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Was wäre, wenn wir kein Fleisch essen würden? Ein Gedankenspiel
Aus 10 vor 10 vom 09.11.2023.
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Gedankenexperiment Was wäre, wenn die Menschheit vegan leben würde?

Der Mensch ist Mensch, weil er Fleisch isst. Der Fleischfresser als Krone der Schöpfung. In Zeiten der Klimaerwärmung gerät dieses Dogma ins Wanken.

In den frühesten Höhlenmalereien auf verschiedenen Kontinenten wiederholt sich ein Motiv mit verblüffender Regelmässigkeit: Urmenschen bei der Jagd. Die Erlegung und der anschliessende Verzehr von Wild ist das wiederkehrende Kernthema der frühen Kunst. Die Erfahrung, dass es mit List, ja mit Intelligenz und fortschrittlicher Waffentechnologie (Pfeil und Bogen) gelingt, andere Lebewesen zu Nahrung umzudeuten, musste für unsere Vorfahren etwas Berauschendes gehabt haben.

Die Zeichnung eines Wildschweins an einer Höhlenwand.
Legende: Eine Zeichnung von einem Wildschwein und zwei Handabdrücken, die mindestens 45'500 Jahre alt sind. Die Höhlenmalereien wurden in Sulawesi, Indonesien, entdeckt. Schon damals war der Verzehr von Wild ein Kernthema der Höhlenmalereien. Keystone/Maxime Aubert Handout

Bis heute sind es Fleischgerichte, und nicht Gemüsevarianten, welche wichtige Feste der Menschen garnieren: Die Weihnachtsgans, der Sonntagsbraten, die Olma-Wurst, das Wildschwein am Schluss jedes Abenteuers bei Asterix und Obelix. Der gemeinsame Verzehr von Fleisch vermittelt den Menschen noch heute ein Gefühl evolutiver Überlegenheit.

Ein Koch stellt Obelix einen grossen Braten auf den Tisch.
Legende: Auch die Comicfigur Obelix geniesst gern einen saftigen Wildschweinbraten. Imago/Allstar

Doch seit geraumer Zeit wird ein Gegentrend immer wichtiger: Der Veganismus – das Leben ganz ohne tierische Produkte. Konsequente Veganerinnen und Veganer essen kein Fleisch. Mehr noch. Sie nehmen überhaupt keine tierischen Produkte zu sich. Keine Milch, keinen Käse, keinen Honig – nichts von alldem. Sie tragen weder Ledergürtel noch Lederschuhe.

Noch vor einiger Zeit galten vegan lebende Menschen als sonderbare Eigenbrötlerinnen und Eigenbrötler. Noch heute lebt erst eine verschwindend kleine Minderheit konsequent vegan. Aber der Lebensstil erhält deutlich mehr Zustimmung aus der Bevölkerung als noch vor einigen Jahren. Ernährung muss heutzutage auch moralisch korrekt sein. Immer neue vegane Produkte füllen die Regale von Schweizer Detailhändlern.

Ein Kühlregal mit ausschliesslich veganen Produkten.
Legende: Immer mehr Regale werden im Schweizer Detailhandel mit veganen Produkten aufgefüllt. Keystone/ CHRISTIAN BEUTLER

Der neue Boom hat unter anderem mit der Klimakrise zu tun. Auf das Klima hätte eine vegane Welt wohl positive Auswirkungen. Etwa 15 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen stammen nämlich aus der Nutztierhaltung, sagt ETH-Klimaforscher Cyril Brunner. Um die uns gesetzten Klimaziele zu erreichen, sei Veganismus keine Voraussetzung – doch würden wir ab morgen auf Nutztiere verzichten, wäre es im Jahr 2050 0.15 Grad weniger warm. Doch was heisst das?

Global ist das etwa ein Drittel der ganzen Waldfläche, die wir abgeholzt haben. Wenn wir vegan werden würden, würden wir einen grossen Teil dieser Fläche nicht mehr brauchen.
Autor: Cyril Brunner ETH-Klimaforscher

«Als Mensch haben wir uns die Limite gesetzt, die Erwärmung auf 1.5 Grad zu beschränken. Also ist das etwa 10 Prozent davon – es ist also nicht wegzureden», sagt Brunner. Zudem hätten wir grosse Platzansprüche und hätten deswegen global und schweizweit sehr viel Waldfläche abgeholzt. «Global ist das etwa ein Drittel der ganzen Waldfläche, die wir abgeholzt haben. Wenn wir vegan werden würden, würden wir einen grossen Teil dieser Fläche nicht mehr brauchen.»

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Brunner: «Den Menschen stünden mehr Nutzflächen zur Verfügung.»
Aus News-Clip vom 09.11.2023.
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Erlauben wir uns ein Gedankenspiel. Was würde es nun aber konkret bedeuten, wenn plötzlich alle Menschen vegan leben würden? Innovationskraft und der Wille alles zu verändern wären unabdingbar – auch in der Landwirtschaft. Durch den Wegfall der Tiere würden viele Flächen frei. Doch nicht alle eignen sich für den Ackerbau. Ob es überhaupt möglich wäre, genügend vegane Nahrung für die ganze Weltbevölkerung zu produzieren, ist umstritten.

