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Ihre Fragen zum Konsum «Warum kaufen wir, was wir nicht brauchen?»

Therapeutin Christina Messerli, Marketingprofessorin Johanna Gollnhofer und Verhaltensökonomin Renate Schubert haben Ihre Fragen von 16 bis 18 Uhr im Livechat beantwortet.

Welche Rolle spielen soziale Medien, Technologie und Werbung bei meinem Konsumverhalten? Ist Werbung immer manipulativ oder kann sie auch informativ sein? Wie können Unternehmen nachhaltigeres Konsumverhalten fördern? Und was sind eigentlich die häufigsten Auslöser für Impulskäufe?

Gäste im News-Chat

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Prof. Dr. Johanna Gollnhofer
Professorin für Marketing und Direktorin des Instituts für Marketing und Customer Insight, Universität St. Gallen

Christina Messerli
Expertin für Verhaltenssüchte, Systemtherapeutin und Leiterin Beratung und Therapie, Berner Gesundheit

Prof. Dr. Renate Schubert
Verhaltensökonomin mit Schwerpunkt Umwelt- und Energie, Professorin für Nationalökonomie am Departement D-GESS, ETH Zürich

Welche psychologischen Tricks nutzen Unternehmen, um uns zum Kaufen zu bewegen?

Renate Schubert: Unternehmen sprechen oft von grossen Rabatten oder davon, dass es nur noch ganz wenige Stück zu einem guten Preis gibt – und schon denken wir, dass wir uns das nicjht entgehen lassen sollten

Welche Rolle spielt Werbung bei der Kaufentscheidung jeden Tag?

Renate Schubert: Werbung gibt uns einerseits nützliche Informationen zu Produkten und ihren Möglichkeiten – schiebt uns aber in der Regele auch in eine bestimmte Richtung: wenn Du cool bis, musst Du Produkt X kaufen/haben – da muss man gut aufpassen.

Wie merke ich ob ich aus Langeweile oder wirklichem Bedarf konsumiere

Johanna Gollnhofer: Es gibt hier so ein paar Tricks, wie man sich selber überprüfen kann, zum Beispiel das Schreiben einer Shopping-Liste oder dass man sich immer nochmals 24 Stunden Zeit gibt, bevor man dann den Kauf wirklich tätigt. So schafft man es nicht so emotional einen Kauf zu tätigen, sondern eher rational an das Einkaufen ranzugehen.

Welche Tipps können Sie geben für Leute, die allmählich eine Kaufsucht entwickeln und nie zufrieden sind mit ihren gekauften Produkten.

Christina Messerli: Guten Tag, so wie sie schreiben, beobachten sie bereits ein sich veränderndes Verhalten an anderen Personen. Wichtig ist es sicher, die Person darauf anzusprechen und diese Beobachtung mitzuteilen. Was sicher wichtig ist für die betroffene Person, dass sie sich selbst die Frage stellt, was möchte ich mit dem Kauf erreichen? Das nicht zufrieden sein mit den Produkten könnte auch darauf hinweisen, dass der Kauf an und für sich wichtiger ist, als die gekaufte Ware. So wäre es evtl. möglich, zu beobachten, welche Gefühle vor dem Kaufen vorhanden sind. Wenn dies sehr schwierig ist und es einem zu anspruchsvoll scheint, könnte es sich lohnen, sich an eine Fachperson zu wenden, um gemeinsam eine Auslegeordnung oder Standortbestimmung zu machen. Möglich ist dies auch online über safezone.ch oder bei jeder kantonalen Fachstelle per Telefon.

wieso neigen wir dazu, uns von Rabatten und Sonderangeboten verführen zu lassen??

Christina Messerli: Unser Gehirn spricht sehr gut auf den Impuls, Schnäppchen und einmalige Gelegenheiten an. Aufgrund der Ausschüttung von Dopaminen erleben wir ein sehr positives Grundgefühl. Dieses Gefühl möchten wir immer wieder erleben und deshalb sind wir verführbar. Im Weiteren sind schöne Dinge wie Kleider und weiteres auch eine Möglichkeit uns zu zeigen und Anerkennung zu finden. Deshalb versprechen Schnäppchen nicht nur eine momentane Befriedigung, sondern auch noch langfristig positive Effekte bezüglich sozialer Status oder Anerkennung.

