwärts, was ihre beiden Sitze stärkt. Das ist auch gut so – aber dann muss man mir schon erklären, warum eine FDP, die gemäss aktuellen Umfragen etwa gleich stark ist, wie die Mitte, zwei Sitze hat und die Grünen, die massiv untervertreten sind, keinen Sitz haben.
Das Gespräch führte Oliver Washington.