Das Gerangel um die 24 Berner Nationalratssitze ist so gross wie nie zuvor. Nach der grünen Welle vor vier Jahren lautet die grosse Frage, ob sich die Umfragen bewahrheiten. Holt sich die SVP ihre verlorenen Sitze zurück – und müssen die Grünen Sitzverluste hinnehmen?
Politologe Marc Bühlmann ordnet die Situation der Parteien im Kanton Bern ein.
SVP: Die SVP hat 2019 zwar zwei ihrer neun Sitze im Nationalrat verloren, blieb aber im Kanton Bern stärkste Kraft. Drei Bisherige treten dieses Jahr nicht mehr an. Diese Abgänge kann die Partei aber relativ gut verkraften. Als grösste Partei im Kanton ist sie weniger auf Wahllokomotiven angewiesen als kleinere Parteien. Die Themenkonjunktur (z.B. Migration, die Red.) hilft derzeit eher, das rechtskonservative Lager zu mobilisieren. Dies im Gegensatz zu 2019, als die Klimawahl zu Sitzverlusten der SVP führte. Das lag daran, dass die SVP-Wähler damals eher zu Hause geblieben sind. Das dürfte dieses Jahr anders sein: Betrachtet man die Umfragen und die letzten kantonalen Wahlen, spricht alles eher für die SVP.
Grüne: 2019 profitierten die Grünen davon, dass die Leute wegen der Klimathematik und der Klimabewegung an die Urne gingen. Personen spielten weniger eine Rolle; obwohl die ehemalige Grüne Präsidentin Regula Rytz stark mobilisieren konnte. Das fällt bei diesen Wahlen weg. Nathalie Imboden, ihre Nachfolgerin im Nationalrat, ist weniger bekannt, die Klimabewegung weniger präsent. Gut möglich, dass die Grünen im Kanton Bern schlechter abschneiden als vor vier Jahren.
SP: Mit Corrado Pardini und Adrian Wüthrich wurden 2019 zwei SP-Männer abgewählt. Dies, weil es nicht nur eine Klimawahl war, sondern eben auch eine Frauenwahl. Der Frauentrend bei den Linken hält wohl an: Ich gehe nicht davon aus, dass SP-affine Wählerinnen und Wähler jetzt plötzlich wieder Männer wählen. Die Sitzverteilung zwischen Frauen und Männern in der SP wird also wohl gleich bleiben.
Mitte-Parteien: Erstmals tritt in Bern die ehemalige CVP/BDP als Mitte an, dies in einer breiten Listenverbindung mit GLP und EVP. Dies kann zu Sitzverschiebungen führen. Es hängt von ganz wenigen Stimmen ab, ob die Mitte allenfalls einen Sitz mehr machen kann als 2019. Dies allenfalls auf Kosten der GLP. Die EVP wird den Sitz wohl halten können: Sie hat seit Jahrzehnten einen Wähleranteil von vier bis fünf Prozent.
FDP: Sandra Hess will den Nationalratssitz von Christa Markwalder erben. Obwohl sich die FDP seit einiger Zeit im Krebsgang befindet, dürfte sie ihre zwei Sitze halten können. Dies umso mehr, als die FDP dieses Jahr, im Gegensatz zu 2019, eine Listenverbindung mit der SVP eingegangen ist.
Es hängt von ganz wenigen Stimmen ab, ob die Mitte allenfalls einen Sitz mehr machen.
EDU: Auch 2019 konnte die Partei dank Restmandaten und einer sehr breiten Allianz einen Sitz erringen. Nun ist sie zwar diverse Listenverbindungen eingegangen, etwa mit der massnahmenkritischen Gruppe Aufrecht sowie mit Madeleine Amstutz, die auf einer eigenen Liste kandidiert. Es könnte aber sein, dass es weder für die EDU noch für Amstutz für einen Sitz reicht und stattdessen die SVP den Sitz holt.