Nur noch wenige Tage bis zu den Wahlen in den USA. Im Live-Chat haben unsere Korrespondenten Ihre Fragen dazu beantwortet.
Chat-Protokoll:
Welchen Einfluss hat Elon Musk auf die Wahlen? Was hat ihn dazu gebracht, neu Republikanisch zu stimmen?
Andrea Christen: Der Einfluss auf die Wahl ist schwer zu messen. Musk macht enorme Anstrengungen, Wählerinnen und Wähler für Trump zu mobilisieren. Er nimmt dafür viel Geld in die Hand. Wenn wir bedenken, wie knapp die Resultate ausfallen könnten, etwa im sehr wichtigen Bundesstaat Pennsylvania, dann könnte das durchaus ins Gewicht fallen. Aber messen lässt sich das wohl nicht. Ich habe in diesem Beitrag versucht, die Wandlung von Elon Musk nachzuzeichnen.
Wenn Donald Trump die Wahl gewinnt, was für Auswirkungen auf der Schweiz könnten wir erwarten?
Viviane Manz: Einige Hinweise: Trump ist bekannt für seine «America first» Politik. Das heisst, wenn er es im Interesse der USA sieht, verhängt er Zölle gegenüber Produkten aus dem Ausland, das kann auch die Schweiz treffen. Umgekehrt verspricht er weniger Regulierung in den USA und gilt generell als wirtschaftsfreundlich. Joe Biden hat mit zwei grossen Gesetzespaketen viel Geld für Infrastrukturprojekte und für klimafreundliche Technologien bereitgestellt. Davon profitieren viele Schweizer Firmen, die in den USA investieren und exportieren. Wie das unter Trump weitergehen würde, ist offen.
Donald Trump hat mehrfach die Unterstützung der Ukraine und die Mitgliedschaft in der Nato in Frage gestellt. Gerade in der Sicherheitspolitik müsste sich die Schweiz und Europa darauf einstellen, mehr auf sich selbst gestellt zu sein.
In den letzten Tagen scheint Trump langsam mehr Wählerstimmen zu bekommen. Stimmt das? An was liegt das?
Viviane Manz: In einigen, vor allem nationalen Umfragen gibt es tatsächlich eine leichte Tendenz Richtung Donald Trump. In den entscheidenden Swingstates sind die Umfragen allerdings nach wie vor ähnlich: Sie zeigen ein ganz knappes Rennen, innerhalb des Fehlerbereichs. Es ist kein starker Trend in eine Richtung zu sehen. Insgesamt waren die Umfragen seit Wochen recht stabil.
Die Frage ist nun, wie sich die Wählerinnen und Wähler letztlich entscheiden, die noch nicht ganz sicher sind, ob sie wählen gehen und für wen.
Welches sind die traditionellen «Swing States» und wie sieht die momentane Tendenz dort aus ?
Andrea Christen: Dieses Jahr sprechen wir von sieben Swing States. Die vielen Umfragen sind natürlich mit Vorsicht zu geniessen, aber sie ergeben in der Summe ein Bild: Es ist in diesen Bundesstaaten ausserordentlich knapp. Eine Voraussage ist nicht möglich. Generell können wir die Swing States in zwei Gruppen aufteilen: Die nördlichen (Pennsylvania, Wisconsin und Michigan) und die südlichen (Arizona, North Carolina, Nevada und Georgia).
Generell gilt Pennsylvania als der wichtigste Swing State. Dort gibt es 19 Elektorenstimmen zu holen (270 sind nötig für einen Sieg). Ohne diesen Bundesstaaten wird es für beide, für Trump und Harris, sehr schwierig, zu siegen. Generell gilt: Die US-Wahlen werden in einer Handvoll Bundesstaaten von verhältnismässig wenigen Wählerinnen und Wählern entschieden.
Für welchen Kandidaten spricht eine hohe Wahlbeteiligung?
Andrea Christen: Eine hohe Wahlbeteiligung, gerade bei den Stimmen die vor dem Wahltag abgegeben werden, ist eher ein Vorteil für die Demokraten. Das hat sich in der Pandemiewahl von 2020 gezeigt. Auch jetzt sind bereits über 54 Millionen Stimmen schon abgegeben worden. Es zeichnet sich jedoch ab, dass auch republikanische Wählerinnen und Wähler dieses Mal in grösserer Zahl wählen. Es ist deshalb, mit den frühzeitig abgegebenen Stimmen, die wir jetzt haben, nicht möglich, klar abzulesen, wer im Vorteil ist.
