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Zucker: Ein Würfeli, viele Meinungen
Aus Doppelpunkt vom 22.10.2019. Bild: Keystone/ Christian Beutler
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Weniger Zucker Ein Würfel – viele Interessen

Nicht nur wir bestimmen, wie viel Zucker wir essen. Auch Politik und Wirtschaft beeinflussen unseren Zuckerkonsum.

Wir essen zu viel Zucker. Soviel steht fest. Im weltweiten Vergleich gehört die Schweiz zu den Spitzenreitern, sie belegt Platz fünf. Der Durchschnittsschweizer vertilgt über 100 Gramm pro Tag oder 40 Kilogramm pro Jahr.

Dabei empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation WHO nur zehn oder besser nur fünf Prozent vom Energieverbrauch mit Zucker zu decken. Bei einem Energieverbrauch von 2000 Kalorien am Tag wären das 50 Gramm, beziehungsweise 25 Gramm.

Nicht bloss Übergewicht und Karies

Zu viel Zucker macht nicht nur dick und die Zähne kaputt. «Es gibt viele Organsysteme, denen er Schaden zufügen kann», sagt Ärztin Bettina Wölnerhanssen. Sie forscht am Claraspital in Basel zum Thema Ernährung, Übergewicht und Zuckerersatz und weiss, übermässiger Zucker provoziert: Leberverfettung, Blutfettanstieg und Bluthochdruck – Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Und: «Auch Alterungsprozesse laufen beschleunigt ab – etwa die Gefässalterung, aber auch die Hautalterung.»

Bettina Wölnerhanssen bringt es auf den Punkt: «Zucker ist in der Nahrung komplett überflüssig.» Sie meint damit sowohl den künstlich hinzugefügten Haushaltszucker, der in jedem Vorratsschrank steht, als auch jegliche andere Zuckerarten wie Fruchtzucker, Traubenzucker oder Stärke. Denn der Körper kann die Energie, die er benötigt, auch aus anderen Nährstoffen wie Fett oder Proteinen gewinnen, nicht bloss aus dem Zucker.

Gute Zucker – schlechte Zucker

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In die Kategorie Zucker, oder auch Kohlenhydrate genannt, gehören unterschiedlichste Arten von Zucker – nicht nur der Haushaltszucker, auch Traubenzucker, Milchzucker oder Stärke gehören in diese Stoffgruppe. Denn sie bestehen alle aus demselben Grundgerüst.

Das heisst aber nicht, dass alle gleich gesund sind. Die sogenannten Ein- und Zweifachzucker sind jene, die Lebensmittel süsser schmecken lassen. Diese muss der Körper nicht aufwendig verarbeiten, gelangen schnell ins Blut und lassen den Blutzucker sehr hoch ansteigen.

Viel besser verträglich für den Körper sind komplexe Kohlenhydrate, Mehrfachzucker wie Stärke. Da sie aufwendiger verdaut werden müssen, gelangen sie nur nach und nach ins Blut. Sie lassen den Blutzuckerspiegel nur moderat ansteigen und sind deshalb gesünder. Hinzu kommt, dass Mehrfachzucker länger satt machen und kein anschliessendes Hungerloch verursachen.

Doch weshalb steckt so viel zugefügter Zucker in unserer Nahrung? Weil es besser schmeckt. Denn Zucker ist ein Geschmacksträger. Er macht das Essen aber auch haltbar, ist ein günstiger Füllstoff oder ermöglicht es mit der Schweizer Herkunft zu werben. Etwas mehr Schweizer Zucker rein und schon sind die Swissness-Regeln erfüllt.

Versteckte Zucker in Lasagne und Co.

Dass Süssgetränke, Schokolade, Gebäck oder Schleckzeug viel Zucker enthalten und deshalb als ungesund gelten, scheint klar zu sein. «Solche Lebensmittel soll man mit Mass konsumieren», empfiehlt Bettina Wölnerhanssen.

Problematisch sind aber auch andere Zuckerquellen: Solche, die eigentlich als gesund gelten – wie Joghurt oder Müsli. Oder auch jene, die nicht offensichtlich sind, weil das Essen gar nicht süss schmeckt. Lasagne oder Hamburger enthalten etwa versteckte Zucker. Oder: Wer hätte gedacht, dass sogar Essiggurken Zucker enthalten? «Es ist wie ein süss-salziger Trend», sagt Bettina Wölnerhanssen. «Wir müssen zurück auf ein Niveau: Entweder isst man etwas Salziges oder etwas Süsses.»

«Nicht unsere Aufgabe»

Die Zuckerindustrie ist nicht primär an unserer Gesundheit interessiert. Für sie geht es um Arbeitsplätze und Umsatz. «Dass wir unseren Kunden sagen, sie sollen weniger Zucker essen, ist nicht unsere Aufgabe», sagt Guido Steger. Er ist CEO von der «Schweizer Zucker AG», quasi oberster Zuckerproduzent.