Mein Vater (frischpensioniert) hat sein ganzes Leben gearbeitet und es so zu ein wenig Wohlstand gebracht. Lange hat er persönliche Interessen zurückgestellt und seine innere Leere mit Konsum gestillt. Leider hält dies weiterhin an, davon zeugen alljährliche Ausmisteten, wo neuwertige Sachen einfach verschenkt oder weggeschmissen werden, um Platz für neues zu schaffen. Wie könnte man ihn aus diesem Teufelskreis befreien?

Renate Schubert: Das Wichtigste wäre vermutlich, dass er etwas anderes findet, um «die Leere zu füllen». Beispielsweise einem Verein beizutreten (Sport, Singen, etc.), ein neues Hobby entdecken (z.B. Fotografieren – da kann man dann auch tolle Foto-Reisen machen). Oder sich für Freiwilligenarbeit zu engagieren. Es braucht einfach etwas Positives, aktives für ihn, sodass der Konsum gar nicht mehr so wichtig ist.

Wie gebe ich Kindern mit, was ‚gesunder‘ und bewusster Konsum ist?

Renate Schubert: Für Kinder ist wichtig, dass man sie in die eigenen Konsumentscheidungen einbezieht, mit ihnen redet und ihnen vermittelt, aus welchem Grund man etwas kauft bzw. nicht kauft. Kinder sollten möglichst früh erfahren, dass hinter dem Konsum immer Entscheidungen stehen, und dass diese Entscheidungen Folgen für einen selbst, aber auch für andere Menschen bzw. langfristige Effekte haben. Es ist wichtig zu vermitteln, dass der Konsum nicht «einfach so vom Himmel fällt» – sondern dass wir es in der Hand haben …

Kann man das sagen?: Welche langfristigen Folgen hat unser heutiges Konsumverhalten auf die umwelt?

Johanna Gollnhofer: Jeglicher Konsum verbraucht auch ein gewisses Mass an natürlichen Ressourcen. Daher fordert zum Beispiel auch oftmals die Politik auf, dass wir uns für den Klimaschutz im Verzicht üben müssen. Verzichten fällt den Menschen jedoch schwer. Daher ist meiner Ansicht nach ein guter Ansatz, sich wirklich bei jedem Kauf zu fragen: (1) Brauche ich das wirklich? (2) Gibt es vielleicht eine ressourcenschonendere Alternative?

Wieso geben alle mehr Geld aus für Markenprodukte? Wann hat dieses Phänomen angefangen?

Johanna Gollnhofer: Markenprodukte stehen oftmals für mehr Qualität und zum Beispiel auch Zuverlässigkeit. Besonders stehen Markenprodukte, wie zum Beispiel auch ein teures Auto, für Prestige und Status. Und dieses Prestige und Status strahlt dann auch auf die eigene Identität aus.

Eine nahestehende Person möchte immer alles haben/kaufen das sie auf den sozialen Medien sieht. Wie kann ich behilfluch sein diese Konsumsucht zu bekämpfen?

Renate Schubert: Hmm – in erster Linie ist das vermutlich nicht eine Konsumsucht, sondern eine gewisse Unzufriedenheit mit sich selbst bzw. ein mangelndes Selbstwertgefühl. Es käme also vor allem darauf an, herauszufinden, warum genau die Person all die Produkte haben möchte. Fühlt sie sich dann von den anderen akzeptiert? Oder fühlt sie sich dann sicherer? Oder was ist es genau? Wenn man das weiss oder spürt, dann kann man vielleicht andere Verhaltensweisen (ausser Konsum) vorschlagen, die zum gleichen Ziel führen … z. B. einen Tanzkurs beginnen, eine Reise machen, etwas Neues lernen, … Sie könnten dieser Person sicher dabei helfen – ggfs. müsste man aber auch eine Fachperson (Coach) einschalten, die mit der Person neue Verhaltensstrategien erarbeitet.