Man liest gefühlt immer wieder, dass die US-Wahl eher eine Popularitätswahl von Charakterköpfen ist, dass man es auch ohne eigentliches Wahlprogramm gut schaffen kann. Stimmt das, oder zeichnet das ein zu einfaches Bild der US-Bevölkerung?
Viviane Manz: Die Persönlichkeit ist enorm wichtig, aber das Wahlprogramm auch. Die Präsidentin/der Präsident wird vom Volk gewählt, und viele schauen darauf, ob sie der Person vertrauen, sie als glaubwürdig und tatkräftig wahrnehmen. So sagen etwa vielen Trump-Anhängerinnen und -Anhänger, dass er sage, was er denke, dass er kein typischer Politiker sei. Er versteht es sehr gut, seine Politik zu verkaufen. Im extrem medialen Wahlkampf der USA ist es absolut wichtig, dass ein Kandidat oder eine Kandidatin gut auftreten kann.
Umgekehrt höre ich auch immer wieder von Konservativen, dass sie Trump als Person nicht mögen wegen seines Charakters, dass sie ihn aber trotzdem wählen. Sie glauben, dass er besser ist für die Wirtschaft und sie möchten eine strengere Einwanderungspolitik. Das heisst, manche wählen Trump trotz seiner Persönlichkeit und wegen seiner (erhofften) Politik.
Ich habe eine Frage zum Prinzip: «The Winner takes all» in Bezug auf die US-Wahlen. Warum werden alle Wahlmänner eines Bundesstaates dem Kandidaten zugesprochen, der die Mehrheit der Stimmen in diesem Bundesstaat gewonnen hat, anstatt diese proportional entsprechend dem Wähleranteil zu verteilen? Ich empfinde dieses Prinzip als undemokratisch, da die Stimmen der Wähler, die für den unterlegenen Kandidaten gestimmt haben, nicht berücksichtigt werden. Vielen Dank vorab, für das Beantworten meiner Frage!
Andrea Christen: Da sind sie nicht der einzige! Generell ist das «Electoral College» eine Institution, die es einer Minderheit erlaubt, an die Macht zu kommen. Generell geht man davon aus, dass das Elektorenwahlsystem ein Vorteil für die Republikaner bildet. Die Republikaner George W. Bush und Donald Trump haben 2000 und 2016 beide das Volksmehr verpasst und wurden trotzdem gewählt. Um das (uralte) Elektorenwahlsystem abzuschaffen, bräuchte es einen Zusatz in der US-Verfassung. Die Hürde dafür ist unheimlich hoch. Nun können aber die Bundesstaaten entscheiden, wie sie ihre Elektorenstimmen, basierend auf einer Volkswahl, verteilen. Aber nur Maine und Nebraska haben entschieden, einen Teil ihrer Elektorenstimmen anhand des Wahlresultats in den einzelnen Wahldistrikten zu vergeben.
Eine Elektorenstimme in Nebraska, vergeben rund um die Stadt Omaha, könnte für Kamala Harris den Unterschied zwischen Sieg und Niederlage bedeuten. Aber sie haben schon recht: Wählerinnen und Wähler in Chicago zum Beispiel haben viel weniger Gewicht als Wählerinnen und Wähler in Pennsylvania. Man darf sich fragen, wie demokratisch das ist.
Warum wird in den Medien notorisch positiv über Kamala Harris und notorisch negativ über Donald Trump berichtet. Wenn man die Medienartikel genau liest, sind es oft Meinungsäusserungen der Journalisten und keine neutrale Berichterstattung. Woher kommt die Politisierung in den Medien?
Viviane Manz: Ich kann hier nicht für alle Medien antworten. Was meine Berichterstattung betrifft: Ich stelle in verschiedenen Berichten die Sicht von beiden Seiten der Wählerschaft dar: Warum zum Beispiel viele junge Männer Trump wählen, warum viele junge Frauen Harris. Jeder soll mit den besten Argumenten und ihren guten Gründen zu Wort kommen, damit sich die Menschen in der Schweiz ein Bild machen können von der Ausgangslage in den USA.
