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Fragen und Antworten «Ist die vegane Ernährung für Kinder überhaupt gesund?»

Die Umweltbilanz von Tierprodukten fällt häufig schlecht aus. Was aber würde mit der Lebensmittelindustrie, der frei werdenden Ackerfläche und uns passieren, wenn wir morgen komplett auf sie verzichten würden? Expertinnen und Experten haben dazu Ihre Fragen beantwortet.

Die Viehhaltung beansprucht einen grossen Anteil der weltweiten Landfläche. Weideland und für den Futtermittelanbau genutztes Ackerland machen fast 80 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche aus. Gleichzeitig aber wächst das Interesse an Fleisch aus Pflanzen und dem Labor. Und auch die Textil- und Modeindustrie experimentiert mit pflanzlichen Stoffen und synthetischen Fasern, Kleidung frei von Leder, Wolle, Seide oder Pelz.

Video
Was wäre, wenn wir kein Fleisch essen würden? Ein Gedankenspiel
Aus 10 vor 10 vom 09.11.2023.
abspielen. Laufzeit 5 Minuten 56 Sekunden.

Wie stark aber werden sich vegane Alternativen durchsetzen? Wie realistisch ist eine komplett vegane Welt? Und welche Konsequenzen hätte ein veganes Morgen für unsere sozialen, kulturellen, gesundheitlichen und wirtschaftlichen Strukturen?

Die SRF-Rubrik Was wäre, wenn ...?

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In der multimedialen Rubrik «Was wäre, wenn …?» leuchtet SRF Zukunftsszenarien aus. In einem Gedankenexperiment wird eine radikalen oder unerwarteten Entwicklung durchgespielt. Dieser Ansatz soll helfen, besser zu verstehen, was in der Zukunft geschehen könnte. SRF begleitet das jeweilige Thema rund 24 Stunden online, am Radio und im TV. Dabei werden Zuschauerinnen und User eingeladen, sich aktiv an der Diskussion zu beteiligen.

Alle Artikel, Expertenchats und Videos der Rubrik «Was wäre, wenn …?» finden Sie hier.

Haben Sie weitere Ideen für Zukunftsszenarien, die SRF beleuchten soll? Schicken Sie uns gerne Ihren Input an communities@srf.ch.

Eine Expertin und ein Experte haben Ihre Fragen zu diesem Thema beantwortet.

Gäste im News-Chat

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Joël Luc Cachelin
Futurist
wissensfabrik.ch

Leonie-Helen Bogl
Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachbereich Ernährung und Diätetik
Berner Fachhochschule

Chat-Protokoll

Es ist immer wieder die Rede, dass eine vegane Ernährung zu Mangelerscheinungen führen kann. Wie sieht es aber im Vergleich zu einem durchschnittlichen Fleischverzehr aus – ist dieser nicht fast ungesünder (u.a. krebsfördernd)?

Leonie Bogl: Das ist ein interessanter Hinweis. Ja, es wird oft über Mangel bei Veganer und Veganerinnen gesprochen. Es ist wichtig darauf hinzuweisen, dass es auch in der Allgemeinbevölkerung kritische Nährstoffe gibt, beispielsweise Vitamin C, Folsäure, Nahrungsfasern. Hier wird die Empfehlung oft nicht erreicht, da allgemein zu wenig Früchte und Gemüse verzehrt werden. Wenn in der veganen Ernährung auf die kritischen Nährstoffe geachtet wird, dann ist sie wahrscheinlich gesünder (im Hinblick auf chronische Erkrankungen). Es gibt aber leider nur wenige (aktuelle) Studien, die dies langfristig und gut untersuchen, aber es gibt immerhin Hinweise, dass es so sein könnte.

Was heisst/ist eigentlich Vegan? den im Wikipedia steht folgendes «Veganismus ist eine aus dem Vegetarismus hervorgegangene Ernährungs- und Lebensweise.[1] Veganer verzichten auf alle Nahrungsmittel tierischen Ursprungs.» eine weitere Frage ist wenn es kein Tierische Produkte sein sollen was sind das dann für Produkte? Oder wo ist die grenze des Tierischen?

Leonie Bogl: Richtig, im deutschsprachigen Raum wird Vegetarismus von Leitzmann und Keller wie folgt definiert: «Beim Vegetarismus handelt es sich um eine Ernährungsweise, bei der ausschliesslich oder überwiegend pflanzliche Lebensmittel wie Getreide, Gemüse, Obst, Hülsenfrüchte, Nüsse und Samen verzehrt werden. Je nach Form des Vegetarismus können auch Produkte von lebenden Tieren, wie Milch, Eier und Honig sowie alle daraus hergestellten Erzeugnisse enthalten sein. Ausgeschlossen sind Lebensmittel, die von toten Tieren stammen, wie Fleisch, Fisch (einschliesslich anderer aquatischer Tiere) sowie alle daraus hergestellten Produkte. Anhand der verzehrten Lebensmittel unterscheidet man Lakto-Ovo-, Lakto- und Ovo-Vegetarier sowie Veganer, die alle tierischen Produkte ablehnen, auch Honig und Gebrauchsgegenstände aus Tierkörperteilen (Wolle, Fell, Leder usw.) Beim Vegetarismus handelt es sich um einen Lebensstil, da neben den gesundheitlichen Aspekten auch ethisch-moralisch, ökologisch, soziale, ökonomische und politische Anliegen beachtet werden.»

Warum heisst es im Modekatalog bei einer Strickjacke, „kann Tierische Produkte enthalten“(Knöpfe) Was ist bei einem Knopf von einem Tier?

