Hatten Sie früher auf dem Nachttisch auch einen Wecker, der von selbst geleuchtet hat? Dann war er wahrscheinlich radioaktiv. Bis in die 1960er Jahre wurden die Zeiger und Ziffern von vielen Uhren mit einer radioaktiven Leuchtfarbe bestrichen – mit Folgen bis heute.
Damit die Farbe von selbst leuchtete, wurde radioaktives Radium verwendet. Der Stoff wurde 1868 von der späteren Nobelpreisträgerin Marie Curie entdeckt. Die aktuelle Sonderausstellung im Uhrenmuseum Welschenrohr zeigt, dass Radium bei Weitem nicht nur in der Uhrenindustrie zum Einsatz kam, sondern beispielsweise auch in der Medizin.
Ab 1910 versprach man sich vom radioaktiven Radium Heilung. Da es Bakterien abtötete, wurde etwa in Radium gebadet, es gab radiumhaltige Zahnpasta, radioaktive Haarbürsten und eine Radium-Trinkkur. Dass Radium nicht gesund, sondern krank macht, wurde erst später entdeckt.
In der Uhrenindustrie wurde die radioaktive Leuchtfarbe mit einem Pinsel auf Zeiger und Ziffern gestrichen. Damit der Pinsel spitz wurde, haben ihn die Arbeiterinnen immer wieder in den Mund genommen. Einige bekamen davon Mundhöhlenkrebs, andere erkrankten an einer Immunschwäche.
Es gebe aber auch 90-jährige ehemalige Arbeiterinnen, die immer noch gesund seien, sagt Andreas Fluri. Auch bei der Radioaktivität mache halt die Menge das Gift. Der 39-Jährige ist Uhrmacher in der sechsten Generation und hat die Ausstellung im Uhrenmuseum Welschenrohr zusammengestellt.
Nicht nur zahlreiche Arbeiterinnen und Arbeiter wurden verstrahlt, sondern auch ihre Arbeitsplätze. Viele damalige Uhrenfabriken und Uhrenateliers strahlen bis heute. 2015 hat der Bund den Aktionsplan Radium gestartet, der solche Liegenschaften ausfindig machen soll. Bei einer zu hohen Dosis werden die Liegenschaften saniert. 2019 wurde beispielsweise das Gebäude, in dem das Uhrenmuseum Welschenrohr untergebracht ist, saniert.
Es handelt sich um die ehemalige Uhrenfabrik Technos. In den Blütezeiten der Uhrmacherei beschäftigte sie 550 Mitarbeiter. Die Fabrik gehört zu insgesamt 97 Liegenschaften, welche der Bund bislang saniert hat, weil sie zu hohe Strahlungswerte aufwiesen. Mit wenigen Ausnahmen sind es Gebäude in den Kantonen Bern (47), Neuenburg (28) und Solothurn (19). Bis 2022 wird der Bund insgesamt 1000 Liegenschaften kontrollieren und wenn nötig sanieren.
Als 1963 im Zuge der Atomenergie ein neues Gesetz in Kraft trat, wurde es für die Uhrenindustrie sehr viel schwieriger, mit Radium zu arbeiten. Die Fabriken stellten deshalb auf Tritium um. Das ist zwar auch radioaktiv, strahlt aber deutlich weniger. Seit 2004 wird gar keine radioaktive Leuchtfarbe mehr verwendet. Heute kommen seltene Erden zum Einsatz, um Zeiger und Ziffern zum Leuchten zu bringen.
Die Sonderausstellung im Uhrenmuseum Welschenrohr ist noch bis im Juli zu sehen. Das kleine Museum hat allerdings nur an einzelnen Tagen geöffnet. Besucher können ihre alten Uhren und Wecker mitbringen. Man kann die Strahlung seiner Uhren messen und sich von Fachleuten beraten lassen.