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Nationalrat debattiert über Reform der Ergänzungsleistungen
Aus Echo der Zeit vom 10.09.2018. Bild: Keystone
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Wenn AHV und IV nicht reichen Wie soll bei den Bedürftigen gespart werden?

Der Nationalrat ist bei den Ergänzungsleistungen auf Sparkurs. Doch bei den anrechenbaren Mieten hat er sich bewegt.

Wo kann oder soll noch gespart werden bei den weiter steigenden Milliardenausgaben der Ergänzungsleistungen (EL)? Mit dieser Frage befasste sich der Nationalrat gleich zum Auftakt der Herbstsession zum zweiten Mal. Die grosse Kammer will wesentlich mehr sparen als der Ständerat.

Im Fall der Wohnkosten hat sich der Nationalrat nun ebenfalls mit 99 zu 91 Stimmen für eine deutliche Erhöhung der anrechenbaren Beträge ausgesprochen. In der Erkenntnis, dass viele Menschen die Miete vom Mund absparen müssen. So werden künftig 86 Prozent der EL-Bezüger ihre Miete decken können.

«Trauerspiel beenden»

Die Mieten haben sich seit dem Jahr 2000 um 24 Prozent erhöht und die Ansätze der EL sind seither die gleichen, erinnerte sich Silvia Schenker (SP/BS). Es sei Zeit, das Trauerspiel zu beenden, betonte Christian Lohr (CVP/TG). Und Benjamin Roduit (CVP/VS) bezeichnete Wohnen als Grundbedürfnis, auf das in einer entwickelten Gesellschaft ein Anspruch bestehe.

FDP und SVP wollten beim ursprünglichen Entscheid des Nationalrats bleiben und die Ansätze lediglich in den Städten geringfügig erhöhen. Mit den Beträgen hätte fast ein Viertel der EL-Bezüger die Miete nicht decken können.

Sozialminister: Existenzminimum nicht gesichert

Aufgrund einer Comparis-Suche war der Zuger FDP-Nationalrat Bruno Pezzatti jedoch zum Ergebnis gekommen, dass eine vierköpfige Familie mit den tieferen Ansätzen problemlos eine passende Wohnung finden könne. Es gehe darum, die EL langfristig zu sichern für jene, die sie «wirklich nötig hätten», sagte Verena Herzog (SVP/TG) dazu.

Sozialminister Alain Berset warnte, dass damit das Existenzminimum nicht gewährleistet sei. Das überzeugte eine knappe Mehrheit. Mit 99 zu 91 Stimmen folgte der Nationalrat dem Ständerat und hiess die höheren Ansätze gut.

Weniger Geld für Kinder

Beim Lebensbedarf von Kindern blieb die grosse Kammer hingegen hart. Mit 130 zu 58 Stimmen entschied er, die Ansätze für Kinder bis elf Jahre zu senken. Jene für ältere Kinder bleiben zwar gleich hoch. Den vollen Betrag gibt es aber nur für das erste Kind, für alle weiteren wird der Ansatz schrittweise gekürzt. Das treffe Familien, in welchen ein Elternteil auf IV angewiesen sei, sagte Schenker. Diese materiell noch stärker unter Druck zu setzen, sei eine «Zumutung».

Gemäss einer Untersuchung könnten die heutigen Ansätze falsche Anreize setzen. Es sei stossend, wenn eine Familie mit EL mehr Geld zur Verfügung habe als eine erwerbstätige Familie, sagte Kommissionssprecherin Ruth Humbel (CVP/AG). Im Gegenzug will der Nationalrat bei der EL die Kosten für die familienexterne Kinderbetreuung berücksichtigen.

Keine EL für Vermögende

Viele andere Elemente der EL-Reform bleiben umstritten. So will der Nationalrat keine EL gewähren, wenn jemand über 100'000 Franken Vermögen hat. Der Ständerat lehnt die Vermögensschwelle ab.

Einig sind sich die Räte darüber, dass das Guthaben der obligatorischen beruflichen Vorsorge nach den heutigen Regeln als Kapital bezogen werden kann. Der Nationalrat will den EL-Anspruch aber um 10 Prozent kürzen, falls das Kapital vorzeitig verbraucht worden ist.

SVP warnt vor «Sozialtourismus»

Fallengelassen hat die grosse Kammer die Bedingung, dass nur Anspruch auf EL hat, wer zuvor zehn Jahre lang AHV bezahlte. Damit würden die Kosten bloss in die Sozialhilfe und damit zu Kantonen und Gemeinden verlagert, sagte Bea Heim (SP/SO). SVP-Sprecherin Herzog plädierte dafür, «Sozialtourismus» zu verhindern. Es dürfe nicht sein, dass sich ausländische Staatsangehörige kurz vor der Pensionierung ins Schweizer Sozialsystem einschmuggelten, sagte sie.