Joël Luc Cachelin: Zum Beispiel Horn oder Knochen.

Guten Tag. Bezogen auf die Schweiz; was wären die wohl am häufigst angebauten Nahrungsmittel, wenn es keine Tierprodukte mehr geben würde? Vielen Dank für Ihre Expertise

Joël Luc Cachelin: Wichtig wären sicherlich proteinreiche Pflanzen wie Soja und Hülsenfrüchte. Auch die Sonnenblume ist interessant. Hanf und Leinen sind interessant, weil man Öle und Textilien damit herstellen kann. Ich gehe zudem davon aus, dass man vermehrt Algen kultivieren würde.

Ich bin der Meinung, dass solche Fragen nur in einer Wohlstandsgesellschaft (mit Verblödungstendenz) gestellt werden kann…..oder nicht? Hunger und Kriege wären die Folge!

Leonie Bogl: Ja, die Einführung einer streng veganen Ernährung könnte in vielen Ländern der Welt die Ernährungssicherheit weiter gefährden. Tierische Produkte enthalten mehr Nährstoffe pro Kalorie als etwa Getreide. Zusätzlich würde es möglicherweise zu mehr Eisenmangel führen. Das heisst, in Entwicklungsländern ist die Versorgung mit Risikonährstoffen einer veganen Ernährung sowieso schon herausfordernd.

Was wäre, wenn Fleisch, Milch und andere tierische Produkte im Laden wieder so viel kosten würden, wie sie eigentlich wert sind? Dann würden sofort weniger solche Produkte konsumiert und es bräuchte keine Extremlösungen. Lieber Gruss

Joël Luc Cachelin: Ich denke auch, ein Teil des Problems ist, dass wir heute zu wenig für unsere Lebensmittel bezahlen. Gab man 1969 noch knapp ein Drittel für das Essen aus, sind es heute gerade noch etwas über sechs Prozent. Was sich auch verändert hat: Heute werden nur noch wenige Teile vom Tier gegessen, das war vor 100 Jahren noch ganz anders.

In ihren Beiträgen wird von Ernährungswissenschaften diskutiert, dass Mangelerscheinungen bei veganer Ernährung häufig sind. Wieso wird nicht erwähnt, dass auch bei omnivorer Ernährung Mangelernährung und auch Vitamin B12 Mangel häufig -wenn nicht gleich häufig – sind? Schlussendlich wird in der konventionellen Tierhaltung Vitamin B12 den Tieren substituiert und gelangt nicht natürlich in die Tiere. Ebenso liegen auch keine Langzeitstudien für fleischreiche Kost vor. Somit ist eine vegane Ernährung nicht ein Schuss ins Blaue; Ich glaube es liegen genug Erfahrungen aus vegetarischen oder veganen Gesellschaften ebenso gesund – oder sogar gesünder als eine fleischreiche Kost ist, wie wir uns das gewöhnt sind.

Leonie Bogl: Was Sie schreiben, ist absolut richtig. Es ist auch richtig, dass ein Vitamin B12-Mangel in der Allgemeinbevölkerung vorkommt (v.a. in älteren Menschen). Auch Selen und Jod betrifft übrigens nicht nur Veganer und Veganerinnen, da unsere Böden Selen- und Jodarm sind. Wenn eine vegane Ernährung richtig umgesetzt wird, dann ist sie höchstwahrscheinlich gesünder im Hinblick auf viele chronische Erkrankungen. Es stellt sich aber auch die Frage, ob die vegane Ernährung für alle Bevölkerungsgruppen «gesund» wäre. Fachgesellschaften vertreten hierzu unterschiedliche Meinungen. Die «American Dietetic Association» schreibt in ihrem Positionspapier, dass eine gut geplante vegane Ernährung gesund, ausgewogen und ernährungsphysiologisch angemessen ist und bei allen Altersgruppen sicher ist. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt die vegane Ernährung aber nicht pauschal für alle Personengruppen (z.B. Schwangerschaft, Kinder,…). Dies zeigt, dass es mehr Evidenz braucht.

Unsere 16-jährige Tochter ernährt sich vegan. Welche Nahrungsergänzung muss sie zu sich nehmen, um keine Mangelerscheinungen zu erleiden? Und wie häufig ist eine Überprüfung via Blutbild angebracht?

Leonie Bogl: Sie muss unbedingt Vitamin B12 supplementieren (über Tabletten, Tropfen oder angereicherte Produkte,..). Ausserdem sollte sie in den Wintermonaten Vitamin D supplementieren und immer jodiertes Speisesalz verwenden (das trifft auch auf omnivore Personen zu). Empfohlen wird auch ein EPA/DHA Supplement (langkettige Fettsäuren). Ich denke, einmal im Jahr wäre es angebracht ein Blutbild zu machen.

Ich überlege, warum die Fragestellung von SRF hauptsächlich auf ökologische und gesundheitliche Aspekte hinweist. Und die stringentesten Beweggründe für Veganismus, nämlich tierethische, nicht angesprochen werden. Mich würde interessieren, wie sich das Wegfallen der Diskrepanz (auf Fleisch und Milchprodukte nicht verzichten wollen und mit dem Tierleid nichts zu tun haben wollen) auf die Individuen und auf die Gesellschaft auswirken würde.

Joël Luc Cachelin: Ja, tatsächlich ist das Leid der Tiere einer von drei zentralen Faktoren, um über unser Verhältnis zu den Nutztieren nachzudenken. Der Fokus auf Ökologie und Gesundheit macht für mich aber deshalb Sinn, weil diese Fakten in der Bevölkerung noch weniger bekannt sind. Das Leid der Tiere ist bekannt, auch wenn sich noch viel zu wenig verändert.