Viele ökologische Probleme sind eine direkte Folge des Kapitalismus, der auf ständigem Wachstum und Konsum basiert. Der ungebremste Drang nach Profit führt zu einer rücksichtslosen Ausbeutung der Umwelt. Appelle an die Vernunft reichen nicht aus – es müssen konkrete Massnahmen ergriffen werden. Ein Werbeverbot für umweltschädliche Produkte und die Regulierung unnötiger Waren könnten ein erster Schritt sein. Statt auf freiwillige Veränderungen zu hoffen, sind verbindliche politische Massnahmen notwendig, um den Konsum zu begrenzen und die Umwelt zu schützen. Nur so kann eine nachhaltige Zukunft gewährleistet werden. Wieso sehen dies die meisten Menschen nicht ein? Viele Politiker argumentieren, dass wir nur durch den ständigen Konsum einen hohen Lebensstandard in der Schweiz erhalten können. Ist dies effektiv so? Wäre langfristig nicht sogar ein höherer Lebensstandard möglich, wenn Menschen ihr Geld in vernünftige Dinge investierten (gesunde Ernährung, Sport, Outdooraktivitäten, Umweltschutz, Gemeinschaft, Dienstleistungen...)?

Johanna Gollnhofer: Wir leben momentan in einer Konsumgesellschaft. In einer Konsumgesellschaft wird Konsum einem sehr hohen Stellenwert zugeschrieben und wir arbeiten eigentlich auf der folgenden Prämisse: «je mehr ich kaufen kann, desto besser.» Und diese Konsumgesellschaft ist natürlich schwierig mit Umweltzielen zu vereinbaren. Lange hat man daraufgesetzt, dass die Menschen freiwillig verzichten werden und weniger konsumieren werden. Leider sieht man jedoch an den Zahlen, dass sich sehr viele Menschen damit schwertun. Besonders wissen wir auch aus der Psychologie, dass sich Menschen sehr schwer damit tun, für die Zukunft etwas zu machen (zum Beispiel fällt es ja auch vielen Menschen schwer, für ihr Pension ausreichend vorzusorgen). Sowas Ähnliches sieht man eben auch leider mit der Umwelt und dem Klimawandel.

Wieso kaufen und konsumieren wir in der Weihnachtszeit mehr? Und warum spenden wir dann auch mehr? das ist doch paradox!

Renate Schubert: Wieso soll das paradox sein? Wenn wir uns selbst (und unseren Nächsten) etwas gönnen, können wir doch auch den Bedürftigen etwas geben. Eigentlich geht das in die gleiche Richtung – ob das Budget das mitmacht, ist aber eine andere Frage.

Kaufen macht mich glücklich und es ist wie eine Sucht Aber das ist doch besser als wenn ich rauchen würde z.B.? Ist das dann schlecht? Liebe Grüsse

Christina Messerli: Grundsätzlich ist es schwierig, verschiedene «Suchtverhalten» gegeneinander abzuwiegen. Wichtig ist, wie es ihnen und eventuell auch ihrem Umfeld mit ihrem Verhalten (ob Kaufen oder Rauchen) geht und ob sie nur Freude und Glück oder auch schwierige Gefühle damit verbinden. Wenn sie das Gefühl haben, dass ihr Wohlbefinden leidet und negative Konsequenzen sich häufen, macht es sicher Sinn, die Situation einmal mit einer Fachperson zu besprechen.

Wie gross denken Sie ist eine generelle Depression/Malaise in der Weltbevölkerung mit dem Überkonsum zu verbunden? Als Antikapitalist mit grossen Herz (lese: ausgeprägte Empathie) kann ich dieses Konsum-orientiertes Leben schwer mit gutem Gewissen leben. Die Ausbeutung ist unvertretbar, aber aus dem System aussteigen kann ich nicht. Ich vermute, dass ein tiefes Leere- und Trauergefühl, welches ich bei den meisten Menschen heutzutage sehe, ein Schmerz"linderndes», überschüssiges Konsumieren zur Folge hat. Dieses Verhalten ist natürlich wie eine sonstige Sucht mit kurzfristigen Denken verbunden. Danke für Eure Antwort.

