«Es heisst immer, es gibt keine Frauen, die in die Politik wollen. Das stimmt. Macht man sich aber die Arbeit, die fähigen Frauen zu sehen und zu ermuntern, zu kandidieren, dann tun sie es auch. Nur, viele Parteien scheuen sich, diese Arbeit zu machen», sagt Maura Mossi Nembrini, Mitglied der Frauenbewegung «più donne».
Sie kandidiert erneut für einen Sitz im Parlament. 40 Prozent der Listenplätze für die Parlamentswahlen im Tessin werden mittlerweile von Frauen besetzt. Ein Rekord. Dabei fällt auf, dass bei den Bürgerlichen vorab bei SVP, Lega, aber auch bei der Mitte und der FDP die Frauen auf den Listen verhältnismässig dünn gesät sind.
Wenn die Parteien, die die Frauen nicht fördern, am Ruder sind, heisst das auch, dass das Thema Chancengleichheit nicht vorangetrieben wird.
Bürgerliche Parteien, die im Tessin das Sagen haben, betreiben keine aktive Frauenförderung. Sie haben zum Beispiel kein Mentoring-Programm für die Kandidatinnen. Das erstaunt Marialuisa Parodi nicht. Sie ist Co-Präsidentin des Dachverbands der Tessiner Frauenverbände Faft Plus. Aber es beunruhigt sie: «Wenn die Parteien, die die Frauen nicht fördern, am Ruder sind, heisst das auch, dass das Thema Chancengleichheit nicht vorangetrieben wird.»
Höherer Frauenanteil nötig, um etwas zu bewegen
Bei den kantonalen Wahlen 2019 haben die Frauen im Tessin unter anderem dank Impulsprogrammen der Frauenverbände und Bewegungen wie «più donne» zahlenmässig einen Sprung vorwärtsgemacht. Damit liegt der Frauenanteil im Tessiner Parlament bei 34 Prozent, also im schweizerischen Durchschnitt.
Fürs Tessin war dies eine kleine Revolution. Diese wird sich aber kaum in einem weiteren merklichen Frauenzuwachs wiederholen, prognostiziert Parodi. Dafür müssten die Bürgerlichen eben die Frauen stärker fördern.
Angesprochen darauf, was der erhöhte Frauenanteil im Tessiner Parlament in den letzten vier Jahren bewirkt hat, sagt Parodi nüchtern: «Wenn wir die Qualität der Politik und ihre Fähigkeit, etwas zu bewegen, betrachten, hat sich durch den erhöhten Frauenanteil im Tessin bisher wenig bewegt.» Um etwas bewegen zu können, müssten die Frauen in der Politik noch zahlreicher sein, betont Parodi.
Man müsste versuchen, das Profil der Frauen, die zur Wahl antreten, zu erweitern.
Wie sich der Frauenanteil in der Tessiner Politik entwickelt, beobachtet seit Jahren Politikwissenschaftler Andrea Pilotti. Er stützt die Aussagen Parodis und fügt an: «Wir haben auch das Problem, dass die Politikerinnen nur einen kleinen Teil der Gesellschaft vertreten. Noch häufiger als bei den Männern sind es Akademikerinnen, die sich zur Wahl stellen. Die Sekretärin, die Angestellte, eine Unternehmerin, sie politisiert nicht. Viele Frauen aber arbeiten in diesen Berufen. Diese Frauen fühlen sich von den Politikerinnen nicht vertreten. Man müsste versuchen, das Profil der Frauen, die zur Wahl antreten, zu erweitern.»
Eine Frau in der Tessiner Regierung
Das ist eine interessante Beobachtung. Denn der Anteil der Nichtwählerinnen nimmt auch im Tessin zu. Es sind vor allem Frauen, die nicht wählen gehen. Absehbar ist derzeit trotzdem, dass zumindest das Bild der Tessiner Politik mit den Wahlen vom 2. April weiblicher werden wird.
So hat jüngst eine repräsentative Studie des Radios und Fernsehens der italienischsprachigen Schweiz RSI gezeigt, dass der derzeitigen Tessiner SP-Ständerätin Marina Carobbio problemlos der Sprung in die Tessiner Regierung gelingen dürfte. Seit 2015 war die Tessiner Regierung Männersache.