Ist vegan eine Ernährungsform oder eine Lebensform? Ich bin selber Veganer Aktivist und versuche Leute aufzuklären.

Joël Luc Cachelin: Für mich ist es schon mehr als eine Frage der Ernährung, weil ja auch die Textil-, Möbel-, und Pharmaindustrie heute von tierischen Rohstoffen abhängen. Zudem leiden Millionen von Tieren durch die Abhängigkeit unserer Kultur von den Nutztieren. Es stellt sich also letztlich die philosophische Frage, was der Mensch für ein Lebewesen sein will.

Was würde eine vegane Bevölkerung für die Landwirtschaft in der Schweiz bedeuten? Wäre die Ernährungssicherheit zu gewährleisten? Was müsste wie umgestellt werden?

Joël Luc Cachelin: Die Landwirtschaft würde andere Dinge produzieren, Sonnenblumen, Hanf, Flachs, Brennnesseln, Soja. Die Nahrungsmittelsicherheit wäre bestimmt sichergestellt, zumal viel weniger produziert werden müsste. Global wird etwa 80 Prozent des Sojas für Tiere produziert und auch in der Schweiz wird etwa die Hälfte des Getreides zu Tierfutter. Nicht vergessen sollte man mögliche neue Anbauformen wie Urban Farming, Hydrokulturen oder die Produktion von Algen zum Beispiel in ehemaligen Bunkern.

Liebe Frau Bally, Warum befürchten Sie ein B12 oder Calcium Defizit bei pflanzlicher Ernährung? Eine gut geplante vegane Ernährung mit einem B12 Supplement und Calcium-Quellen wie Grünkohl, Brokkoli und ein calciumreiches Mineralwasser sind keine schwer umzusetzenden und gleichzeitig doch sehr wirksame Massnahmen.

Leonie Bogl: Guten Tag. Das ist korrekt. Frau Bally befürchtet wahrscheinlich einen Mangel in einem Teil der Bevölkerung oder in einer bestimmen Gruppe von Menschen, denn auch jetzt nehmen nicht alle Veganer und Veganerinnen Vitamin B12 ein (und ernähren sich auch nicht entsprechend der veganen Ernährungsempfehlungen).

Gibt es nicht eine gewisse Ironie in der Tatsache, dass wir Veganer oft für die Notwendigkeit kritisieren, Vitamin B12 zu supplementieren, während wir gleichzeitig übersehen, dass auch Nutztieren dieses Vitamin zugesetzt wird, um Mängel in ihrer industriell geprägten Ernährung auszugleichen – ein Hinweis darauf, dass unser gesamtes Ernährungssystem vielleicht eine gründliche Überprüfung und Anpassung benötigt?

Leonie Bogl: Ja, durch einseitige Fütterung und unnatürliche Haltung der Tiere muss der Nährstoff oftmals auch den Tieren als Supplement zugeführt werden. Eine Bereitstellung für den Menschen über Supplemente oder angereicherte pflanzliche Milchalternativen wäre grundsätzlich denkbar.

Ernährte sich der Mensch jemals rein vegan oder ist er von Natur aus ein Allesesser?

Leonie Bogl: Ich denke der Mensch ist von Natur aus Allesesser, aber es wurden wahrscheinlich auch grosse Mengen an Pflanzen gegessen. Vielleicht gab es hier auch Unterschiede, d.h. in einigen Kulturen haben Menschen sich vielleicht überwiegend vegetarisch oder vegan ernährt, während in anderen Kulturen der Konsum von Fleisch und tierischen Produkten einen wichtigen Bestandteil der Ernährung darstellte.

Ist Veganismus nur ein Businessplan der Lebensmittelindustrie? Oder sollte man sich eher gesund und vegetarisch ernähren (nicht industriell transformierte Lebensmittel) mit Milchprodukten, Eier, usw. und viel weniger Fleisch /Fisch konsumieren? Der Mensch ist ein Allesfresser (wie Schweine) und sollte sich überlegt gesünder ernähren und nicht wie ein wirklich dummes Lebewesen sich der Werbung der Lebensmittelindustrie untergeben?!

Leonie Bogl: Es sind oft tierethische Motive und es ist vielleicht auch ein Lifestyle-Trend. In der Schweiz wird im Durchschnitt pro Person etwa 800 g Fleisch pro Woche konsumiert. Wir sollten weniger und bewusster Fleisch konsumieren. Eine empfohlene Ernährungsweise betont hauptsächlich pflanzliche Nahrungsmittel wie Früchte, Gemüse, Nüsse, Hülsenfrüchte und Vollkornprodukte. Fleisch, Eier und Milchprodukte können zwar Teil dieser Ernährung sein, sollten jedoch in geringeren Mengen verzehrt werden. Ein solcher Ernährungsansatz hätte positive Auswirkungen auf unsere Gesundheit sowie auf unsere Welt, in der wir leben.

Was passiert, wenn die Weltbevölkerung weiter so rasant zu nimmt wie bisher? Reicht die Umstellung auf Vegan? Bis wie lange?

Joël Luc Cachelin: Es gibt zumindest starke Pro-Argumente. Alles Futter für die Nutztiere müsste nicht mehr produziert werden. Wichtig sind zudem drei weitere Fakten: Erstens landen heute sehr viel Lebensmittel im Abfall und zweitens sind etwa gleich viele Menschen übergewichtig wie Menschen an Hunger leiden. Es gibt also ein grosses Verteilungsproblem im globalen Ernährungssystem. Drittens nehmen heute in westlichen Gesellschaften die Menschen viel mehr Proteine als nötig auf. Bei Männern sind es bis zu 100 % zu viel, bei Frauen 50 %.