Christina Messerli: Dass unsere Konsumgesellschaft hier und weltweit ihren ökologischen Tribut fordert, ist Teil unseres Wissens. Schwieriger ist es zu wissen, welche Alternativen sich uns bieten und welche Möglichkeiten wir haben, möglichst eigene und nachhaltigere Konsumentscheidungen zu treffen. Dass schwierige Gefühle – auch in Bezug auf schwere Nachrichten bezüglich der Weltlage – den Konsum kurzfristig eher noch erhöhen, ist sicher ein schlüssiger Gedanke. Aus der Forschung zu Kaufverhalten und exzessivem Kaufverhalten wissen wir, dass diese Käufe meist der Emotionsregulation dienen. Was wir brauchen, sind vermutlich mehr Regulierung sowie Aufklärung und Informationen zu nachhaltigen Konsum-Entscheidungen.

Haben Unternehmen überhaupt ein Interesse daran, nachhaltigen Konsum zu fördern?

Renate Schubert: Ja, haben sie – jedenfalls diejenigen Firmen, die eine längerfristige Perspektive haben. Für sie ist deutlich, dass die Verschmutzung der Umwelt (beispielsweise durch Plastikmüll) vielfach ihre künftigen Produktionsmöglichkeiten beschränkt. Auch ein übermässiger Abbau von Rohstoffen gefährdet unter Umständen ihr Geschäftsmodell in der Zukunft. Das Problem scheint mehr bei den Konsumentinnen und Konsumenten zu liegen, die oft denken, dass nachhaltiger Konsum mehr oder weniger gratis zu bekommen ist. Dies ist aber leider nicht der Fall.

Ich möchte gerne up to date sein , Andern eine Freude bereiten , Einkaufen für täglichen Verbrauch aber auch mal mich selber freuen an was Gutem, Schönem , Nützlichen

Renate Schubert: Hier fehlt, glaube ich, ein wenig Text … Die genannten Ziele klingen durchaus sinnvoll und nachvollziehbar.

Ist Konsum nicht oft eine Droge?

Christina Messerli: Wenn sie damit die sogenannt psychoaktive Wirkung, welche das Kaufen/ Konsumieren auf das Hirn haben kann, meinen, ist der Vergleich in gewissem Sinn zulässig. Wichtig ist, dass er hier nicht um den Konsum einer Substanz geht, sondern um die Wirkung, welche durch ein bestimmtes Verhalten ausgelöst wird. Wird eine Person abhängig von den Gefühlen, welche durch den Kauf-Akt oder auch der Konsum von anderen digitalen Angeboten ausgelöst werden, sprechen wir deshalb auch von einer Verhaltenssucht.

Was schenken Konsumexpertinnen anderen zu Weihnachten?

Christina Messerli: Etwas, das uns allen oft grundsätzlich zu fehlen scheint … gemeinsame Zeit.

Welche Strategien oder Tipps können dabei helfen, unser Konsumverhalten bewusster zu gestalten, Impulskäufe zu vermeiden und Gleichzeitig nachhaltiger mit unseren Ressourcen umzugehen ohne das Gefühl zu haben, auf etwas verzichten zu müsssen? Und was sind FIrmen, die «guten Konsum» fördern?

Johanna Gollnhofer: Nachhaltigere Produkte haben oftmals leider nicht so ein gutes Image: Das Tofusteak schmeckt nicht so gut oder das nachhaltige T-Shirt färbt ab. Und dies war auch über Jahre tatsächlich so der Fall. Zum Glück tut sich hier viel. So schmecken Fleischersatz Produkte signifikant besser und es fühlt sich weniger nach Verzicht an. Ansonsten sieht man immer zum neuen Jahr ein paar tolle Ansätze, wie man bewusster konsumieren kann: Beispiel 1: 25 in 25 > man setzt sich das Ziel im Jahr 2025 nur 25 neue Artikel zu kaufen. Beispiel 2: Für den Januar setzt man sich das Ziel, jeden Tag ein wenig mehr auszumisten. D. h. am ersten Januar muss ein Objekt gehen, am 2. Januar zwei Objekte bis hin zu 31. So kann man erstmal eine schöne Basis für bewussten Konsum schaffen.