Was auch dazugehört, ist gewisse Dinge beim Namen zu nennen. Donald Trump sagt immer wieder Dinge, die schlicht nicht stimmen. Er hatte nach der letzten Wahl, die von Joe Biden gewonnen wurde, mit verschiedenen Mitteln versucht, die Wahl umzustürzen und an der Macht zu bleiben. Das mag von manchen als «negative Berichterstattung» wahrgenommen werden, aber es entspricht schlicht den Tatsachen.
Wieso fallen die falschen Behauptungen von Trump im Wahlkampf, wie beispielsweise diese absurde Behauptungen zu den Haustieren in Springfield auf so offene Ohren in der Gesellschaft? Es scheint von aussen, dass die Wählerinnen und Wähler so über- oder unterinformiert durch die Welt taumeln und jedem Input nachgehen oder nachhängen.
Andrea Christen: Eine schwierige Frage. Und ich bin nicht sicher, ob ich sie zufriedenstellend beantworten kann. Lassen Sie es mich versuchen: Es gibt wohl einerseits Wählerinnen und Wähler, denen die politischen Inhalte von Donald Trump und den Republikanern mehr zusagen als Kamala Harris und den Demokraten. Sie erinnern sich vielleicht daran, dass es ihnen unter Trump (in der Pandemie) besser ging als unter Joe Biden und Kamala Harris. Sie trauen Trump vielleicht mehr zu, wenn es um die illegale Immigration in die USA geht. Sie wissen um Trumps charakterliche Eigenschaften, auch um seine Lügen. Aber sie sind bereit, all das in Kauf zu nehmen.
Zweitens fällt mir auf, wie sehr die Menschen hier in ihren Informationsblasen sind. Nicht nur haben gerade republikanische Wählerinnen und Wähler das Vertrauen in die «Mainstream media» verloren, die Inhalte dieser Medien erreichen sie auch nicht mehr. Sie informieren sich im rechten Medienbiotop. Es umfasst Fernsehsender, Podcasts usw. Mir scheint, linke und rechte Wählende leben in unterschiedlichen Informationswelten. Selbst wenn Trump lügt, was er unheimlich häufig tut, ist die Chance gross, dass die Wahrheit einen Trumpwähler nicht erreicht oder dass er sie nicht glaubt. Ähnliches gilt natürlich auch für linke Amerikanerinnen und Amerikaner: Wer nur MSNBC schaut, kriegt nur eine Weltsicht vorgesetzt.
Was sind vertrauliche und gute Quellen für Umfragewerte.
Viviane Manz: Mehrere Medien in den USA bieten eine Übersicht. Die New York Times etwa hat auf ihrer Website zu den Umfragen eine Auflistung aller Umfragen. Dazu runterscrollen, bis zu «The latest Harris vs Trump polls». Dann anklicken «select pollsters» – das sind jene, die qualitativ besonders hohe Ansprüche haben. Wichtig sind die Umfragen in den entscheidenden Swingstates: Pennsylvania, Michigan, Wisconsin, Arizona, Nevada, Georgia, North Carolina. Denn diese Swingstates dürften die Wahl entscheiden.
Einen guten Ruf haben neben anderen die Umfragen der NY Times, Washington Post, CNN, Marist, FoxNews. Allerdings haben alle Umfragen einen Fehlerbereich, und vor allem kommt es letztlich darauf an, wer dann auch wählen geht. Sie können uns nicht sagen, wer diese Wahl gewinnt.
Wer ist besser im Rennen, Präsident zu werden?
Andrea Christen: Wenn wir das wüssten! Die Umfragen zeichnen das Bild einer unheimlich knappen Wahl. Ernstzunehmende politische Expertinnen und Experten in den USA sind sich einig, dass jede Vorhersage nur Spekulation ist. Das passt zu der politischen Realität in den USA: Einige zehntausend Wählerstimmen in nur sieben Bundesstaaten dürften den Ausschlag geben. Das heisst nicht, dass das Resultat nicht auch deutlich ausfallen könnte. Abwarten und Tee trinken. Irgendwann im Verlauf der nächsten Woche wissen wir hoffentlich Bescheid.
Ist wenn Harris gewinnt eine Anklage und Verurteilung von Musk und Trump möglich wegen dem Stimmenkauf? Und wie sieht es in dem Fall wenn Trump verliert und sich nicht selbst begnadigen kann mit den restlichen Anklagen aus?