Ist die vegane Ernährung für Kinder inkl. Kleinkinder überhaupt gesund und zu empfehlen?

Leonie Bogl: Es gibt eine Studie aus Deutschland, die zeigt, dass eine gut geplante, supplementierte vegane Ernährung im Kindesalter den Nährstoffbedarf decken kann, aber in dieser Studie wurden keine Blutwerte überprüft. Man müsste beispielsweise auch das Wachstum über einen längeren Zeitraum beobachten. Die Studienlage in Kindern ist sehr dünn. Weltweit vertreten internationale Fachgesellschaften dazu unterschiedliche Meinungen. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt eine vegane Ernährung für Kinder (momentan) nicht.

In der veganen Szene gibt es die Annahme, dass, wie bei Tabakfirmen und dem Klimawandel, eine Lobbygruppe Studien finanziert, die Zweifel streuen bzw. den Status Quo zementieren möchten. Ist dies ein Mythos/Verschwörungserzählung?

Leonie Bogl: Es ist sicher wichtig, kritisch zu sein und die Quellen sowie die Finanzierung von Studien zu überprüfen. Das Hauptproblem sehe ich jedoch darin, dass es allgemein zu wenige Studien gibt. Der Anteil von Veganerinnen und Veganern in der Bevölkerung ist gering und war in der Vergangenheit sogar noch kleiner. Dadurch fehlen uns genaue Erkenntnisse über die gesundheitlichen Vor- und Nachteile im Zusammenhang mit chronischen Erkrankungen oder frühzeitigen Sterbefällen (langfristig, verschiedene Bevölkerungsgruppen, auch über mehrere Generationen).

Wann und wie entstand der Veganuary? Sehen sie den Veganuary als erfolgreich oder nicht?

Leonie Bogl: Ich glaube, die Idee kommt aus Grossbritannien. Es ist sicherlich gut, sich mit der eigenen Ernährungsweise auseinanderzusetzen und über mögliche Vorteile einer pflanzenbasierten Ernährung nachzudenken.

Eine komplett vegane Ernährung und Lebensweise hat es in der Menschheitsgeschichte nicht gegeben bzw. allfällige Bevölkerungsgruppen haben nicht überlebt. Schon die Urbewohner waren Jäger und Sammler (z.B. die nordamerikanischen First Nations). Der Konsum von fleischhaltiger Nahrung hat zu einer Zunahme der geistigen und körperlichen Leistungsfähigkeit der Menschen beitragen. Eine rein vegane Ernährung bzw. Lebensweise kann also zu einer Degeneration bzw. Rückentwicklung des Menschen führen (z.B. Abnahme Körpergrösse, geringere Lebenserwartung, Anfälligkeit auf kriegerische Übergriffen von anderen Bevölkerungsgruppen). Wie sehen Sie das?

Joël Luc Cachelin: An eine Degeneration glaube ich überhaupt nicht, vorausgesetzt, Vitamin 12 wird zugeführt und die Gesundheitswerte werden regelmässig überprüft. Ob Fleisch zur geistigen Entfaltung geführt hat, ist in der Wissenschaft höchst umstritten. Ich würde eher für die Argumentation plädieren, dass die Menschen durch Kommunikation und den Austausch von Wissen sich entfaltet haben. Für die Gegenwart gilt: Wir leben in einer Wissensökonomie und nicht mehr einer Körperökonomie. Entsprechend wichtig sind das Bildungssystem und die Infrastrukturen, welche die Zirkulation von Ideen, Daten, Wissen und Fähigkeiten erlauben. Den Konsum von Fleisch- und Milchprodukten halte ich hierzu für irrelevant.

Die vegane Lebensweise umfasst nicht nur die Ernährung, sondern auch die Verwendung von anderen tierischen Produkten wie Leder, Wolle, Seide. Sind Sie der Meinung, dass synthetische Produkte / Fasern für Kleider und Schuhe (z.B. aus Erdölprodukten) «besser» sind als solche aus natürlichen Rohstoffen?

Joël Luc Cachelin: Persönlich finde ich natürliche Produkte auch besser. Sie sind angenehmer anzufassen, können kompostiert werden und fallen in der Nutztierindustrie häufig als Abfälle an. Es wäre «dumm» diese nicht zu verwerten. Die entscheidende Frage für mich ist aber, wie diese Nutztiere gehalten wurden. Heute leiden Milliarden Nutztiere für das menschliche Wohl. In meinem «Zielbild» gibt es weniger Nutztiere, diese werden sehr gut gehalten, dürfen länger leben und werden 100 % verwertet.

Ist es ethisch vertretbar nicht vegan zu sein?

Joël Luc Cachelin: Für mich persönlich ist die Frage entscheidend, ob die Tiere ein gutes Leben hatten und artgerecht gehalten wurden. Dürfen sie nach draussen? Dürfen sie ihren Spieltrieb ausleben? Ebenso wichtig ist die würdevolle sorgfältige Tötung. Am besten lässt man die Tiere eines natürlichen Todes sterben und nutzt sie erst dann. Genauso entscheidend ist das Ausmass des Konsums tierischer Produkte. Wie oft isst man Fleisch, Eier und Fisch?

Guten Tag, Wie würden Sie die Äcker düngen? Mit Chemie? Menschenkot? Vielen Dank

Joël Luc Cachelin: In einer nicht komplett veganen Welt würde es sicherlich einen Restbestand an Haus- und Nutztieren geben. Und die menschlichen Exkremente dürften tatsächlich Rohstoffe der Zukunft sein. Wir sollten in Zukunft Toiletten installieren, die aus Urin Dünger herstellen können. Diese gibt es heute schon, sie sind aber noch nicht weit verbreitet.