Ich habe mein Leben lang überkonsumiert. Es ist mir in letzter Zeit bewusst geworden, was für Schaden Konsum in meinem Leben angerichtet hat: weniger Geld, Umweltschäden, weniger Platz in der Wohnung, weniger Zeit. Ich bin beinflussbar, deswegen habe ich ALLE Punktkarten (Cumulus, Supercard, usw.) gekündigt, ALLE Newsletter abgemeldet. Ich vermeide ALLE Werbung so gut ich kann. Leider werde ich durch die Gesellschaft gezwungen, zu überkonsumieren: gute Kleider für Arbeit und soziale Events, Geschenke, Reise mit dem Freund, Hochzeiten, usw. Was kann ich noch tun, um meine Anfälligkeit für impulsives Kaufen zu reduzieren? Kann ich meine Umgebung überzeugen, dass weniger mehr ist, und dass grosse Autos und teure Reisen nicht glücklich machen?

Christina Messerli: Wie es klingt, haben sie bereits sehr viel unternommen und sich den Themen wie Überkonsum und eigene Entscheidungen in einem längeren Prozess gewidmet. Sie haben auch vieles in die Tat umgesetzt, gehen ihren wo immer möglich eigenen Weg und können so anderen, denen es ähnlich geht, auch Vorbild sein. Am besten vermitteln wir anderes Verhalten, indem wir es vorleben und andere vielleicht damit anstecken. Ob sie sich tatsächlich inspirieren lassen und ihr Verhalten ebenfalls verändern, liegt jedoch nicht in unseren Händen.

Warum kaufen wir was wir nicht brauchen? und wieso lernt man nicht in der Schule wie man mit Internetläufen umgeht?

Johanna Gollnhofer: Meiner Ansicht nach operiert hier in unserem Kopf sehr stark: je mehr, desto besser. Und das Marketing ist ja auch darauf ausgerichtet und dahin zu verführen und Rabattangebote locken uns erst recht. Die harten Einsichten (wie ich brauche es gar nicht, oder ich habe mich für etwas was ich nicht brauche verschuldet) kommen dann leider erst später. Ich bin hier vollkommen bei Ihnen, dass hierfür noch mehr Bildungsangebote geschaffen werden könnten.

Wie wird sich der Konsum in Zukunft verändern? Mit KI, Cookies, Überwachungen etc. Was sind die Trends?

Renate Schubert: Wir werden sicher mehr online kaufen – mit dem Problem, dass uns oft die Beratung fehlt und dass wir viel mehr Transportaktivitäten auslösen. Und dann wird uns vermutlich immer mehr an Produkten in super personalisierter Form angeboten. Nach dem Motto: «du kaufst doch immer A – dann läge es nahe, dass Du jetzt auch B kaufst». Das ist einerseits schön und bequem, andererseits müssen wir aber vermehrt aufpassen, dass wir trotzdem nur das kaufen, was wir auch wirklich brauchen. Wir müssen also immer mehr darauf achten, dass WIR diejenigen sind, die über unseren Konsum entscheiden und nicht irgendwelche ANDEREN. Eine nicht triviale Aufgabe!

Ich studiere zurzeit Volkswirtschaft an der Universität Zürich. In den Makroökonomischen Modellen gehen wir oft davon aus, dass eine Maximierung des gesamtgesellschaftlichen Konsums optimal ist. Welche potentiell auch negativen Aspekte des Kosums werden in der Ökonomie ihrer Meinung nach zuwenig beachtet?

Renate Schubert: Insbesondere längerfristige Effekte kommen typischerweise nicht vor. Und natürlich die externen Effekte, d. h. alles, was ausserhalb der Märkte passiert. Dazu gehört auch die Umweltverschmutzung in allen Varianten (CO₂ bei der Produktion; Wasserverunreinigung, Plastikmüll etc.). Ein Problem ist auch, dass in der VWL unterstellt wird, dass der Nutzen von Konsumentinnen und Konsumenten ausschliesslich aus dem Konsum materieller Güter kommt. Wir wissen inzwischen, dass das falsch ist. Dennoch: es ist schon wichtig zu sehen, dass der Konsum auch ein wichtiger Motor für unsere Wirtschaft ist. Nur noch vom eigenen Garten zu leben, würde unsere gesellschaftlichen Systeme (in der aktuellen Form) zum Erliegen bringen.

