Vor einem Monat führte der Bundesrat für Arbeitgeber die Möglichkeit einer Zertifikatspflicht am Arbeitsplatz ein. Diese ist im Grundsatz freiwillig. Zu Beginn machten nur wenige Arbeitgeber davon Gebrauch. Nun nutzen immer mehr Unternehmen diese Möglichkeit – setzen diese aber unterschiedlich um.
Grosse Unterschiede bei den Firmen
Für ein von Beginn weg rigides Regime entschieden haben sich beispielsweise der Chemiekonzern Syngenta, der Medienkonzern Ringier und die Versicherungsgesellschaft Zürich. Nicht geimpfte und nicht genesene Mitarbeiter werden gebeten, zu Hause zu bleiben.
Etwas entspannter sieht es dagegen die Firma Thermoplan im luzernischen Weggis, ein Hersteller von Kaffee-Systemen für die Gastronomie: Mitarbeitende ohne Zertifikat müssen eine Maske tragen.
Wir haben auch Mitarbeitende, die geimpft sind und trotzdem eine Maske tragen.
Wichtig sei, dass Mitarbeiter die Wahl hätten, sagt Geschäftsführer Adrian Steiner: «Ich finde es sehr wichtig, dass man auch eine Akzeptanz schafft. Es ist nicht schlecht, wenn Mitarbeiter mit einer Maske herumlaufen. Es findet keine Ungleichbehandlung statt. Wir haben auch Mitarbeitende, die geimpft sind und trotzdem eine Maske tragen. Da sind wir sehr offen.»
Fluggesellschaft Swiss geht am weitesten
Bei anderen Firmen wie der Migros, der Credit Suisse oder dem Unispital Basel ist das Zertifikat kein Thema. Beim Schweizer Fernsehen SRF gilt die Zertifikatspflicht zumindest punktuell: Ab Montag müssen Mitarbeitende ohne Zertifikat im Personalrestaurant in speziellen Zonen essen.
Am weitesten geht bisher die Fluggesellschaft Swiss: Ab Mitte November gilt für die Flugzeug-Besatzung eine Impfpflicht.
Anfragen bei Rechtsversicherungen steigen
Wie viele Firmen mittlerweile eine Zertifikatspflicht kennen, lässt sich nicht eruieren, denn das wird nicht zentral erfasst. Klar ist aber: Immer mehr Mitarbeitende in Schweizer Unternehmen werden mit einer Zertifikatspflicht konfrontiert.
Arbeitgeber wollen wissen, was sie fragen dürfen oder welche Daten erhoben werden dürfen.
Das führt zu Unsicherheiten, wie steigende Anfragen bei Rechtsschutzversicherungen zeigen. «Bei den Arbeitgebern ist es so, dass es präventive Anfragen gibt. Wie sollen sie vorgehen? Oder sie brauchen Unterstützung bei der Ausarbeitung der Schutzmassnahmen oder der Testkonzepte. Was dürfen sie fragen, welche Daten dürfen sie erheben und wie dürfen sie diese verarbeiten?», erklärt Isabelle Cody, Rechtsexpertin der Rechtsschutzversicherung Axa.
Unsicherheit herrsche vor allem bei der Frage, wann eine Zertifikatspflicht gerechtfertigt sei. Es gebe keine generelle Regel und klärende Gerichtsurteile seien noch in weiter Ferne, sagt Cody.
Grosser rechtlicher Interpretationsspielraum
Auch wenn die Einführung der Zertifikatspflicht bei Unternehmen zunimmt, bleibe der rechtliche Interpretationsspielraum gross, so Cody. In Betrieben, in denen man engen Kontakt mit Menschen – insbesondere mit gefährdeten Menschen – habe, sei die Rechtmässigkeit einer Zertifikatspflicht eher gegeben als bei Mitarbeitenden, die eher draussen arbeiten: «Ich denke da zum Beispiel an Gärtner, da ist die Pflicht nicht erforderlich für ihre Tätigkeit», erläutert Cody.
Wir können nicht verlangen, dass jemand zu Hause bleibt, der kein Zertifikat hat.
Die Firma Schröckel, der Handwerks-Betrieb von David Stahel in Winterthur, verzichtet deswegen auf eine Zertifikatspflicht: «Wir sind auf der Baustelle, wir sind bei den Kunden. Wir können nicht verlangen, dass jemand zu Hause bleibt, der kein Zertifikat hat», sagt Stahel. Er hält deshalb am bestehenden Schutzkonzept unter anderem mit Masken fest.
«Wir haben uns überlegt, was passieren würde, wenn unsere Kunden zu Hause oder auf der Baustelle nur noch Leute möchten, die ein Zertifikat haben. Soweit ist es aber bislang noch nie gekommen und deswegen war es nie ein Thema, das wir näher diskutieren mussten», sagt Stahel.