Die Tessiner SVP wächst auf Kosten der traditionellen Rechtsbewegung Lega dei Ticinesi. Zulauf hat auch die Oppositionsbewegung der SP «Avanti con Ticino e lavoro».
Angriffe mit Wirkung
Die Tessiner SVP ist die einzige Partei, die einen angriffigen Wahlkampf geführt hat. Die Rechtspartei hat davon profitiert, dass sie nicht Teil der Regierung ist. Sie kann auf Konfrontationskurs gehen. Mit Erfolg, wie sich zeigt, denn die Schweizerische Volkspartei hat im 90-köpfigen Tessiner Parlament 2 Sitze dazu gewonnen und besetzt neu 9 Sitze.
Verliererin ist der Listenpartner der SVP, die traditionelle Tessiner Rechtsbewegung Lega dei Ticinesi. Sie verliert 4 Sitze und zählt noch 14. Die Lega besetzt zwei der fünf Tessiner Regierungsratssitze und hat als staatstragende Regierungspartei notgedrungen viel von ihrem ursprünglichen Erfolgsrezept der Angriffslust verloren.
Auch die stärkste Tessiner Partei, die FDP, hat im Parlament zwei Sitze verloren. Sie bleibt mit 21 Sitzen allerdings stärkste Partei. Auch Verluste verbuchen muss die SP. Sie verliert einen Sitz. Ihr ist ein interner Streit zum Verhängnis geworden.
Neue Bewegungen drängen ins Parlament
Personenmässige Gewinnerin der Tessiner Wahlen ist Amalia Mirante. Die Wirtschaftsdozentin der Fachhochschule wollte auf die Regierungsliste von Links-Grün. Sie konnte sich aber nicht gegen die Parteileitung durchsetzen. Es kam zum Bruch. Mirante trat aus der Partei aus und gründete die Bewegung «Avanti con Ticino e Lavoro». Sie besetzt damit das im Tessin sehr sensible Thema der Arbeit und punktet. Mirante und ihre Bewegung schaffen mühelos den Sprung ins Parlament und holen 3 Sitze.
Parlament wird zerstückelter
Neben «Avanti con Ticino e lavoro» schaffen auch andere Parteien wie HelvEthica, die aus der Corona-Pandemie heraus entstanden ist und die Rechte des Einzelnen verteidigen will und die Grünliberalen den Sprung ins Parlament. Denn im Tessin gibt es kein sogenanntes Quorum, keine Hürde für den Eintritt ins Parlament.
Damit schreibt sich der Trend der Zerstückelung fort. Diese wird das Politisieren schwieriger machen, befürchtet zum Beispiel die Tessiner FDP. Sie hat bereits vor den Wahlen einen Vorstoss für das Einführen einer solchen Hürde lanciert.
Wahlen im Herbst versprechen viel Spannung
Die Tessiner Wahlen erlauben interessante Schlüsse für die nationalen Wahlen im Herbst. Schlüsse, die im ersten Moment paradox klingen könnten. Denn es ist denkbar, dass der SVP-Präsident und Tessiner SVP-Ständerat Marco Chiesa Opfer des Erfolgs seiner Partei wird. Mit der aktuellen Wahlschlappe könnte ihm nämlich der Listenpartner Lega dei Ticinesi die Unterstützung verwehren.
Auch für die Tessiner SP könnte es schwierig werden, ihren durch die Wahl von Marina Carobbio in die Regierung frei gewordenen Ständeratssitz zu verteidigen. Aus Tessiner Sicht versprechen die Wahlen im Herbst auf jeden Fall viel Spannung.