Andrea Christen: Zuerst zu Trump: Sollte er verlieren, so läuft er Gefahr, dass seine juristischen Probleme wieder auftauchen. Einmal ist er schon verurteilt: Im Bundesstaat New York, basierend auf der Schweigegeldzahlung an einen Pornostar. Hier steht die Verkündung des Strafmasses noch aus. Eine Gefängnisstrafe ist denkbar.
Zu den beiden Fällen auf Bundesebene: Der Oberste Gerichtshof in den USA hat dieses Jahr festgestellt, dass US-Präsidenten für das, was sie während ihrer Amtszeit tun, weitgehende, aber nicht volle, Immunität vor Strafverfolgung geniessen. Das hat den Fall rund um den Sturm aufs Kapitol am 6. Januar arg in Schieflage gebracht. Sonderstaatsanwalt Jack Smith hat die Anklage entschlackt und neu eingereicht. Der Fall um die Dokumente, die Trump nach Florida mitnahm, erlitt einen harten Schlag, als eine (von Trump eingesetzte) Richterin den Fall im Sommer zurückwies, mit der Begründung, Jack Smith hätte nicht eingesetzt werden dürfen. Diese Sache nimmt nun den Berufungsweg. Hängig ist auch eine komplizierte Anklage gegen Trump und andere im Bundesstaat Georgia, wo sie nach 2020 versuchten, das Wahlresultat umzustossen.
Kurzum: All diese Fälle wurden verzögert, sodass ein Urteil vor der Wahl nicht mehr möglich war. Gut möglich, dass sie nach Trumps Niederlage weitergehen würden, über Monate, vielleicht Jahre. Begnadigen könnte ihn im Fall einer Verurteilung (auf Bundesebene) nur eine: Präsidentin Kamala Harris. Elon Musk: Das Justizdepartement hat Elon Musk schon gewarnt, dass seine Aktion gegen das Gesetz verstossen könnte. Eine Anklage ist denkbar. Natürlich könnte Donald Trump eine solche im Fall eines Sieges abwürgen.
Die Polarisierung in den USA scheint seit vielen Jahren zuzunehmen. Gemeinsame politische Lösungen – so habe ich zumindest den Eindruck – sind kaum oder nicht mehr möglich. Inwiefern hängt dies mit dem politischen System der USA zusammen und wie gefährlich ist diese Entwicklung für die Demokratie in den Staaten?
Viviane Manz: Vielleicht vorweg – über die Polarisierung in den USA wurde auch schon früher geklagt. Was ich jetzt von vielen Amerikanerinnen und Amerikanern höre, ist schon, dass sie es als noch extremer empfinden. Sie sind regelrecht verzweifelt und viele haben echte Panik, wie die Wahl ausgehen wird. Und das auf beiden Seiten. Das Zweiparteien-System fördert eine gewisse Polarisierung. Dazu kommt, dass in den letzten Jahren in den Vorwahlen innerhalb der Republikanischen Partei oft extreme Kandidatinnen und Kandidaten gewannen gegen gemässigte Vertreter ihrer Partei. Diese Politiker vom äusseren Rand ihrer Partei vertreten dann in ihrer Funktion oft auch kompromisslose Positionen.
Sind gemeinsame politische Lösungen nicht mehr möglich? Tatsächlich mag oft keine Seite der anderen einen Sieg gönnen. Zuletzt gesehen bei einem überparteilichen Gesetz zu besserem Grenzschutz, das nicht zustande kam, weil Donald Trump seinen Einfluss in der Republikanischen Partei geltend machte und seine Parteikollegen dazu brachte, dagegen zu stimmen. Umgekehrt kamen während der Regierung von Joe Biden mit dem Infrastrukturpaket oder dem Gesetz zur Förderung der Chips-Industrie Gesetze zustande dank überparteilichem Support. Da selten eine Partei sowohl die Regierung wie beide Kammern im Kongress gleichzeitig gewinnt, wären eigentlich Kompromisse zwingend, um Probleme lösen zu können. Von daher ist das durchaus schädlich für die Demokratie.
Und noch etwas trägt vielleicht am stärksten zur Polarisierung bei, das nichts mit dem politischen System zu tun hat: Die Medienwelt ist gespalten in linke und rechte Medien, in sozialen Medien sehen Menschen komplett verschiedene, oft einseitige Inhalte.
