Auf dem Bauernhof von Stefan und Tamara Krapf werden heute keine Rinder mehr geschlachtet. Das war nicht immer so. Bis vor Kurzem war der Hof in Bernhardzell im Kanton St. Gallen auf die Rindfleischproduktion ausgerichtet.
Der Ausstieg habe mit Henry begonnen, einem Ochsen, erzählt Bäuerin Tamara Krapf. Mit ihm habe sie sich angefreundet.
Henry zeigte Tamara Krapf, dass ein Tier noch viel mehr ist, als einfach Fleisch. «Als Fleischproduzent hat man den Fokus auf der Fleischproduktion und legt sich Schutzfilter an», sagt sie. Schutzfilter, um es verkraften zu können, dass ständig Tiere zum Schlachthof gebracht werden müssen.
Vegan lohnt sich oft finanziell
Doch als Henry zum Schlachthof sollte, brachte Tamara Krapf das nicht mehr übers Herz. So entstand nach und nach die Idee, Patenschaften für die Tiere zu suchen – also Spenderinnen und Spender, die den Lebensunterhalt der Tiere finanzieren. Sodass diese nicht mehr geschlachtet werden müssen. Tamaras Ziel: Ein Lebenshof, auf dem die Tiere leben können, bis sie sterben.
Wie Tamara Krapf ergehe es auch anderen Bäuerinnen und Bauern, sagt Sarah Heiligtag. Sie ist vor ein paar Jahren selber aus der Nutztierhaltung ausgestiegen und berät heute andere Bäuerinnen und Bauern, die keine Tiere mehr schlachten oder melken wollen.
Die meisten Höfe halten nach der Umstellung – anders als der Hof von Tamara Krapf – keine Tiere mehr. Stattdessen verkaufen sie z.B. Gemüse, Hafer oder Hülsenfrüchte. In vielen Fällen verdienten sie damit sogar mehr als vorher, sagt Sarah Heiligtag. «Weil die pflanzlichen Produkte sehr gefragt sind, ist auch der finanzielle Anreiz da», sagt sie.
Nach dem Entscheid, aus der Rindfleischproduktion auszusteigen, begann erst die schwierigste Zeit.
In den letzten Jahren hat Sarah Heiligtag knapp 90 Höfe bei der Umstellung beraten. Inzwischen führt sie eine Warteliste, weil sie regelrecht überhäuft wird mit Anfragen. Wie viele Bauernhöfe in der Schweiz insgesamt aus der Tierhaltung aussteigen – den Tieren zuliebe oder aus Umweltschutzgründen – dazu gibt es allerdings keine Zahlen.
Laut dem Bundesamt für Landwirtschaft steigen viele aus der Nutztierhaltung aus, weil es sich für sie nicht mehr rentiert.
Schwierige Hofumstellung
Anders Tamara und Stefan Krapf: Nach der Umstellung auf einen Lebenshof werden sie wohl sogar finanziell besser dastehen. Doch ihr sei es nie ums Geld, sondern nur um die Tiere gegangen, erzählt Tamara Krapf. Sonst hätten sie die Umstellung wohl nicht durchziehen können. Denn man müsse auch mit Widerstand aus dem Umfeld rechnen.
Auch die ganze Umstellung auf einen veganen Hof sei nicht einfach gewesen. Nach dem Entscheid, aus der Rindfleischproduktion auszusteigen, begann nämlich erst die schwierigste Zeit, sagt sie. Dann kam die grosse Ungewissheit, ob sich die Idee auch tatsächlich verwirklichen lässt. «Es sind ganz viele Tränen geflossen». Die lange Zeit der Abklärungen und der Ungewissheit sei sehr anstrengend gewesen.
Ginge es nach den Bäuerinnen Tamara Krapf und Sarah Heiligtag, sollte in der Schweiz die Zahl der Nutztiere noch viel stärker reduziert werden – nicht nur den Tieren zuliebe, sondern auch, um die Landwirtschaft nachhaltiger zu gestalten.
Konsumenten und Politik in der Pflicht
Der Bauernverband ist da naturgemäss anderer Meinung. Er sieht die Verantwortung bei den Konsumentinnen und Konsumenten. Wenn sie weniger Kuhmilch, Eier oder Fleisch nachfragen würden, sänke auch die Produktion. Tatsächlich ist letztes Jahr der Fleischkonsum sogar leicht gestiegen. Gäbe es weniger Schweizer Fleisch, würde einfach mehr importiert, so der Bauernverband.
Anders sieht das Felix Schläpfer. Er ist Dozent für Umwelt- und Agrarökonomie an der Kaleidos Fachhochschule. Es stimme nicht, dass die Konsumentinnen und Konsumenten alleine dafür verantwortlich seien, was in der Schweiz produziert werde, sagt er. «Was die Landwirtschaft in der Schweiz produziert, das entscheidet die Politik.» Sie steuere das Angebot mit Zöllen, Kontingenten, Absatzförderung und mit Direktzahlungen.
Produkte, wie Fleisch oder Milch, die eigentlich teurer sein müssten, würden künstlich vergünstigt. Klar ist: Die Konsumentinnen und Konsumenten können mit ihrer Nachfrage das Angebot beeinflussen. Wie stark, da gehen die Meinungen auseinander.
Bäuerin Tamara Krapf ist heute einfach nur glücklich. Man spürt ihre Freude förmlich, wenn sie über das neue Bauernhofmodell spricht: «Es ist ein grosses Geschenk, dass wir heute einen Lebenshof führen dürfen», sagt sie, während sie sich zu ihrem Ochsen Henry ins Gehege setzt.