Der Kanton Zürich will in Sachen Gleichstellung von Menschen mit Behinderung Vorreiter sein. Im letzten Jahr hat das Kantonsparlament einem neuen Gleichstellungsgesetz zugestimmt – ohne eine einzige Gegenstimme. Doch gerade das Parlament selbst hat bezüglich Inklusion noch Aufholbedarf.
Es gibt immer noch einige Leute, die ihre Behinderung verdeckt halten und sich nicht outen wollen
Seit acht Jahren sitzen nämlich keine Menschen mit Behinderung mehr im Zürcher Kantonsrat – zumindest weiss man nichts davon. «Es gibt immer noch einige Leute, die ihre Behinderung verdeckt halten und sich nicht outen wollen», sagt Matthias Engel. Er engagiert sich seit vielen Jahren für die Organisation Procap Zürich, hat selbst zwei missgebildete Daumen – die sogenannte Sechsfingrigkeit – und bewirbt sich nun für die FDP um einen der 180 Sitze im Zürcher Kantonsrat.
Zwar sei eine Behinderung nur eine Facette einer Person, sagt Engel. Doch man blicke schon anders auf die Themen, wenn man die Hürden im Alltag aus eigener Erfahrung kenne. Zum Beispiel im öffentlichen Verkehr. Matthias Engel stört sich daran, dass viele Trams in Zürich immer noch nicht stufenfrei sind. «Dass der Kanton Zürich gerade beim ÖV so rückständig ist, finde ich sehr schade.»
Für mich ist es wichtig, eine Stimme zu haben.
Doch längst nicht nur im öffentlichen Verkehr gebe es noch Aufholbedarf, fügt Elif Akyol an. Auch Schwimmbäder seien häufig nicht gut zugänglich für Menschen mit Behinderung. Akyol ist seit Geburt auf den Rollstuhl angewiesen. Auch sie möchte am 12. Februar einen Sitz im Kantonsparlament erobern – für die SP. «Für mich ist es wichtig, eine Stimme zu haben», sagt Akyol.
Selber vertreten sein und mitbestimmen, statt darauf zu zählen, dass die Politik schon für ihn schaut – das ist auch die Devise von Matyas Sagi-Kiss, der auch für die SP in den Kantonsrat möchte. Dass sich der Kanton Zürich das neue Selbstbestimmungsgesetz als Errungenschaft auf die Fahne schreibt, könne er nachvollziehen.
«Man war aber nicht so mutig, wie man hätte sein können», gibt Sagi-Kiss zu bedenken. Wären mehr Menschen mit Behinderung im Parlament vertreten gewesen, wäre das Gesetz fortschrittlicher gewesen, ist Sagi-Kiss überzeugt. Die Parteien müssten Menschen mit Behinderung aktiv suchen und dann auf gute Listenplätze setzen, findet er.
Im Parlament von Uster ist der Einfluss spürbar
Eine solche Chance hat Urs Lüscher im Frühling 2022 von seiner Partei, der EVP, bekommen. Für eine Kollegin ist er ins Stadtparlament von Uster nachgerückt. Seit 20 Jahren ist Lüscher sehbehindert.
Im Parlament habe er bereits einiges bewirken können. So zum Beispiel bei der Budgetdebatte Ende 2022. «Sämtliche Budgeterhöhungen wurden abgelehnt. Nur für die Fachstelle Gleichstellung für Menschen mit einer Behinderung konnten wir mehr Geld sprechen», sagt Urs Lüscher.
Menschen mit Behinderung seien heute selbstbewusster unterwegs. Es habe ein Paradigmenwechsel stattgefunden: «Weg von der Fürsorge, hin zum Einfordern der eigenen Rechte.» Mit dieser Haltung will Urs Lüscher auch noch den Schritt ins Zürcher Kantonsparlament schaffen.