Ein Holzpfahl eines Zaunes, der eine Kuhweide begrenzt.
Legende: Durch den Wegfall der Viehzucht würden viele Flächen in der Landwirtschaft frei. Keystone/Martin Ruetschi

Vielleicht würden wir darum mehr Mikroalgen essen. Auf dem Meer angebaut, könnten sie in unserem vereinfachten Gedankenspiel als wertvoller Proteinlieferant dienen.

Ein Reagenzglas mit einer grünen Flüssigkeit drin.
Legende: Mikroalgen sind mit blossem Auge nicht sichtbar. Sie kommen typischerweise in Sedimenten des Süss- und Meerwassers vor, können aber auch im Labor gezüchtet werden. Reuters/Regis Duvignau

Genauso gut könnte «Vertical Farming» sehr wichtig werden. Oder industriell hergestellte Lebensmittel. Stichwort: Laborfleisch.

Arbeiterinnen prüfen Pflanzen in einem «Greenhouse» einer Vertical Farm in Texas.
Legende: Die vertikale Landwirtschaft ermöglicht einen massenhaften Anbau von Pflanzen in mehrstöckigen Gebäuden wie hier in einem «Greenhouse» im US-Bundesstaat Texas. Keystone/LM OTERO

Zukunftsforscher und Autor Joel Cachelin hat sich intensiv mit der Utopie einer veganen Gesellschaft auseinandergesetzt. «In einer veganen Welt würden neue Branchen entstehen», sagt Cachelin.

Laborfleisch könnte die Lösung sein, diese Traditionen weiterzusetzen.
Autor: Joel Cachelin Zukunftsforscher und Autor

Die Leute seien wahrscheinlich nicht bereit, ganz andere Sachen zu essen und auf alte Gewohnheiten zu verzichten, wie eine Wurst oder ein Steak zu essen, meint Cachelin. Aber: «Laborfleisch könnte die Lösung sein, diese Traditionen weiterzusetzen.»

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Cachelin: «In einer veganen Welt würden neue Branchen entstehen.»
Aus News-Clip vom 09.11.2023.
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Cachelin sagt: Von heute auf morgen auf Fleisch zu verzichten, wäre für viele Menschen ein Schock. Menschen würden vermutlich wütend werden und rebellieren. «In einem zweiten Schritt würde ich erwarten, dass sehr viel Innovation geweckt wird.»

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Cachelin: «Ich glaube, sie würden sehr wütend werden.»
Aus News-Clip vom 09.11.2023.
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Lia Bally ist Leiterin der Ernährungsmedizin am Inselspital Bern. Den Anteil pflanzlicher Nahrungsmittel zu erhöhen, hält sie für sinnvoll.

Wir befürchten, dass es zu Mangelerscheinungen kommen könnte.
Autor: Lia Bally Leiterin der Ernährungsmedizin am Inselspital Bern

Doch die ganze Menschheit schon ab morgen radikal vegan zu ernähren – was das für Folgen hätte, könne man heute nicht sagen. Dazu fehlten schlichtweg bis anhin Daten, meint Bally. «Wir befürchten, dass es zu Mangelerscheinungen kommen könnte.» Diesen Mangelerscheinungen könnten Veganerinnen und Veganer jedoch durch Nahrungsergänzungsmittel vorbeugen.

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Bally: «Eine Datengrundlage ist noch nicht vorhanden.»
Aus News-Clip vom 09.11.2023.
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«Es wäre ein bisschen ein Schritt ins Blaue, weil wir schlicht und einfach die Datengrundlage noch nicht haben, um abzuschätzen, was medizinische Langzeitfolgen sind. Was wir natürlich befürchten, ist, dass es zu Mangelerscheinungen kommt, weil man zu wenig Vitamin B12 hat oder Kalzium», meint Bally.

Die SRF-Rubrik Was wäre, wenn ...?

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In der multimedialen Rubrik «Was wäre, wenn …?» leuchtet SRF Zukunftsszenarien aus. In einem Gedankenexperiment wird eine radikalen oder unerwarteten Entwicklung durchgespielt. Dieser Ansatz soll helfen, besser zu verstehen, was in der Zukunft geschehen könnte. SRF begleitet das jeweilige Thema rund 24 Stunden online, am Radio und im TV. Dabei werden Zuschauerinnen und User eingeladen, sich aktiv an der Diskussion zu beteiligen.

Alle Artikel, Expertenchats und Videos der Rubrik «Was wäre, wenn …?» finden Sie hier.

Haben Sie weitere Ideen für Zukunftsszenarien, die SRF beleuchten soll? Schicken Sie uns gerne Ihren Input an communities@srf.ch.

Ob jemals die ganze Menschheit vegan wird, ist deshalb fraglich. Erhebliche Zweifel sind vor allem bei Asterix und Obelix angebracht. Und besonders unbelehrbar wäre natürlich Idefix.

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Was wäre, wenn die Menschheit vegan leben würde?
aus Treffpunkt vom 10.11.2023. Bild: Imago/Ekaterina Yakunina
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Radio SRF 1, 9.11.23, 17:20 Uhr

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