Dürfte Trump theoretisch nach einer Wahl und einer Wiederwahl in 4 Jahren eine «3. Amtszeit» antreten oder nicht?
Andrea Christen: Nein. Der 22. Verfassungszusatz von 1951 verbietet es, länger als zwei Amtszeiten zu dienen, egal ob diese aufeinanderfolgten oder nicht. Das war nicht immer so: Franklin D. Roosevelt wurde viermal gewählt – und starb 1945 im Amt. Nur eine Verfassungsänderung würde es Trump, oder jemand anderem, ermöglichen, nach zwei Amtszeiten im Amt zu bleiben. Die Hürde für einen neuen Verfassungszusatz ist aber sehr, sehr hoch.
Ist es möglich, dass nach der ersten Auszählung sich alles um mehrere Wochen verzögert, weil Resultate angefochten werden, gerade in Swingstates wie Georgia wurde sowas ja im Grunde schon von Republikanern angekündigt.
Andrea Christen: Ja. Die Resultate werden wohl vielfach angefochten. Sicherlich auf dem legalen Weg. Dann werden die Gerichte entscheiden müssen. Es ist aber zu erwarten, das hat die Erfahrung von 2020/21 gezeigt, dass die Republikaner auch auf andere Weise versuchen könnten, Chaos zu stiften: Indem es etwa in einzelnen Counties zu Problemen, Konflikten kommt, wenn es darum geht, die Wahlresultate zu beglaubigen. Es gibt die Befürchtung, dass dieses Chaos viel Zeit kosten könnte. Auch Gewalt ist, leider, nach den Ereignissen vom 6. Januar 2021, nicht mehr ausgeschlossen.
Immerhin wurde in der Zwischenzeit ein Gesetz konkretisiert: Es legt zum Beispiel fest, dass der Vizepräsident, der dem Senat vorsitzt, nicht die Macht hat, im US-Kongress die Wahl von Harris oder Trump zurückzuweisen. Dadurch wurden einige Möglichkeiten, den Wahlprozess zu stören, beseitigt. Aber wir müssen uns im jeden Fall auf turbulente Zeiten einstellen.
Wie geht es nach der Wahl weiter? Das Land ist stark polarisiert, trauen sie es Trump oder Harris zu, die Leute wieder zu einen? Die Hälfte der Amerikaner und Amerikanerinnen werden enttäuscht sein und nicht viel vom neuen Präsidenten/ von der neuen Präsidentin halten.
Viviane Manz: Wie Sie es sagen: Die Hälfte des Landes wird nicht nur enttäuscht sein über die Wahl, sondern entsetzt oder sehr wütend sein. Viele fürchten, dass es erneut zu gewalttätigen Protesten kommen könnte, nachdem was am 6. Januar 2021 beim Kapitolsturm geschehen ist. Was Donald Trump betrifft, ist es schwer vorstellbar, dass er das Land einen kann: Nach acht Jahren in der Politik polarisiert er mehr denn je, und er hat in seinen Wahlkampf-Ansprachen nicht versöhnliche Töne angeschlagen, sondern kämpferisch-düstere, auch mit der Ankündigung, gegen politische Feinde und den «Feind von innen» vorzugehen.
Kamala Harris verspricht zwar immer wieder, eine Präsidentin für alle Amerikaner zu sein, und einen Ministerposten an eine Republikanerin oder einen Republikaner zu vergeben. Ob die Trump-Wählerschaft sich allerdings damit abfinden kann, ist schwer vorstellbar. Sie fürchten sich vor einer sehr linken Politik und sehen ihre Vorstellung von einem konservativen Amerika existentiell gefährdet. Dazu kommt, dass viele Trump-Wählende im Falle einer Niederlage Trumps glauben werden, dass Wahlbetrug dahinterstecke, so wie es Trump seit Jahren behauptet. Das macht es schwierig, den Ausgang zu akzeptieren.
Bestehen in den USA Bestrebungen zur grundsätzlichen Anpassung des Wahlprozederes, sodass nicht wenige Stimmen eines einzelnen Staates mehr gewichten als das Gesamtergebnis? Z.B. Aufteilung der Elektoren pro Staat nach Wahl der Person. Wie beurteilen Sie die Wahrscheinlichkeit, dass es zu grundsätzlichen Anpassungen des Wahlprozederes kommen könnte?
