Sportanlage Eichrain, Zürich Seebach, an einem Donnerstagabend: In der Garderobe ziehen sich die Fussballer des FC Albania fürs wöchentliche Training um. Normalerweise wird hier über Sport geredet. Heute aber geht es für einmal um Politik. Es ist Anfang Februar – kurz vor den kantonalen Zürcher Wahlen.
Vorstandsmitglied Ylli Doko ergreift das Wort und ruft die Fussballer dazu auf, wählen zu gehen. Diesen Wahlaufruf macht der 30-jährige Doko natürlich nicht einfach so. Er ist Kandidat der FDP für den Zürcher Kantonsrat. Auch Agron Beqiri, der Trainer des FC Albania, kandidiert für das Zürcher Parlament – und zwar für die SP.
Dass gerade zwei Kandidaten aus dem gleichen Verein um Wählerinnen und Wähler buhlen, ist nicht so aussergewöhnlich. Dass beide albanische Wurzeln haben hingegen schon, denn albanischstämmige Politikerinnen und Politiker gelten in der Schweiz immer noch als Exoten. Das, obwohl mehr als jede dritte Person ab 15 Jahren mit albanischen Wurzeln hierzulande mittlerweile eingebürgert ist. Die Einbürgerungsquote ist damit fast doppelt so hoch wie bei den Portugiesinnen und Portugiesen.
Nenad Stojanovic ist Politologieprofessor an der Universität Genf und befasst sich mit Politik und Migration. Er erklärt den Unterschied zwischen der albanischen und portugiesischen Diaspora mit ganz praktischen Gründen.
Schweizer Pass bringt viele Vorteile – vor allem auch für freies Reisen
Portugiesen hätten den EU-Pass. Albanischstämmigen Migranten hingegen ermögliche erst die Schweizer Staatsbürgerschaft Reisefreiheit in Europa, so Stojanovic. Dass der Schweizer Pass auch politische Teilnahme ermögliche, würden noch viele aus der albanischstämmigen Gemeinde zu wenig nutzen.
Wer aus einem Land kommt, wo es keine freien Wahlen gab, hat auch keine Erfahrung mit Abstimmen und Wählen.
So zeigen Studien aus den Städten Zürich und Genf, dass die Wahlbeteiligung der albanischstämmigen Bevölkerung sehr tief ist. Einerseits erkläre sich das damit, dass die albanische Bevölkerungsgruppe in der Schweiz vielfach jung und noch wenig gut ausgebildet sei. Ein weiterer Grund sei, dass für viele demokratische Rechte Neuland seien, so Stojanovic. «Wer aus einem Land kommt, wo es keine freien Wahlen gab, hat auch keine Erfahrung mit Abstimmen und Wählen», sagt er.
Hohe Hürden für Migranten in der Schweiz
Hilmi Gashi kommt ursprünglich aus dem Kosovo und ist ein Migrant der ersten Generation. Er ist aktiver Gewerkschafter und politisiert im Kanton Bern bei den Grünen.
Er findet nicht, dass die Albanerinnen und Albaner politisch desinteressiert seien. Im Gegenteil. Aber die Hürden seien hierzulande immer noch zu hoch. Zum Beispiel bei der Einbürgerung. Deshalb macht er in einem Initiativkomitee mit, welches die Einbürgerung für alle verlangt, die seit fünf Jahren in der Schweiz leben.
Das reiche aber noch nicht. Parteien müssten Kandidatinnen und Kandidaten mit Migrationshintergrund bewusst fördern und nicht nur als Listenfüller benutzen, meint Gashi.
Allerdings kennt nur gerade die SP eine klares Migrationsförderprogramm. So werden beispielsweise für die nationalen Wahlen im Herbst alle kantonalen SP-Sektionen aufgefordert, auf ihren Listen Menschen mit Migrationshintergrund zu berücksichtigen. Das nationale Parlament müsse mehr dem realen Bevölkerungsbild entsprechen, sagt Arber Bullakay von den SP- Migrantinnen und -Migranten.
Eingebürgerte und Secondos sind im Parlament in Bern untervertreten
Tatsächlich sind Eingebürgerte und Secondos in National- und Ständerat deutlich untervertreten. Gemäss Bundesamt für Statistik haben fast 20 Prozent aller Schweizerinnen und Schweizer einen zweiten Pass, sind also Doppelbürger. Im Parlament haben aber nur noch 5 Prozent einen Migrationshintergrund. Dies zeigt eine Studie, welche Nenad Stojanovic mitverfasst hat.
Bereits bei den Kandidatinnen und Kandidaten entspreche der Anteil nicht dem realen Bevölkerungsbild. Komme hinzu, dass Wählerinnen und Wähler fremdländische Namen auf den Wahllisten vielfach durchstreichen würden, so Stojanovic.
Albanischstämmige drängen in die Politik
Ylli Doko hat mit seiner Partei nur gute Erfahrungen gemacht. Die FDP habe ihn von Anfang an gefördert, meint Ylli Doko. Fair und auf Augenhöhe.
Ich bin nicht der Quoten-Albaner der FDP
Er sei nicht als Quoten-Albaner der FDP behandelt worden, sondern genau gleich wie alle anderen Parteimitglieder. Doko ist Präsident der FDP Bassersdorf und auch die Stadtzürcher FDP hat mit Përparim Avdili einen Präsidenten mit albanischen Wurzeln.
Auch Arife Asipi hat albanische Wurzeln. Die Thurgauerin ist Rechtsanwältin und ist ebenfalls in der FDP aktiv. Sie hofft ebenfalls, dass sich Migranten und Secondos mehr in der Politik engagieren. Gerade albanischstämmige Schweizerinnen und Schweizer seien in der Politik untervertreten. Daran müsse man arbeiten, meint Asipi.
Auch in anderen Parteien haben zahlreiche Männer und Frauen mit albanischem Migrationshintergrund für den Zürcher Kantonsrat kandidiert. Die wenigsten mit Erfolg. Dennoch ist Stojanovic überzeugt, dass sich immer mehr Politikerinnen und Politiker albanischer Muttersprache in der Schweiz engagieren würden.
Bald Bundesrat mit albanischen Wurzeln?
Er glaube auch, sagt Stojanovic, dass es nicht mehr lange dauern werde, bis die ersten albanischstämmigen Schweizerinnen und Schweizer im Nationalrat politisieren werden. Vielleicht schon ab diesem Herbst.
Und wann folgt die nächste Stufe? Bundesrat. Das wiederum werde doch noch etwas dauern, meint der Politikforscher.
Der erste eingebürgerte Bundesrat war Ignazio Cassis.
Erst 1993 sei mit Ruth Dreifuss die erste Bundesrätin mit jüdischen Wurzeln gewählt worden. Für den ersten eingebürgerten Bundesrat dauerte es noch länger. Das war 2017, als der schweizerisch-italienische Doppelbürger Ignazio Cassis zum Bundesrat gewählt wurde. Cassis gab allerdings seinen italienischen Pass ab, noch bevor er Bundesrat wurde.