Wer den Zugang zu Archiven kontrolliert, herrscht über die Vergangenheit. Oberster Türsteher zu dieser Vergangenheit beim Bund ist Philippe Künzler, Direktor des Bundesarchivs. Seine Aufgabe sei es auch, Unterlagen zugänglich zu machen, sagt er. Allzu abweisend sei er also nicht.
Wichtige Akten verschwinden
Künzlers Aufgabe ist schwierig. Dank der Digitalisierung ist Archivgut heute aus der Ferne durchsuchbar. Das Bundesarchiv muss aber sensible Informationen wie Namen während einer Schutzfrist anonymisieren. Dafür arbeitet es auch mit künstlicher Intelligenz.
Weil Informationen heute frei zugänglich sind, kommt der Schrei nach mehr Schutz.
Diese Programme schwärzen, was eine Identifizierung erlaubt. Forschende kritisieren allerdings: Sie schwärzen zu viel. Wichtige Akten würden bei Recherchen nicht mehr auftauchen.
«Als früher die Akten im Archiv waren, waren sie frei zugänglich», erklärt Geschichtsprofessor Sacha Zala, Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Geschichte und Direktor der Forschungsstelle Dodis. Sein Team arbeitet viel mit Akten aus dem Bundesarchiv. Es will oft am Türsteher vorbei.
Zala spricht von einem eigentlichen Google-Paradoxon: «Gerade weil Informationen heute leicht über das Internet gefunden werden können, kommt der Schrei nach mehr Schutz.» Tatsächlich zeigen die Zahlen des Bundesarchivs: Seit die Onlinesuche möglich ist, wird das Archiv mehr genutzt.
Die Daten zu 1.4 Millionen Akten hat das Bundesarchiv nach eigenen Angaben mit KI anonymisiert. Aber längst nicht alle sind schützenswert. «Anonymisiert werden auch Namen von Personen der Zeitgeschichte», kritisiert Zala. Die Namen von Botschaftern, Staatssekretärinnen, selbst der Name des brasilianischen Präsidenten seien bereits geschwärzt worden.
Dabei gilt der verlängerte Schutz für Namen von Botschafterinnen oder Staatspräsidenten eigentlich nicht. Die KI mache hier aber keinen Unterschied.
Datenschützer mahnt zur Vorsicht
Behindert also die KI die Forschung im Bundesarchiv? Nein, sagt Direktor Philippe Künzler: «Es kann sein, dass die Akten nicht unmittelbar gefunden werden.» Aber mithilfe von Fachleuten des Bundesarchivs könne nach wie vor der gesamte Archivbestand durchsucht werden.
Es ist nicht Sinn der KI, alle Personendaten zu schwärzen.
Das sei zwar komplexer, aber grundsätzlich möglich. Forscher Zala sagt, es sei zu umständlich. Und selbst der eidgenössische Datenschutzbeauftragte Adrian Lobsiger mahnt zur Vorsicht. KI dürfe beim Schwärzen von Namen zwar helfen, aber nicht die Ergebnisse verfälschen, indem Namen geschwärzt werden, die öffentlich sein müssten.
«Wenn die KI Namen schneller findet als eine manuelle Suche, ist das in Ordnung», so Lobsiger. «Aber es ist nicht der Sinn der KI, alle – auch nicht relevante – Personendaten zu schwärzen.»
Zehntausende irrtümlich geschwärzte Akten
Das Bundesarchiv hält fest: «Ein tiefer einstelliger Prozentbereich der neu angezeigten Daten wird anonymisiert, obwohl er angezeigt werden müsste.» Nimmt man die 1.4 Millionen bearbeiteten Akten als Grundlage, dann sind das immer noch Zehntausende irrtümlich geschwärzte Namen, von Staatspräsidenten, Diplomaten oder anderen Personen der Zeitgeschichte. In der Regel sind es jene Akten, die besonders spannend sind für Historikerinnen und Historiker.
Am Ende verhält es sich mit den Türstehern des Bundesarchivs, wie auch anderswo: Kontrolliert wird penibel, manchmal allzu engagiert. Und wer daran vorbei will, findet die Einlasskontrolle sowieso zu streng.