In Zürich haben am vergangenen Samstag mehrere Tausend Personen gegen die grassierende Wohnungsnot demonstriert. Doch die Wohnungsknappheit ist nicht nur in Zürich ein Problem.
Auch in diversen anderen Städten und mittlerweile auch auf dem Land ist die Nachfrage nach preiswertem Wohnraum grösser als das Angebot. Die Folge: Die Mieten für freie Wohnungen steigen.
Die ganz schlimmen Phasen von Wohnungsnot waren jeweils am Ende des Ersten und des Zweiten Weltkriegs.
«Die Lage ist für viele Menschen, vor allem in den grossen Städten, dramatisch geworden», sagt Daniel Kurz. Er beschäftigt sich als Historiker seit Jahren mit Architektur und Wohnen.
Immer wieder Phasen von Wohnungsnot
Das Phänomen ist nicht neu. In der Vergangenheit gab es immer wieder ähnliche Phasen von Wohnungsknappheit – wenn auch aus unterschiedlichen Gründen: «Die ganz schlimmen Phasen von Wohnungsnot waren jeweils am Ende des Ersten und des Zweiten Weltkriegs», so Kurz.
Das Baumaterial sei damals knapp gewesen – entsprechend wurde kaum gebaut. «Vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg standen ganze Familien auf der Strasse, teilweise wurden sie in Turnhallen oder Baracken untergebracht.» Diese Knappheit an Wohnraum nennt man Krisen-Wohnungsnot.
Die zweite Art der Wohnungsknappheit kommt genau vom Gegenteil: nicht aus der Krise, sondern als Folge von wirtschaftlich guten Zeiten. Diese Form kommt häufiger vor – wie gerade jetzt. Ähnliche Situationen habe es in den 1960er- und 1980er-Jahren gegeben. «Die Wohnungsnot war auch damals ein grosses Politikum», so Historiker Kurz.
Jetzt ist auch der Mittelstand betroffen
Insbesondere Ende der 1980er-Jahre wurden viele ältere Häuser abgebrochen und neue, teure Wohnungen erstellt, die sich viele aber nicht mehr leisten konnten. Ausserdem wurde weniger gebaut, als neue Wohnungen wegen der Bevölkerungszunahme nachgefragt waren.
Als Reaktion auf die Situation besetzten junge Leute in vielen Städten meist ältere Häuser – um darin zu wohnen, aber auch, um auf die prekäre Situation auf dem Wohnungsmarkt aufmerksam zu machen. «Sie haben dort auch neue Wohnformen entwickelt», sagt Kurz.
Im Unterschied zu damals sei derzeit auch der Mittelstand stärker von der Wohnungsnot betroffen. «Heute besteht ein starker Druck, Häuser abzureissen oder stark umzubauen – denn der Markt ermöglicht das.» Nach dem Um- oder Neubau können die Mieten erhöht werden, die Rendite steigt.
Näher zusammenrücken
Für Kurz ist klar: «Es braucht nicht nur mehr, sondern auch erschwingliche Wohnungen.» Angesichts der knappen Flächen in den Städten bleibe fast nur die Verdichtung dort, wo bereits Wohnhäuser stehen.
Als Folge der knappen Wohnungen infolge der Wirtschaftsentwicklung rücken die Menschen nun wieder näher zusammen: Inzwischen bilden nicht mehr nur junge Menschen Wohngemeinschaften, solche Wohnformen werden beispielsweise auch unter älteren Personen immer häufiger.
Dazu sagt Kurz: «Das ist nicht nur negativ – man beansprucht so ja weniger individuelle Wohnfläche, was wiederum gut fürs Klima ist.» Kurz sieht deshalb Möglichkeiten in neuen Wohnformen, bei denen mehr Wohnraum von mehr Menschen geteilt wird. «Auch das sind Beiträge gegen die Wohnungsnot», betont er.