Speziell ist nicht nur, dass ein verschollen geglaubtes Bild nach rund 100 Jahren wieder auftaucht. Sondern auch, dass auf dieses geschossen wurde.
Dass das Bild nach einer dramatischen Versteigerung bei der Basler Stiftung Im Obersteg landet, macht die Geschichte umso spezieller. Doch von Anfang an.
1911 malt Ernst Ludwig Kirchner das Bild «Tanz im Varieté» in Dresden. Es zeigt einen sogenannten Cakewalk. Der Tanz entstand um 1850 in den USA.
Es gab Wettbewerbe, bei denen der beste Tänzer ein Stück Cake gewann.
«Sklavinnen und Sklaven machten sich über die weisse Herrschaft lustig, indem sie die steifen Bewegungen und die ungelenke Art der Weissen nachäfften», erklärt Géraldine Meyer, Kuratorin der Stiftung Im Obersteg. «Mit der Zeit gab es auch Wettbewerbe, bei denen der beste Tänzer ein Stück Kuchen, einen Cake, gewann – daher der Name», so Meyer.
Der Cakewalk entwickelt sich zum Modetanz und kommt nach Europa. In einem Varieté in Dresden sieht Kirchner den Tanz und nimmt ihn als Vorlage für das Bild.
Als der deutsche Maler 1917 nach Davos zieht, nimmt er das Bild mit und hängt es in seinem Haus auf, wie verschiedene Fotos beweisen. 1923 wird das Bild letztmals in der Öffentlichkeit gesehen: an einer Ausstellung in Berlin. Danach verlieren sich die Spuren – bis in diesem Jahr das Bild an einer Auktion in München auftaucht.
Im Weltkrieg auf einem Bauernhof versteckt
Das Auktionshaus Ketterer hat die Geschichte des Bildes rekonstruiert. Um 1930 kauft es ein deutscher Emailfabrikant. Nach dessen Tod geht das Bild 1944 an einen badischen Schmuckdesigner. Dieser versteckt es in einer Kiste auf einem Bauernhof, da Kirchners Werke unter den Nationalsozialisten als entartete Kunst gelten.
1945 entdecken französische Soldaten bei der Einnahme des Dorfes die Kiste mit dem Bild. «Wahrscheinlich aus Stress oder Übermut schiesst ein Soldat auf das Bild und schlitzt es mit dem Bajonett auf», sagt Hans Furer, Geschäftsführer der Stiftung Im Obersteg. Er schmunzelt: «Das Bild hat jetzt einen Schuss und einen Stich.»
Die Soldaten lassen das Gemälde zurück, sodass es in der Privatsammlung bleibt. Bis diesen Juni, als das Bild in München versteigert wird. Und die Auktion hat es in sich: «Das Bild wurde auf zwei bis drei Millionen Euro geschätzt. Aber wir waren überzeugt, es geht für viel mehr weg», erzählt Hans Furer. «Also legten wir einen Höchstwert von sieben Millionen fest – und genau für so viel erhielten wir das Bild.»
Glück für Basler: Auktionator bleibt hart
Die Basler Stiftung hat aber Glück. Denn der verbleibende Mitstreiter bietet 100'000 Euro mehr. Da jedoch nur 200'000er-Schritte erlaubt sind, fordert der Auktionator ein höheres Gebot. «Zuerst dachte ich: Oje, jetzt haben wir das Bild verloren», erzählt Kuratorin Géraldine Meyer, die vor Ort war.
«Weil der Auktionator keine Ausnahme zuliess, war der Gegenbieter wohl ein bisschen eingeschnappt und hat nicht weiter geboten. Das war ein richtiger Krimi.»
So passt der Erwerb des Bildes zur turbulenten Geschichte des Werkes, das ab Juni 2025 im Kunstmuseum Basel ausgestellt wird. Wer dann genau hinschaut, kann nicht nur den Cakewalk sehen, sondern auch Schuss und Stich entdecken.