Guten Tag Konsum hat doch verschiedene Facetten: Einerseits geht man an einen belebten Ort und wird (meistens) freundlich beraten oder bedient. Andererseits kann man sich etwas leisten. Drittens nimmt man etwas mit nach Hause, dem man einen gewissen Wert zuweist. Wenn einem die Sache wirklich gefällt oder gut schmeckt, kommt noch ein vierter Faktor hinzu. Fünftens haben die meisten das Gefühl, sich von anderen zu unterscheiden, wenn sie etwas kaufen, selbst wenn es sich um Massenprodukte wie Autos, Kleider, etc., handelt. Mein roter VW Bus ist ja schon bisschen schöner und entspricht mir als Person ;-) Was können Leute tun, die sich von dieser eher komplexen Struktur lösen wollen? Womit erreicht man all dies ohne Konsum? Kreative Hobbies wie malen? Sport? Sind das Konsumersatzhandlungen oder nur Ergänzungen?

Christina Messerli: Wenn wir davon ausgehen, dass Kaufdrang und Impulskäufe oft mit einer Art Regulierung von Emotionen einhergehen, kann man diese Spur weiterverfolgen. Ist mein Selbstwert stark davon abhängig, dass ich ständig Neues besitzen und vorweisen kann, ziehe ich beim Vergleich mit anderen immer den Kürzeren. Andere haben immer mehr. Frage ich mich jedoch, welches Bedürfnis und allenfalls auch Gefühl unter meinem Konsum oder Überkonsum verborgen liegt, kommen oft sehr grundsätzliche menschliche Dinge zum Vorschein. Es kann da zum Beispiel um Sicherheit, Kontrolle, Anerkennung oder Zugehörigkeit gehen. Andere Tätigkeiten, die genau diese Bedürfnisse stillen, sind dann also keine Ersatzhandlungen, sondern echte Aktivitäten, welche guttun und für unser Wohlergehen absolut zentral sind.

Ich habe mir vorgenommen, weniger online zu shoppen, aber gerade bei Stress oder Langeweile falle ich immer wieder in alte Muster zurück. Was hilft euch, solche Gewohnheiten zu ändern?

Christina Messerli: Was wichtig ist, dass sie die Dinge nicht dem Zufall überlassen. Wenn wir ein Verhalten wirklich ändern wollen, ist es wichtig zu merken, dass es quasi im Autopilot abläuft. Dies merken sie, wenn sie etwas tun, was sie im Nachhinein nicht wollten. Beobachten sie sich ein paar Tage und finden sie heraus, in welchen Momenten der Autopilot einspringt und wann nicht. Nun ist es wichtig, für die Momente eine Alternative zu haben, die sie sich vorher überlegen So, können sie, allmählich Schritt für Schritt das Verhalten verändern. Schreiben sie alles auf und feiern sie kleine Schritte der Veränderung mit sich und anderen.

Wieso hatten die Leute früher weniger? Mein Grossvater hatte zum Beispiel seine Kleider fast das Leben lang und nur ein ganz kleiner Schrank. Wieso ist das so ausser Kontrolle geraten?

Renate Schubert: Einerseits hat das mit der Globalisierung zu tun, die es uns ermöglicht, viele Produkte zu sehr tiefen Preisen zu kaufen, da sie in anderen Teilen der Welt zu sehr tiefen Löhnen produziert werden. Dabei darf man nicht übersehen, dass dadurch an anderen Orten Arbeitsplätze und Verdienstmöglichkeiten und damit auch Wohlstand geschaffen wird, die es früher nicht gab. Andererseits sind die Pro-Kopf-Einkommen weltweit gestiegen, sodass wir Einkommens-mässig in der Lage sind, uns mehr kaufen zu können. Und für viele sind die Konsummöglichkeiten doch immer noch ein Indikator für sozialen Status. Zudem kurbelt ein höherer Konsum auch die Wirtschaft an – es gibt also positive und negative Effekte dieser Entwicklung.

Ich bin Gymnasiastin und würde gerne meine Maturaarbeit zum Thema Kosum in unseren heutigen Gesellschaft schreiben. Haben sie Ideen für eine spannende Forschungsfrage? Einen Ansatz mit dem ich etwas bewirken kann?