Andrea Christen: Die Wahrscheinlichkeit ist gering. Um das Elektorenwahlsystem zu beseitigen, wäre ein neuer Verfassungszusatz nötig. Die Hürde dafür ist sehr hoch, der Widerstand der Republikaner auch. Natürlich könnten einzelne Bundesstaaten entscheiden, ihre Elektorenstimmen anhand der Wahlresultate in den einzelnen Wahldistrikten zu verteilen. Aber bislang tun das nur Maine und Nebraska. In Nebraska gibt es sogar die Bestrebung, dieses Modell wieder zu beseitigen.
Wenn es nicht zwischen den Parteien einen breiten Konsens gibt, sich vom (uralten) Elektorenwahlsystem zu verabschieden, bleibt es wohl beim jetzigen System. Und etwas ist in den USA selten: politischer Konsens.
Werden bereits Vorbereitungen getroffen, um das Capitol zu schützen und haben sich die Sicherheitsmassnahmen für andere vulnerable Punkte während der Wahlen genügend verschärft?
Andrea Christen: In US-Medien war zu lesen, dass die Sicherheitsvorkehrungen für das Kapitol dramatisch erhöht würden. Es würde mich sehr erstaunen, wenn die Behörden etwas Vergleichbares wie im Jahr 2021 zulassen würden. Ich frage mich aber, ob all die vielen Auszählzentren und Wahllokale am 5. November geschützt werden können.
Kann man als Präsident die Verfassung ändern und länger als acht Jahre oder «für immer» Präsident sein? Wie realistisch ist das?
Viviane Manz: Die Verfassung der USA zu ändern, ist extrem schwierig. Es braucht dazu eine zwei Drittel Mehrheit in beiden Kammern des Kongresses. Das ist in der derzeitigen politischen Lage absolut unrealistisch. Dahinter steckt wohl auch die Frage, wie stark der Rechtsstaat in den USA ist, die sogenannten Checks and Balances.
Viele Republikaner, die Trump zwar nicht mögen, ihn aber wegen seiner Politik wählen wollen, sagen mir: Trump könne die Demokratie nicht kaputt machen, unser Rechtsstaat sei zu stark. Allerdings können in kleinen Schritten Verschiebungen im Machtgefüge gelingen. Und eine Verfassung ist letztlich nur ein Papier. Entscheidend ist, dass es auch Leute gibt, die sie verteidigen.
Wann werden die ersten Wahlergebnisse veröffentlicht?
Viviane Manz: Es ist offen, wann wir wissen, wer die Wahl gewonnen hat. Es kann in der Wahlnacht sein oder erst nach ein paar Tagen, so wie es 2020 war. Erste Hinweise, in welche Richtung die Wahl geht, erhoffe ich mir aus Georgia. Sie glauben dort, diesmal schneller das Resultat verkünden zu können, vielleicht schon am Mittwochmorgen CH-Zeit.
Für Trump ist Georgia aller Voraussicht nach ein Bundesstaat, den er gewinnen muss. Tut er das klar, ist er auf Kurs, doch Harris kann immer noch mit einem Sieg in Pennsylvania, Michigan und Wisconsin gewinnen. Verliert Trump Georgia, ist das ein schlechtes Zeichen für ihn.
Was passiert mit den Anklagen gegen Donald Trump nach einem allfälligen Wahlsieg von ihm? Kann er diese Verfahren stoppen lassen oder werden die Urteile nach seiner Amtszeit vollstreckt?
Andrea Christen: Er würde, und das wird auch erwartet, die Fälle auf Bundesebene (Sturm aufs Kapitol, Geheimdokumente) wohl versuchen zu stoppen und den Sonderstaatsanwalt Jack Smith loszuwerden. Das Justizministerium ist Teil der Exekutive. Präsidenten versuchten traditionell, sich nicht in solche Strafverfolgungen einzumischen. Wir dürfen aber vermuten, dass Trump diese Hemmung nicht hat.
