Was ist passiert? Seit 2017 ist Alec von Graffenried von den Grünen Berner Stadtpräsident. Er will es auch vier weitere Jahre bleiben und tritt im Herbst zur Wiederwahl an. Jetzt ist aber klar: Er und seine Partei werden um den «Stapi»-Posten kämpfen müssen. Denn die SP – die stärkste politische Kraft in Bern – greift mit Kandidatin Marieke Kruit nach dem Stadtpräsidium. Am Montagabend hat die Partei entschieden, eine Kandidatur zu lancieren. Brisant: Die SP wie auch die Grünen gehören dem regierenden Rot-Grün-Bündnis an.
Wieso greift die SP den Bündnispartner an? Das hat mehrere Gründe. Ein Grund: Die SP ist offenbar nicht zufrieden mit der Arbeit von Stadtpräsident Alec von Graffenried. «Es ist dringend nötig, dass die Wählenden eine Auswahl haben», sagt SP-Co-Präsidentin Meret Schindler. Die SP wolle mit ihrer Kandidatur zeigen, dass es vorwärtsgehe mit dem Rot-Grün-Bündnis. Demnach schade die SP-Kandidatur dem Bündnis auch nicht, sondern sei eine Chance. Ein weiterer Grund: Alec von Graffenried ist bereits acht Jahre im Amt. «Wir sind davon ausgegangen, dass er sich irgendwann vielleicht auch zurückzieht, Alec von Graffenried erreicht ja bald das städtische Pensionsalter.»
Was sagen die Grünen? Matthias Humbel, Co-Präsident der Grünen Freien Liste (GFL) ärgert sich über die Entscheidung der SP. «Es ist ein Angriff aus den eigenen Reihen. Wir können das inhaltlich nicht nachvollziehen. Alec von Graffenried hat eine gute Bilanz vorzuweisen.» Die Kritik am Stadtpräsident sei unkonkret. Die Grünen sind überzeugt: Die SP-Kandidatur schwächt das Bündnis. «Für den Wahlkampf wären Einigkeit und ein geschlossener Auftritt wichtig gewesen.»
Wie reagiert Von Graffenried? Eine Kampfwahl ums Berner Stadtpräsidium habe durchaus positive Seiten, sagt Alec von Graffenried. «Der Wahlkampf wird sicherlich spannender.» Ihn störe aber, wie sich die SP vor der Parteiversammlung verhalten habe. Konkret: die Geheimniskrämerei. «Während zwei Monaten hat uns die SP hingehalten und gesagt, es sei noch keine Entscheidung gefallen.» Das sei nicht nur intransparent, sondern auch unwürdig.
Was heisst das für die Stadtberner Politik? So spannend wie dieses Jahr waren die Stadtberner Wahlen wohl kaum je. Mit dem Angriff der SP überrascht die Partei – und sorgt für viel Dynamik in der Berner Politik. Mindestens drei von fünf Sitzen in der Stadtregierung werden im Spätherbst neu besetzt. Da sich die Bürgerlichen und die Mitte für ein Bündnis zusammengetan haben, muss Rot-Grün in der Regierung möglicherweise einen Machtverlust hinnehmen. «Mit der Kampfansage der SP im eigenen Lager gewinnt dieser Wahlkampf nochmals an Fahrt», sagt SRF-Bern-Korrespondent Thomas Pressmann. «Die Karten werden in Bern nun definitiv neu gemischt.»
Kruit oder Von Graffenried – wer hat die besseren Karten? Als Bisheriger hat Alec von Graffenried einen grossen Bonus. Doch Marieke Kruit hat mit der SP die mit Abstand stärkste Partei im Rücken. «Sie hat zudem einen guten Leistungsausweis vorzuweisen», sagt Thomas Pressmann. «Die Wahlen werden für Alec von Graffenried kein Spaziergang.» Um wiedergewählt zu werden, muss Von Graffenried zuerst erneut den Sprung in die Regierung, den Berner Gemeinderat, schaffen. «Das ist bei der aktuellen Ausgangslage mit den beiden Bündnissen auf linker wie rechter Seite keine Selbstverständlichkeit – auch nicht für den bisherigen Stapi Alec von Graffenried.»