Er hält er nichts davon, überall weniger Zucker rein zu tun: «Es ist eine gefährliche Tendenz, überall den Zucker zu reduzieren. Der Genussaspekt geht zurück, dann schmeckt einfach alles nicht mehr gut. Ob so weniger Kalorien konsumiert werden, ist fraglich.» Guido Steger isst statt einem nicht süssen Joghurt lieber ein halbes und stellt den Rest zurück in den Kühlschrank für den Folgetag.

Gute Absichten schlecht umgesetzt

Damit spricht er die sogenannte «Deklaration von Mailand» an. Darin haben sich verschiedene Unternehmen unterdessen bereits zweimal dazu verpflichtet, den Zuckeranteil in Joghurt und Müsli zu reduzieren – also in Lebensmitteln, die als gesund gelten.

Das klingt gut, zumindest auf dem Papier. Otto Hostettler, Journalist beim «Beobachter» kritisiert: «Man gründet eine, zwei neue Linien mit einem tiefen Zuckeranteil und berechnet die Prozent Zuckeranteil. Und zwar nicht über die mengenmässig verkauften Joghurt, sondern über Anzahl Joghurtmarken.»

Für Bettina Wölnerhanssen ist die «Deklaration von Mailand» ein Tropfen auf den heissen Stein: «Sie wurde zwar gross gelobt, aber der Zuckerkonsum in der Schweiz über Joghurt und Müsli ist nicht der Hauptanteil, so wird man nicht weiterkommen.» Viel mehr Zucker nehmen Schweizer über Süssigkeiten und Süssgetränke ein.

Süssgetränke: wie eine Zuckerinfusion

Etwa zehn Prozent vom Zucker, den die Schweizer und Schweizerinnen im Durchschnitt konsumieren, stammt aus Süssgetränken. Dort liegt für Bettina Wölnerhanssen das grösste Potenzial, um den Zuckerkonsum zu senken: «Weil so einfach am schnellsten viel Zucker konsumiert wird.»

Nimmt man die gleiche Menge Zucker in Form eines Kuchens zu sich, benötigt der Körper etwas länger, bis der Zucker im Blut angekommen ist. Der Zucker aus dem Süssgetränk geht direkt ins Blut. «Das ist eigentlich wie eine Zuckerinfusion», sagt Bettina Wölnerhanssen.

Zero-Produkte sind keine Alternative

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Damit man trotzdem Süssgetränke trinken kann, hat man Süssstoffe wie «Aspartam» oder «Azesulfam k» entwickelt. Sie enthalten keine Kalorien und bergen kein Risiko für Karies.

Doch: «In letzter Zeit hat sich herausgestellt, dass die künstlichen Süssstoffe möglicherweise die Darmflora negativ beeinflussen und der Glukosestoffwechsel gestört wird. Das heisst, man begünstigt den Zustand, wie es bei Diabetes der Fall wäre», sagt Wölnerhanssen.

Informationen beschönigen mit der Nährwerttabelle

In Punkto Zuckergehalt scheint die Nahrungsmittelindustrie nicht wirklich interessiert daran, die Rezepturen anzupassen – ihr Interesse ist ein möglichst grosser Umsatz. Sie setzt auf Eigenverantwortung. Dazu hat sie auf Druck der Politik vor rund zehn Jahren die heutige Nährwerttabelle eingeführt. Diese enthält Angaben über Fett, Kohlenhydrate, Zucker und Nährstoffe in Prozent vom Tagesbedarf, beziehungsweise Prozent pro Portion.

Bereits vor zehn Jahren gab es Ansätze, eine Lebensmittelampel einzuführen. «Da ging es im Wesentlichen darum, dass die Konsumenten sich ein Bild machen können, was sie konsumieren. Auf diese Initiative gab es ein Gegenmodell, ein Prozentsystem», sagt der Journalist Otto Hostettler. Er beobachtet die Nährwertangaben schon lange. Mit kritischem Auge: Seiner Meinung nach kann man mit Prozentrechnungen brillant Lobbying betreiben, beziehungsweise Informationen beschönigen.

«Wieviel Zucker eine Portion enthält, ist in eine Absurdität sondergleichen gemündet», kritisiert Otto Hostettler. «So wenig Cornflakes isst kein Kind am Morgen. Aber das wurde so gerechtet, dass der Zuckeranteil schön klingt.»

Versuche, die Ampel abzuwenden

Wie die Informationen am besten aussehen sollten, da ist man sich nicht einig. Die Lebensmittel-Ampel, die im Moment diskutiert wird, heisst Nutriscore. Sie zeigt in fünf Stufen an, ob ein Lebensmittel gesund ist oder nicht. Nur ein paar wenige Unternehmen, wie Danone, wollen eine solche Ampel einführen. Die meisten sind aber dagegen.

Hostettler beobachtet schon seit zehn Jahren, wie sich die Industrie und die Politik gegenüber so einer Lebensmittelampel verhalten. «Die Föderation der Schweizer Lebensmittelindustrie hat vor zehn Jahren versucht, das System zu bekämpfen. Ich hatte mal interne Papiere, die zeigten, was man machen muss, um das abzuwenden.»