Was ist der Unterschied zwischen zweiwertigem Eisen und dreiwertigem Eisen? Und warum ist das für die vegane Ernährung relevant?

Leonie Bogl: Zweiwertiges Eisen kommt hauptsächlich in tierischen Lebensmitteln vor, v.a in Fleisch. Dreiwertiges Eisen kommt in pflanzlichen Lebensmitteln vor und wird etwas schlechter vom Körper aufgenommen. Veganerinnen und Veganer können ihre Eisenaufnahme steigern, indem sie eisenreiche Lebensmittel mit Vitamin-C kombinieren. Ausserdem kann man den Eisenstatus im Blut überprüfen.

Wie würde ein optimaler Tagesmenüplan für einen sportlichen Veganer Mitte 30 aussehen, um Mangelerscheinungen zu vermeiden? Und gibt es Unterschiede beim Ernährungsbedarf zwischen den biologischen Geschlechtern?

Leonie Bogl: Einen Tagesplan kann ich hier leider nicht erstellen, aber das machen qualifizierte Ernährungsberater und Ernährungsberaterinnen (SVDE) für Sie. Ja, es gibt ein paar Unterschiede, z.B. Energiebedarf.

Was ist die neueste Studienlage zu Taurin und Calcium in der veganen Ernährung? Ist eine vegane Ernährung ohne Zugabe von Supplements sinnvoll/gesund?

Leonie Bogl: Grünes Gemüse, z.B. Grünkohl, ist eine gute Kalziumquelle. Empfohlen wird ausserdem kalziumreiches Mineralwasser bei veganer Ernährung (mind. 300-400 mg Ca pro Liter). Es gibt ein paar neuere Studien, die zeigen, dass Veganerinnen eine höhere Wahrscheinlichkeit haben einen Knochenbruch zu bekommen. Wahrscheinlich liegt es am Kalzium, das im Durchschnitt bei Veganer und Veganerinnen nicht ausreichend zugeführt wird. Es ist aber über die Ernährung grundsätzlich möglich. Zu Taurin: Die Forschungslage in der veganen Ernährung ist sehr begrenzt. Hier bin ich noch gespannt weitere Studien zu sehen, ob es sinnvoll ist Taurin zu ergänzen oder nicht.

Was wäre, wenn man sich ab Geburt vegan ernähren würde?

Leonie Bogl: Es ist schwer, eine genaue Aussage dazu zu treffen, da es keine Studien gibt, die sich mit Personen beschäftigen, die sich seit ihrer Geburt (oder bereits davor) vegan ernährt haben. Zuerst wäre Muttermilch eine optimale Versorgung mit allen wichtigen Nährstoffen. Dann käme es darauf an, wie gut man versorgt wäre, d. h. wie gut die vegane Ernährung umgesetzt werden würde. Ab der Beikost braucht das Kind Vitamin B12. Es gibt ein paar weitere kritische Nährstoffe, aber unter Begleitung von qualifizierten Fachpersonen wäre es grundsätzlich möglich.

Wie oft in der Woche muss man tierische Produkte wie z.B. Käse, Joghurt, Eier, etc. konsumieren, um genug B12 und andere wichtige Nährstoffe aufzunehmen, die in der veganen Ernährung nicht vorkommen (ohne B12 und andere Stoffe extra einnehmen zu müssen).

Leonie Bogl: Es existieren zahlreiche Ernährungsmuster und vielfältige Möglichkeiten, Lebensmittel zu kombinieren. Einige Empfehlungen sehen einen Fleischkonsum von 1–2-mal pro Woche vor, während die meisten Empfehlungen den täglichen Verzehr von Milchprodukten empfehlen. Es ist jedoch auch möglich, auf Sojamilch umzusteigen, die mit Vitamin B12 und Kalzium angereichert ist. Sojaprotein hat die höchste biologische Wertigkeit.

Würde die Welt friedlicher werden, wenn wir das Töten der empfindsamen anderen Tiere einstellen würde? Würde nicht auch der Bezug zu den anderen Tieren sich verändern und Kühe, Schweine und Hühner nicht mehr als Nutztiere, sondern als Mitlebewesen wie Hunde und Katzen angesehen werden?

Joël Luc Cachelin: Das ist eine spannende Frage. Man könnte natürlich so argumentieren. Wenn Ausserirdische oder auch KI der Menschheit zuschaut, würde sie durch unseren Umgang mit Nutztieren nicht zum Urteil kommen, dass wir ein sehr friedliches Tier sind. Interessant finde ich auch die Studien, die zeigen, dass Menschen, die in der Fleischindustrie arbeiten, ähnliche psychische Symptome haben, wie Menschen, die als Soldaten aus einem Krieg zurückkehren.

Veganismus definiert sich laut Vegan Society als eine Lebensweise, die soweit möglich und praktikabel versucht, die Ausbeutung von Tieren zu vermeiden. Könnte das dann nicht heissen, dass in Entwicklungsländer immer noch tierische Lebensmittel gegessen werden könnten, aber diese halt «soweit möglich und praktikabel» vermieden werden?

Leonie Bogl: Das finde ich einen sehr guten Ansatz. Danke!

Bzgl. Kinder und Kleinkinder wurde ja erwähnt von Leonie Bogl, dass die Studienlage aktuell dünn sei. Ist es denn nach aktuellem Stand überhaupt möglich eine breit angelegte Studie zu unternehmen (bzgl. Wachstum, Knochendichte etc.) über einen längeren Zeitraum ohne dass die Gefahr auf eine Kindeswohlgefährdung besteht?