Hängig ist auch ein Fall im Bundesstaat Georgia, wo Trump und andere angeklagt wurden, weil sie versuchten, das Wahlresultat von 2020 umzustossen. Weil das kein Fall auf Bundesebene ist, kann Trump diese Anklage nicht stoppen, aber er wird, zumindest während einer zweiten Amtszeit wohl sicher davor sein. Noch ausstehend ist das Strafmass in New York, wo Trump verurteilt wurde. Es ist schwer vorstellbar, dass der Richter dort eine Gefängnisstrafe gegen einen (zukünftigen) Präsidenten verhängen würde.
Kurzum: Eine Wahl würde Trump wohl vor weiten strafrechtlichen Konsequenzen weitgehend abschirmen.
Hätten die Republikaner nicht mit einem weniger radikalen Kandidaten mehr Chancen gehabt? Wenn nein, wieso nicht und wenn ja, weshalb wurde denn Trump gewählt?
Viviane Manz: Viele glauben, dass die Republikaner mit einer gemässigteren Persönlichkeit mehr Chancen gehabt hätten in der Wahl. Wie etwa Nikki Haley. Sie hat in den Vorwahlen innerhalb der Partei gegen Donald Trump verloren. Trump kann innerhalb seiner Partei auf eine treue , hochmotivierte Kernbasis zählen. Die ist gross genug, dass es für alle Herausforderer in der Partei extrem schwierig ist, ihn zu schlagen. Zudem hat Trump eine Dominanz in seiner Partei erreicht, die wohl auch einige potentielle Herausforderer einschüchtert. Wer sich gegen ihn ausspricht, hat kaum noch eine Zukunft innerhalb der Partei.
Ob Nikki Haley nun in dieser Wahl zum Sieg segeln würde – gegen Biden wäre das wohl so gewesen, Harris ist hingegen eine stärkere Gegnerin. Man muss auch sagen: Donald Trump hat es geschafft, dass ihn viele als Garant für den Weltfrieden und eine florierende Wirtschaft sehen. Viele erinnern sich positiv an seine Regierungszeit – ohne grosse Kriege und mit günstigeren Preisen. Er hat wie gesagt eine treue Kernbasis, die für ihn wählen geht. Deshalb ist er ein Kandidat, der nicht einfach zu schlagen ist.
Welche Chancen hätten Ihrer Ansicht nach allfällige Wahlbeschwerden seitens der Demokraten angesichts der Tatsache, dass der Supreme Court «das letzte Wort» hat?
Andrea Christen: Eine gute Frage. Dass der Supreme Court das letzte Wort haben könnte, macht den Demokraten sicherlich Sorgen. Das Gericht hat demonstriert, dass es vor grossen, auch sehr umstrittenen Urteilen nicht zurückschreckt. Trotzdem dürfen wir die Richter:innen, auch nicht die konservativen, nur als Schosshunde von Donald Trump sehen. Das Gericht hat eine Theorie, wonach die Parlamente in den US-Bundesstaaten, viele werden von den Republikanern kontrolliert, nach gutdünken ihre eigenen Wahlen organisieren können, zurückgewiesen («Independent State Legislature theory»).
Auch als Trump 2020/21 versuchte, sich an die Macht zu klammern, ist er im Supreme Court abgeblitzt. Wir werden sehen. Es ist wohl so oder so zu wünschen, dass sich die Wahl entscheidet, ohne dass die neun obersten Richter:innen einschreiten müssen.
Joe Biden hat Trumps Wähler gerade als «Garbage» bezeichnet. Wie ist das historisch einzuordnen, welchen Einfluss auf die Wahl kann das haben?
Viviane Manz: Joe Biden ist bekannt dafür, sich immer mal wieder einen Aussetzer zu leisten. Das ist sicher ein Beispiel dafür und die Wahlkämpfer für Kamala Harris sind sicher unglücklich darüber. Biden hat nachgereicht, er habe die Aussagen der Trump-Anhänger als Abfall bezeichnet, nicht die Anhänger selbst. Es geht hier um die Aussage des Komikers Tony Hinchcliffe an einem Wahlkampfanlass von Trump. Hinchcliffe bezeichnete Puerto Rico als «Island of Garbage», eine Abfallhalde. Puerto Rico ist US-Territorium mit einem speziellen Status, und viele Menschen in den USA stammen aus Puerto Rico. Das hat viele Menschen mit Wurzeln in Puerto Rico empört. Auch unterstützten kurz darauf viele berühmte Persönlichkeiten wie Bad Bunny oder Ricky Martin öffentlich Kamala Harris. Es ist ein echtes Problem für Trump.