Die Zuckersteuer hat einen schweren Stand

«Es braucht offensichtlich Anreize, dass die Industrie die Rezepturen anpasst», sagt Otto Hostettler. Etwa Vorstösse aus der Politik. Doch Vorschläge, eine Zuckersteuer einzuführen, haben einen schweren Stand. So hatte im vergangenen Sommer die Standesinitiative «für ein Bundesgesetz über zuckerhaltige Produkte und für einen eingeschränkten Zugang zu Lebensmitteln mit einem hohen Energiegehalt» im Nationalrat keine Chance.

Portrait von Ruth Humbel
Legende: Ruth Humbel: «Es sieht so aus, als ob man sich nicht damit beschäftigen möchte.» Keystone

«Ich finde es schon bedenklich, wenn selbst solche Vorstösse keine Chance haben im Rat. Es sieht so aus, als ob man sich nicht damit beschäftigen möchte», sagt die Aargauer CVP-Nationalrätin Ruth Humbel. Sie ist auch bekannt als Gesundheitspolitikerin und Mitglied der Gesundheitskommission. Humbel trifft oft andere Entscheidungen als ihre Parteikollegen. «Da geht es um Subventionen von Zucker und Zuckerproduzenten, man beklagt allfällige Arbeitsplätze. Aber es ist häufig schon so, dass die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit, die wirtschaftspolitische Frage stärker gewichtet. Das bedaure ich.»

Die Mehrheit der Gesundheitskommission war gegen die Initiative. Darunter BDP-Nationalrat Lorenz Hess. «Da kann ich sehr gut in den Spiegel schauen. Weil das Verhalten steuern mit Verboten und Steuern, das hat sich in der Regel nicht bewährt. Ich finde es gut, wenn es aus einer Überzeugung kommt und nicht weil der Staat es befiehlt.» Bevormundung ist das Argument von der liberalen Seite. Für Lorenz Hess geht die Tendenz bereits in die richtige Richtung. Denn der Anteil an reduzierten oder zuckerlosen Lebensmitteln, Fitnessdrinks und Shakes boome bereits. Die Politik müsse da nicht nachhelfen.

Lorenz Hesss
Legende: Lorenz Hess: «Da kann ich sehr gut in den Spiegel schauen.» Keystone

Eine starke Lobby für den Zucker

Allerdings: Lorenz Hess ist auch Präsident der «Informationsgruppe Erfrischungsgetränke». Mitglied dieser Gruppe sind verschiedene Parlamentarier und Vertreter von Coca Cola, Ramseier, Red Bull und Rivella. Geht dieses Amt nicht in Richtung Lobbying? Otto Hostettler: «Wenn man sich mit einer Branche regelmässig austauscht, hat man eine Affinität und ist auch bereit, eine gewisse Interessensvertretung zu machen oder eine Frage an einem Ort reinzubringen, die sonst ungehört wäre.»

Otto Hostettler – ist auch Co-Präsident von «Lobbywatch», ein Verein, der Interessensbindungen von Parlamentariern und ihren Gästen veröffentlicht, die Zutritt zum Bundeshaus erhalten. «Aus meiner Sicht gibt es ganz klar eine Zuckerlobby.» Diverse Personen und Verbände setzten sich gemäss Hostettler im Bundeshaus für den Zucker ein: Softdrinkproduzenten, Zuckererübenproduzenten, Zuckerrübenverarbeiter, Zuckerfabriken und die Nahrungsmittelindustrie generell. Eine starke Lobby für den Zucker – kaum Gegensteuer.

Dementsprechend ist politisch wohl nicht so schnell mit Druck auf Lebensmittelproduzenten zu rechnen, damit diese die zuckerreichen Rezepturen anpassen. Oder bringt die bevorstehende Trinkwasser-Initiative einen Stein ins Rollen?

Weshalb die Zuckerrübe unter Druck ist

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Die Zuckerrübe ist eine anspruchsvolle Pflanze, die zum Gedeihen viele Pestizide benötigt. «Dass man in der Schweiz unter vernünftigen Bedingungen vernünftige Ernten bekommt, muss man ein gewisses Mass an Dünger und Pflanzenschutzmitteln einsetzen», sagt Guido Stäger, CEO von der Schweizer Zucker AG.

Deshalb steht die Zuckerrübe jetzt politisch unter Druck. Grund dafür ist die Trinkwasser-Initiative. Die Initiative will, dass nur noch jene Landwirte Subventionen und Direktzahlungen erhalten, die auf Pestizide verzichten.

«Eine Annahme der Trinkwasser-Initiative würde das Aus für die Schweizer Zuckerproduktion bedeuten.» Dies schrieben die Schweizer Zucker AG und der Zuckerrübenverband in einer Medienmittelung im vergangenen Sommer. Nächsten Frühling stimmen wir darüber ab.

Ein Würfel – viele Interessen. Unseren Zuckerkonsum steuern nicht nur wir – wie wir gerne denken würden. Die Industrie, die Wirtschaft, die Politik: Sie haben ihre eigenen Interessen, wenn es um unseren Zuckerkonsum geht. Dessen müssen wir uns bewusst sein.

Sendebezug: SRF 1, 22.10.2019, 20:03 Uhr

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