Leonie Bogl: Richtig, es wäre nicht möglich eine randomisiert kontrollierte Studie durchzuführen, denn die Familien/Kinder würden sich nicht streng an die Ernährungsform halten. Aber man könnte natürlich Kinder, die sich vegan Ernährung in eine Beobachtungsstudie aufnehmen (Observationsstudie). Solche Studien haben natürlich auch Limitationen.

Warum sind Veganer:innen zu einer Art Feindbild geworden und werden so oft angegriffen in ihrer Lebensweise. Wie schaffen wir es, dem Thema mehr Leichtigkeit und Freude am Ausprobieren zu verschaffen?

Joël Luc Cachelin: Ich glaube, das hat auch etwas mit der Demografie der Veganer:innen zu tun. Sie sind tendenziell jung, urban, gut gebildet und weiblich oder Mitglieder der LGBTQIA+ Community. Es entstehen vermutlich diffuse Ängste, dass die bestehende «Ordnung» der Gesellschaft durcheinander kommt. Ich könnte mir vorstellen, dass die Gastronomie eine wichtige Rolle spielt für die Leichtigkeit. Es braucht eine neue Selbstverständlichkeit, dass vegane Gerichte etwas ganz natürliches, normales und gesundes sind. Verstärkend würden auch Promis wirken, die sich als Spitzensportler:innen oder Showstars als Veganer:innen «outen».

Liebes Expertenteam Stimmt es, dass man mit der Kombination von Vollkorngetreide, Hülsenfrüchten und Nüssen ein vollständiges Aminosäurenprofil abdecken kann oder gibt es Aminosäuren, die bei veganer Ernährung definitiv fehlen? Und: Können Sie uns konkrete Empfehlungen geben, was in welcher ug/kg Menge bei komplett veganer Ernährung täglich substituiert werden sollte? (B12, Zink, Jod, Calcium ect) Vielleicht kennen Sie auch ein gutes Präparat, das empfohlen werden kann? Vielen Dank und en schöne Fritig

Leonie Bogl: Guten Tag! Ja, das stimmt. Das Sojaprotein hat die höchste Wertigkeit. Und man kann zum Beispiel Hülsenfrüchte mit Getreide kombinieren, um alle essenziellen Aminosäuren abzudecken. Neuere Studien zeigen auch, dass dies nicht unbedingt während einer Mahlzeit passieren muss, es reicht auch über den Tag verteilt. Eine Produktempfehlung mache ich nicht, das hängt auch von den Ernährungsgewohnheiten ab. Eine vegane Ernährung kann sich ja hinsichtlich der Ernährungsqualität unterscheiden. Aber die Ernährungsberatung würde für Sie konkrete Zahlenwerte berechnen können.

Wie kann ich mit einer veganen Ernährung meinen Bedarf an essenziellen Aminosäuren auf natürliche Weise zuführen (keine Supplements)? Den Proteinbedarf abzudecken ist ja kein Problem, selbst bei einem Bedarf von 180 g pro Tag. Jedoch ein komplettes Aminosäurenbild zu erhalten, fand ich bis jetzt schwierig.

Leonie Bogl: Es ist in einer vollwertigen veganen Ernährung durch sinnvolle Kombinationen (z.B. Getreide und Hülsenfrüchte) grundsätzlich möglich.

Ist eine vegane Ernährung für Jugendliche (12-18 J.) gesünder als eine Ernährung, die tierische Produkte mit einschliesst?

Leonie Bogl: Nein, man kann das eigentlich nie so pauschal beantworten. Es gibt ja auch den Begriff Pudding-Vegetarier, das heisst auch bei einer veganen Ernährung könnte man sich rein theoretisch von vielen hochverarbeiteten Produkten ernähren oder Pommes und Cola.

Woher bekommen Zoo-Tiere oder Katzen das Fleisch, wenn alle Menschen auf vegan umsteigen?

Joël Luc Cachelin: In einer total veganen Welt würde es wohl keine Zootiere mehr geben... Die Katzen müssten sich entweder mit Insektenfutter zufriedengeben oder wieder Mäuse jagen gehen...

Was ich immer wieder höre ist, dass viele Vegan werden/wurden, wegen der Gefühle der Tiere und die nicht verletzen wollen. Warum ist das aber dann wiederum okay bei Pflanzen und für einige Veganer auch bei Insekten? Ist ja nicht so, als wären das keine Lebewesen… Und nein, unsere Zähne sind zum Fleisch und Gemüseverzehr da, genau wie der Mensch mal Jäger war. Das höre ich oft, doch das ist eine Ausrede. Deshalb hoffe ich auf mal eine Antwort, die mir da weiterhelfen kann.

Joël Luc Cachelin: Die Argumentation verläuft so, dass man argumentiert, die Pflanzen und Insekten hätten kein Schmerzempfinden und seien «weniger intelligent». Allerdings verschieben sich die Grenzen durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse wieder und der einzelne Baum oder die einzelne Ameisen mögen nicht sehr intelligent sein, als Kollektive und als Ökosysteme sind sie dann wiederum sehr intelligent. Die Argumentation mit den Zähnen ist für mich ebenfalls ein Stellvertreter-Argument. Weil wir Menschen über unsere Zukunft nachdenken können, können wir auch (wirtschaftliche, ökologische, ethische) Vor- und Nachteile unterschiedlicher Ernährungsstile gegeneinander abwägen.