Die Entscheide des Nationalrats zur EL-Reform im Überblick

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Kinder: Der Lebensbedarf für Kinder soll gesenkt werden. Statt 840 Franken im Monat können für Kinder bis elf Jahre nur noch 590 Franken pro Monat angerechnet werden. Für ältere Kinder gibt es wie heute 840 Franken. Die vollen Ansätze können aber nur für das erste Kind geltend gemacht werden, für jedes weitere sinken die Beträge jeweils um einen Sechstel. Der Ständerat will bei den heutigen Ansätzen bleiben.

Kinderbetreuung: Im Gegenzug will der Nationalrat die Kosten für die externe Betreuung von Kindern unter elf Jahren berücksichtigen.

Vermögen: Wer mehr als 100'000 Franken Vermögen hat, kann keine EL beanspruchen. Für Ehepaare liegt diese Schwelle bei 200'000 Franken. Der Ständerat lehnt die Vermögensschwelle ab.

Liegenschaft: Damit niemand aus der eigenen Liegenschaft ausziehen muss, wird deren Wert nicht berücksichtigt. Wird die Liegenschaft verkauft oder vererbt, muss der Betrag zurückgezahlt werden. Die Forderung wird mit einer Hypothek gesichert.

Kapitalbezug: Das Guthaben der obligatorischen beruflichen Vorsorge kann nach den heutigen Regeln als Kapital bezogen werden. Auch ein Vorbezug für den Kauf von Wohneigentum und für eine selbständige Erwerbstätigkeit ist möglich. Anders als der Ständerat will der Nationalrat den EL-Anspruch um 10 Prozent reduzieren, falls das Kapital vorzeitig verbraucht worden ist.

Freibetrag: Die Freibeträge für die EL-Berechnung sinken auf 25'000 Franken für Alleinstehende und auf 40'000 Franken für Ehepaare. Der Freibetrag bei Wohneigentum bleibt bei 112'500 Franken. Darüber liegende Beträge gelten zum Teil als Einkommen. Der Ständerat hat höhere Freibeträge beschlossen.

Einigung der Räte in folgenden Punkten:

Miete: Für eine Wohnung in der Stadt sollen Alleinstehende bei der EL-Berechnung bis zu 1370 Franken pro Monat anrechnen können, 1325 Franken in der Agglomeration und 1210 Franken auf dem Land. Für eine weitere Person gibt es 250 Franken zusätzlich. Für Gemeinden mit tiefen Mieten können die Kantone eine Reduktion beantragen.

Betreuung: Der Nationalrat ist dem Ständerat gefolgt und hat die Zuschläge für das betreute Wohnen aus dem Gesetz gestrichen.

Einkommen: Bei der EL-Berechnung wird das Einkommen von Ehegatten zu 80 Prozent angerechnet. Bisher wurden zwei Drittel des Einkommens berücksichtigt.

Beitragsdauer: Der Nationalrat hat die Bedingung fallenlassen, dass nur noch EL erhält, wer mindestens zehn Jahre AHV-Beiträge bezahlt hat.

EL-Minimum: Die EL-Mindesthöhe wird auf den Betrag der höchsten Prämienverbilligung im Kanton gesenkt, wobei 60 Prozent der Durchschnittsprämie nicht unterschritten werden darf. Heute bezahlen die meisten Kantone mindestens die durchschnittliche Krankenkassenprämie.

Verbrauch: Wer sein Vermögen ohne Grund um mehr als 10 Prozent pro Jahr verbraucht, soll eine EL-Reduktion hinnehmen müssen.

Rückerstattung: Nach dem Tod einer Person muss die EL zurückerstattet werden, sofern beim Verstorbenen ein Vermögen von über 50'000 Franken vorhanden ist.

Arbeitslose: Einig sind sich die Räte auch darüber, dass Arbeitslose ab 58 Jahren ihr Pensionskassenguthaben in der Vorsorgeeinrichtung des bisherigen Arbeitgebers belassen und später eine Rente beziehen können.

Heim: Zur Berechnung eines EL-Anspruchs werden nur noch die von einem Heim tatsächlich verrechneten Tage berücksichtigt. Heute wird monatsweise abgerechnet.

Krankenkasse: Für die Krankenkasse wird eine kantonale oder regionale Durchschnittsprämie, höchstens aber die tatsächlich bezahlte Prämie an die Lebenskosten angerechnet.

150 Millionen Franken Differenz

Nach den Beschlüssen des Nationalrats belaufen sich die EL-Ausgaben im Jahr 2030 voraussichtlich auf gut 6,4 Milliarden Franken. Gemäss den Beschlüssen des Ständerats sind es knapp 200 Millionen Franken mehr. Gegenüber der geltenden Ordnung spart der Nationalrat rund 330 Millionen Franken im Jahr, der Ständerat rund 180 Millionen Franken. Die Vorlage geht nun wieder an den Ständerat.

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