Die Aussage Bidens ist nun sehr willkommen für die Republikaner. Sie können nun sagen, Biden und die Demokraten haben uns als Abfall bezeichnet, sie sind auch nicht besser.
Beim Demokratischen Parteitag im August in Chicago wurde Kamala Harris ohne Wahl als Präsidentschaftskandidatin nominiert. Warum musste sich Kamala Harris nicht einer richtigen Vorwahl am Parteitag selber stellen, wie es die Verfassung vorsieht und wie es Joe Biden bei seiner Nomination bei den Demokraten machen musste?
Andrea Christen: Die Verfassung schreibt keine Vorwahlen vor. Die Parteien haben diese selbst entwickelt und sie unterscheiden sich von Bundesstaat zu Bundesstaat. Streng genommen wurde Harris auch nicht einfach gekrönt, sondern von den Delegierten der Demokratischen Partei gewählt – von jenen Delegierten, die nach Bidens Rückzug ihre Stimme zu Harris wechselten. Es wurde also kein Gesetz gebrochen, auch die Verfassung wurde nicht missachtet. Aber sie haben schon einen Punkt, finde ich: Die Partei hat aufwändige Vorwahlen durchgeführt, Joe Biden erhielt Millionen von Stimmen der Basis – und Kamala Harris musste sich nie in einem parteiinternen Wahlkampf stellen.
Dass Biden dann aus dem Rennen gedrängt wurde und dass Harris innert kürzester Zeit in den Sattel gehoben wurde, bietet Angriffsfläche. Man darf sich fragen, wie demokratisch dieser Prozess war. Man darf darüber streiten, ob das ein «Coup» war, wie es von republikanischer Seite hiess.
Von der republikanischen Seite ist immer mal wieder von möglichen Protesten/Ausschreitungen zuhören, sollte Harris gewinnen. Ist das gleiche auch von den demokratischen Wählern zu erwarten, sollte Trump gewinnen? Sprich: ist es absehbar, dass es in beiden Fällen zur Gewalt kommt?
Viviane Manz: Die Emotionen gehen so hoch, dass es von beiden Seiten zu Protesten kommen kann. Ein Unterschied liegt jedoch darin, dass nur Donald Trump regelmässig davon spricht, dass die Demokraten Wahlbetrug begehen, dass sie die Wahl stehlen wollen. Er sagt immer, er werde die Wahl akzeptieren – falls er gewinne. Das heisst, dass er wohl eine allfällige Niederlage auch dieses Mal nicht akzeptieren würde. Harris hat weder behauptet, dass es Wahlbetrug gebe noch angedeutet, dass sie die Wahl nicht akzeptieren würde. Der Fokus liegt also bei Donald Trump und seiner Anhängerschaft. Aber natürlich hoffen hier viele, dass es nicht zu erneuten Gewaltakten wie dem Kapitolsturm kommt.
Würde eine Wahl von Trump, welcher gem. John Kelly der Definition eines Faschisten entspricht, zu einer weiteren Stärkung der europäischen Rechten (insb. Deutschland, Frankreich) führen?
Andrea Christen: Eine erneute Wahl von Donald Trump wäre auf jeden Fall ein bemerkenswertes politisches Comeback eines Rechtspopulisten, der trotz Anklagen, Amtsenthebungsverfahren und eines beispiellosen Angriffs auf die Demokratie (2020/21) wider gewählt worden wäre. Ich kann mir gut vorstellen, dass das Wellen werfen würde bis nach Europa. Ob und wie es die Rechte dort beflügelt, ist jedoch ausserhalb meiner Expertise.
Gibt es eine Tendenz, dass weitere Parteien (wie die Grünen) in Zukunft eine grössere Chance haben? Und was ist der Grund, dass auch die Demokraten aus europäischer Sicht nicht wirklich links sind?
Viviane Manz: Das ist nicht absehbar. Im System der USA ist es etwa für Drittkandidaten in der Präsidentschaftswahl fast unmöglich, zu gewinnen. Und ja, die zwei Parteien umfassen deswegen eine weite Spannbreite. Von ganz links bis zur Mitte bei den Demokraten, von ganz rechts bis zur Mitte bei den Republikanern.