Was mich immer verunsichert: vegane Ernährung muss mit einigen Sachen suplementiert werden (b12, Kalzium etc.) Welche dieser Stoffe werden beim Fleisch/bei der Milch ebenfalls «künstlich» supplementiert (also z.b. dem Tierfutter beigegeben)?

Leonie Bogl: Vitamin B12 wird dem Tierfutter zugesetzt.

Wegen Eisenmangel und Osteoporose-Risiko wurde mir ärztlicherseits empfohlen, mich entsprechend zu ernähren, unter anderem auch mit Fleisch. Wenn ich Fleisch esse, fühle ich mich auch mehr gesättigt, als wenn ich pflanzliches Eiweiss esse. Aus ethischen Gründen würde ich aber lieber vegetarisch oder vegan sein. Ich bin daher immer im Zwiespalt. Haben Sie eine Empfehlung?

Leonie Bogl: Sie könnten sich zum Beispiel flexitarisch ernähren, also ca. 1-mal pro Woche Fleisch essen. Kalzium ist überwiegend in Milchprodukten, sie würden das auch gut mit kalziumangereichertem Mineralwasser und grünem Gemüse, Sesam etc. hinbekommen. Grundsätzlich wäre es schon möglich, dass Sie sich vegetarisch ernähren. Eisen kommt auch in pflanzlichen Lebensmitteln vor und wird mit Vitamin C besser aufgenommen.

Was würde mit dem Livestock (Rinder, Schweine, Hühner usw) passieren, wenn alles Vegan wird. Sicherlich würde dieser nicht getötet, vergelt’s gar geschlachtet? Wohl, da für den Bauern dann wertlos eher frei gelassen. Würde sich ein solcher Livestock dann nicht eher vermehren und noch mehr CO 2 ausstossen und Felder abfressen und sonstigen Schaden anrichten?

Joël Luc Cachelin: Der gesamte Livestock wird innerhalb eines Jahre mehr als einmal erneuert. Ein Huhn lebt nur gerade etwa ein Monat. Würde die Welt sich für eine vegane Zukunft entscheiden, gäbe es sicherlich mehr als ein Jahr Zeit. Also doch, die Tiere würden mit Sicherheit (mehrmals) getötet.

Sehr geehrte Frau Bogl, ich habe eine Frage zur Supplementation von B12. Auf dem Markt gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Produkte. Diese unterscheiden sich in der Art des B12 (Cyanocobalamin vs. Methylcobalamin) als auch in der darin enthaltenen Menge (von 2 Mikrogramm bis 3000 Mikrogramm pro Tablette). Welche Form empfehlen Sie und wie oft sollte das Produkt eingenommen werden? Besten Dank

Leonie Bogl: Ich glaube, es gibt keinen Unterschied zwischen der Form. Die Dosierung hängt etwas von ihrem Alter ab, aber für 16-64 wird von der SVDE g1x/day 50μg empfohlen (z.B. Vegetology Vitamin B12 Tabletten)

Was ist in der heutigen Zeit an einer tierischen Ernährung (Fleisch, Milchprodukte etc.) wirklich noch gesundheitsfördernd? Beobachtet man die Überangebote an tierischen Produkten in Restaurant, Imbiss, Festivitäten, Verkaufsgeschäfte etc., dann bezweifle ich, dass diese tierischen Produkte in irgendeiner Form für die Gesundheit gut sein sollen. Welche Inhaltsstoffe sind wohl in einer «feinen» Olma-Bratwurst enthalten? Welche Nährstoffe in einem «saftigen» Burger? Oder nimmt man mit einem «feinen» Rinds-Angus-Beef aus Argentinien wirklich genügend Vitamin B12 zu sich? Und mit dem überzuckerten Emmi-Caffè Latte wohl genügend Kalzium? Sind nicht so manche Zivilisationskrankheiten (Bluthochdruck, Adipositas, erhöhte Cholesterinwerte etc.) auf eine tierische Ernährung zurückzuführen? Und dazu kommt das grausame Tierleid, das für unsere Essgewohnheiten einfach so in Kauf genommen wird... Also was ist an einer tierischen Ernährung gesund?

Leonie Bogl: Ja, was Sie beschreiben, nennt man auch «westliches Ernährungsmuster» und es wird in sehr vielen Studien mit einem höheren Risiko für Zivilisationskrankheiten in Verbindung gebracht. Die Planetary Health Diet wurde von der EAT Lancet- Kommission vorgeschlagen und der Schwerpunkt liegt auf einer pflanzenbetonten Ernährungsweise, die sowohl für den Menschen als auch für den Planeten gesund ist.

Fleischalternativen/vegane Produkte sind verglichen mit tierischen Produkten recht teuer. Werden tierische Produkte in der Schweiz subventioniert? Gibt es Subventionen für pflanzliche Alternativen? Wie viel teurer wäre Fleisch, wenn es nicht subventioniert würde?

Joël Luc Cachelin: In der Schweiz fallen etwa 80 Prozent der Subventionen auf die Produktion tierischer Produkte; in die pflanzliche Ernährung fliessen folglich nur 20 Prozent. Es gibt verschiedene Rechnungen, je nachdem wie lang der Zeithorizont gewählt wird. Ich vermute etwa eine Verdreifachung des Preises, wenn man alles mitrechnet.

Warum wehren sich so viele Menschen dagegen, weniger Fleisch, Eier und Milchprodukte zu essen? Wie kann man ihnen dabei helfen sich für neue fortschrittliche Ideen zu öffnen?

