Seit diesem Wochenende ist sozusagen klar: Balthasar Glättli wird neuer Präsident der Grünen. Die Frist für Bewerbungen ist abgelaufen, Überraschungen gab es keine. Glättli bleibt der einzige Kandidat für die Nachfolge von Regula Rytz. Die Bestätigung durch die Delegierten Ende März dürfte eine Formsache sein.
Glättli übernimmt von Regula Rytz eine Siegerinnen-Partei mit einem Wähleranteil im letzten Herbst von gut 13 Prozent – ein historisches Hoch für die Grünen. Für den Neuen eine Absturzgefahr. «Das ist natürlich vom Vergleich her, gemessen zu werden an diesem Erfolg, nicht unbedingt der einfachste Job, aber gleichzeitig auch eine schöne Herausforderung.»
Wir müssen von unten her, als ‹Mitmachpartei› wachsen.
Wie schon Rytz wolle er den Aufbau in den Kantonen, den Sektionen weiter fördern. «Ich glaube, das ist das Geheimnis, an dem man jetzt auch arbeiten muss. Wir müssen von unten her, als ‹Mitmachpartei› wachsen.» Ein wichtiges Ziel für Glättli ist ein grüner Sitz im Bundesrat.
«Zeitwohlstand» statt Materielles
Glättli treibt es um, dass aktuell über das Gleiche debattiert werde, wie bereits vor 30 Jahren, als der Weltklimarat seinen ersten Bericht präsentierte. Es sei zu wenig gemacht worden, so Glättli, man habe 30 Jahre verloren. Der frühere Philosophie-Student gerät rasch ins Philosophieren.
Wir müssten umdenken, weg von der Verbraucher- und Abfallgesellschaft hin zu einer Solidargesellschaft. Man müsse aufzeigen, dass es eine Chance sein könne für ein Leben mit vielleicht etwas weniger materiellem Überfluss, aber dafür mehr Zeit – zum Beispiel «Zeitwohlstand».
Ein Diktat, einen Zwang will Glättli nicht. Konkrete Massnahmen wie die CO2 Abgabe auf Flugtickets hingegen schon. Klimaschutz dürfe nicht auf Kosten der Ärmeren gehen, betont Glättli.
Ausgeprägter Gerechtigkeitssinn
Ja, er sei ein «Melonengrüner», bestätigt Glättli – aussen grün, innen rot. Er, der Vizepräsident des Mieterverbandes ist und bei einer Flüchtlingsorganisation gearbeitet hat, wehrt sich gegen alles, was ihm ungerecht erscheint. So ist er vor Jahren aus der evangelisch-reformierten Kirche ausgetreten, als sich diese bereit erklärte, Zwangsausschaffungen von Asylsuchenden zu begleiten.
Sein Gerechtigkeitssinn brachte ihm als Student eine Busse ein. Er verfremdete ein Inserat der SP, in dem diese neue Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht verteidigte.
Von politischen Gegnern geschätzt
Grün und rot machen Glättli aber noch nicht alleine aus. Er ist zudem Technik-afin und kennt sich im Digitalbereich aus. So hatte er sein Studium in Germanistik und Philosophie abgebrochen und eine eigene Internet-Beratungsfirma gegründet.
Trotz seiner klaren Positionen wird er von politischen Gegnern geschätzt. Er sei kompromissbereit. Sein grosses Wissen wird gelobt. Er sei ein Krampfer, sagt beispielsweise SVP-Nationalrat Mauro Tuena. Glättli halte sich an Abmachungen. Die beiden Politiker sind befreundet.
Von der Tochter verzaubert worden
Glättli ist verheiratet mit SP-Nationalrätin Min Li Marti. Die beiden betreuen je einen Werktag pro Woche die gemeinsame Tochter. Die bald 2-Jährige hat ihren Vater erobert. Ihn, der früher nie Kinder wollte. «Das ist etwas, was ich mir nie hätte vorstellen können, wie einen das packen, berühren kann. Es ist ja eine sehr spielerisch-sinnlose und trotzdem unheimlich befriedigende Aktivität mit einem so kleinen Menschen zu spielen.»