Johanna Gollnhofer: Hier nur ein paar Vorschläge: 1) Was könnten Ansätze sein, damit mehr Menschen zu nachhaltigen Produkten greifen? (Ausgangslage: Dies ist im Moment leider noch nicht der Fall) 2) Sie könnten sich aber auch Ideen wie Too-Good-To-Go anschauen und beleuchten, wie diese es mit ihrem Geschäftsmodell geschafft haben, dass weniger Lebensmittel im Müll landen. 3) Sie könnten sich Initiativen in ihrer Region anschauen, welche sich mit bewusstem Konsum auseinandersetzen und beleuchten, wie diese einen Wandel in unserer Gesellschaft vorantreiben. Ich hoffe dies bietet ein wenig Inspiration:-)

Ich achte schon darauf, nachhaltig einzukaufen aber manchmal fühle ich mich von der Auswahl überfordert und habe Angst, doch die falsche Entscheidung zutreffen. Habt ihr Tipps, wie man nachhaltigen Konsum einfacher gestalten kann ?

Renate Schubert: In der Tat sind Konsumentscheidungen heute sehr komplex. Labels helfen dabei nur bedingt, da manche von ihnen ebenfalls komplex sind und andere nur Teile der positiven und negativen Effekte eines Produkts erfassen. Versuchen Sie tendenziell Produkte zu kaufen, die möglichst keine langen Transportwege hinter sich haben und die eher saisonal sind. Und denken sie daran: kaufen Sie nur so viel, wie sie auch wirklich brauchen werden (also Abfall vermeiden) und kaufen sie vielleicht auch mal etwas secondhand ein. Da sparen Sie Geld und schonen die Umwelt. :-)

Aber es ist ja nicht alles nur negativ!! In einer globalisierten Welt trägt Konsum wesentlich zur wirtschaftlichen Stabilität und Innovation bei. welche positiven Auswirkungen des Konsums auf unsere Gesellschaft werden Ihrer Meinung nach oft unterschätzt?

Christina Messerli: Grundsätzlich stimme ich ihnen zu. Dennoch ist es eine Frage des Gleichgewichts und Wohlergehens, welches sich gesellschaftlich wie auch bei jedem Einzelnen zeigen kann. Solange Konsum dazu beiträgt, dass sich langfristige globale Ziele genau so damit erreichen lassen wie kurzfristige wirtschaftliche, steht er im Dienste der Gesellschaft und Entwicklung. Steht jedoch die Gesellschaft eher im Dienste des Konsums – wie es in Bezug auf Überkonsum und exzessives Kaufverhalten zurzeit aussieht, dann sind wir an einem Kipppunkt angelangt, der die Kontrolle über negative Folgen schwierig macht. Hier brauchen wir neue Modelle, die uns aufbauend auf Forschung und Erfahrung neue Wege weisen.

Mir schlägt Instagram die ganze Zeit neue Kleider und Acessoires vor, ich kann gar nicht wegschauen. Kann man das irgendwie umstellen? Dass das nicht mehr erscheint? Ich meine sie zeigen mir genau das, was ich will, zum Beispiel wenn es Rabat hat (Black Friday) Gibt es da keine Gesetze dagegen? Wieso ist das erlaubt?

Renate Schubert: Manche App bieten werbefrei Optionen an, die dann aber etwas kosten. Die Werbung finanziert typischerweise viele der Apps. Hier muss man sich persönlich entscheiden, was einem der Verzicht auf Werbung wert ist. Ansonsten hilft, dass man sich vornimmt, diese Werbung einfach nicht anzuschauen und sich auf den Kerninhalt einer App zu konzentrieren. Und vielleicht auch die Apps etwas weniger oft zu nutzen …

Am allgemeinen Konsum teilhaben zu können bedeutet für die meisten Menschen ein sinnvolles Leben zu führen. «Dazu gehören» ist ein enorm starkes Bedürfnis, dass die Menschen dazu bringt, alles zu kaufen was alle haben. Frage: Wie entkommen wir diesem Bedürfnis?

Johanna Gollnhofer: Sie sprechen hier was sehr Wichtiges an: Konsum bedeutet tatsächlich dazuzugehören und manche Menschen können sich das leider nicht leisten. Vielleicht hilft hier der Wandel von «besitzen wollen» zu «etwas erfahren». Etwas erfahren muss man sich nicht immer erkaufen, dies können auch schöne Begegnungen bei einem Spaziergang mit Freunden sein.

Tagesschau 06.12.2024, 19:30 Uhr ; 

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