Joël Luc Cachelin: Häufig sind kulturelle Gewohnheiten, Falschinformationen und diffuse Verlustängste im Spiel. Was kann man tun? Vieles, zum Beispiel sie in ein veganes Restaurant einladen. Mit ihnen kochen und sie zum veganen Essen einladen, etwa zu einem Brunch mit Rüeblilachs und Randenhobbelfleisch. Die gesundheitlichen und ökologischen Vorteile aufzeigen, über die veganen Zukunftsmärkte diskutieren. Über die Probleme einer nicht-veganen Ernährung sprechen. Auf Promis hinweisen, die vegan leben. Kühe, Schweine und Hühner besuchen, streicheln und als Lebewesen kennenlernen. Ein Ansatz könnte auch darin bestehen, Initiativen zu unterstützen, wo Tiere super gehalten werden und überzählige Tiere nicht getötet werden, wie zum Beispiel bei Cow-Passion.

In der Schweiz würden die Nahrungsmittel knapp. 70 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche sind Gras, Weideland und Alpen. Diese Flächen können nicht ackerbaulich zur Produktion von pflanzlichen Lebensmittel genutzt werden. Durch den Wegfall von Fleisch, Milch..., Käse usw. würde unser Selbstversorgungsgrad an Lebensmittel drastisch sinken. Ebenfalls würden diese Flächen, die durch die Nutztiere genutzt werden, brach liegen. Das Gras würde verfaulen, was zu einer hohen CO2 Produktion führt. Die Aussage, dass vegan Leben klimaschonend sei, ist sehr kurzsichtig und falsch.

Leonie Bogl: Ich bin keine Expertin auf diesem Gebiet, aber ich denke auch, dass die Nachhaltigkeit der Ernährung von vielen Faktoren abhängt, und auf die regionalen Bedingungen angepasst sein müsste.

Wie nachhaltig sind eigentlich die industriell hergestellten veganen Fleischersatzprodukte? Können Sie ein paar Beispiele erwähnen? Es gibt ja wahrscheinlich eine grosse Bandbreite.

Leonie Bogl: Die Nachhaltigkeit von industriell hergestellten veganen Fleischersatzprodukten kann je nach Marke und Produkt sicherlich variieren. Es hängt sicherlich vom Transport ab, der Verpackung, Produktionsmethoden usw. und ich kann mir vorstellen, dass das unterschiedlich ist. Aus ernährungsphysiologischer Sicht kann ich auch sagen, dass diese Produkte sehr unterschiedlich zu bewerten sind. Manche Produkte haben viele Zusatzstoffe, oder viel Zucker und Salz, andere weniger. Aber der Salzgehalt ist ja bei Wurst auch eher hoch.

Das vegane Label auf Produkten scheint viele Leute abzuschrecken, als könnten sie es nicht essen, weil es als vegan deklariert ist. Warum sind vegane Produkte nicht die Norm und alles, was tierische Inhaltsstoffe enthält, wird mit einem entsprechenden Label versehen? Es gibt doch grundsätzlich viel mehr pflanzliche Produkte als tierische, oder?

Joël Luc Cachelin: Das ist ein spannendes Gedankenspiel! Ich bin mir manchmal auch nicht sicher, wie sinnvoll das V-Label ist. Für mich ist es zwar eine super Orientierungshilfe. Aber unter dem Label leidet umgekehrt die Vorstellung, dass vegane Produkte ganz normale Produkte sind.

Die WHO hat 2015 aufgrund den Auswertungen von über 600 Studien Fleisch als krebserregend eingestuft. Warum werden immer noch Kranke gemacht mit Milliardenfachem Tierleid? Weil Gesunde der Wirtschaft kein Geld bringen. Wo bleiben faire Massnahmen?

Leonie Bogl: Die WHO hat nur verarbeitetem Fleisch als krebserregend eingestuft, was aber nicht bedeutet, dass der Konsum von verarbeitetem Fleisch zwangsläufig zu Krebs führt oder wir ohne Fleisch keinen Krebs mehr hätten. Aber ja, die Frage warum kann ich leider nicht genau beantworten, es wird ja auch geraucht und das ist auch krebserregend (ist aber nicht 1:1 vergleichbar mit dem Fleischkonsum, denn die absoluten Risiken durch Fleisch sind viel geringer und es hängt auch vom allgemeinen Ernährungsmuster ab, nicht nur vom Fleischkonsum).

Müsste man in diesem Gedankenspiel nicht auch alle erdölbasierten Kunst- und Werkstoffe miteinbeziehen bzw. ausschliessen? Was wäre dann? Nicht mehr viel, oder? Ja, ein solches Gedankenspiel lohnt sich. Auch wenn es nur dazu dient, den betreffenden Ideologen vor Augen zu führen, dass eine vegane Welt für die Entwicklung der Menschheit aus heutiger Sicht völlig unrealistisch und absurd ist. Einschränkungen und Masshalten ja und möglich, aber völliger Verzicht? Wohl kaum.

Joël Luc Cachelin: Ich halte das Gedankenspiel weder für absurd noch unrealistisch, auch wenn die Lösung sicherlich auf Masshalten hinauslaufen wird. Das ist aus unterschiedlichen Gründen auch sinnvoll. Unrealistisch ist für mich die Vorstellung, dass alles so weiter gehen kann. Aber erstens ist das Essen tief in Kulturen verankert. Das ist der Hauptgrund, warum es eine Zukunft so schwer hat. Zweitens gibt es tatsächlich viele Querbezüge in andere Themen, zum Beispiel woher die Energie für die Gewächshäuser, Traktoren oder die Bioreaktoren kommen würde, die für die Herstellung von «Laborfleisch», Gewächshäuser und Urban Farming zweifellos in grossen Mengen nötig wäre.

10v10, 09.11.2023, 21:50 Uhr ; 

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