Die Fluggesellschaft Swiss führt ab Mitte November eine Corona-Impfpflicht für das gesamte fliegende Personal ein. Sie begründet diesen Schritt mit ausländischen Einreisebestimmungen und der fürsorgerischen Pflicht gegenüber den Mitarbeitenden. Rechtlich sei das jedoch heikel, so der emeritierte Rechtsprofessor Thomas Geiser.
SRF News: Macht die Argumentation der Swiss aus rechtlicher Sicht Sinn?
Thomas Geiser: Ich kann durchaus nachvollziehen, dass man damit argumentiert. Es bedeutet auch, dass man das Personal vor Ansteckungen schützen muss. Die Impfung bietet aber keinen hundertprozentigen Schutz. Es gibt Schutzvorkehrungen, die ausserhalb des Impfens bestehen, also Masken, Distanz, Hygiene etc. Damit kann man auch einen Schutz erreichen. Von daher ist aus der Fürsorgepflicht heraus in keiner Weise zwingend, ein solches Obligatorium vorzusehen. Impfungen zu empfehlen ist aber sicher sinnvoll.
Die Swiss sagt, die Impfpflicht sei mit dem Gesamtarbeitsvertrag vereinbar. Ist die körperliche Integrität der Angestellten nicht höher zu gewichten als ein GAV?
Der Gesamtarbeitsvertrag kann nur im Rahmen des Gesetzes Vorschriften zulasten der Arbeitnehmenden vorsehen. Es können Verpflichtungen vorgesehen werden, die nötig sind, um die Arbeit zu verrichten. Wenn also das Gesetz eine Impfung vorschreibt, dann kann auch die Arbeitgeberin die Impfung verlangen.
Wenn das Gesetz die Impfung nicht vorschreibt, sondern es sich nur um eine Sicherheitsmassnahme des Unternehmens handelt, wird es äusserst heikel.
Wenn das Gesetz diese nicht vorschreibt, sondern es sich nur um eine Sicherheitsmassnahme des Unternehmens handelt, wird es äusserst heikel. Dann stellt sich die Frage, wie weit ein Gesamtarbeitsvertrag eine solche Pflicht für die Mitglieder der Verbände einführen könnte. Im konkreten Fall der Swiss ist es so, dass gewisse Destinationen eine Impfung verlangen. Die Leute, die dorthin fliegen, müssten folglich geimpft sein. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass beispielsweise das gesamte Personal der Swiss irgendwann mal nach Hongkong fliegt.
Gehen Sie davon aus, dass gewisse Angestellte den Rechtsweg beschreiten werden, um sich gegen die Impfpflicht zu wehren?
Offenbar hat sich die Swiss noch nicht dazu geäussert, was geschieht, wenn sich jemand weigert. Im Prinzip läuft das umgekehrt: Jemand weigert sich, die Swiss ergreift Sanktionen und die entsprechende Person wehrt sich gegen diese Sanktionen. Es wäre sicher sinnvoll, mit diesen Leuten zu sprechen und sie zu überzeugen versuchen, sich freiwillig impfen zu lassen.
Gibt es – aus Ihrer Sicht als Rechtsexperte – Fälle, in denen ein Schweizer Unternehmen nach geltendem Recht die Angestellten zum Impfen zwingen darf?
Ich sehe immer noch nicht, in welchen Betrieben eine Impfung absolut zwingend sein sollte. Im Gesundheitswesen beispielsweise genügt die Impfung nicht für den wirklichen Schutz. Es müssen weitere Vorkehrungen getroffen werden.
Ich sehe nicht, in welchen Betrieben eine Impfung absolut zwingend sein sollte.
Gerade in diesen Betrieben ist das Personal es gewohnt, sich seriös an Schutzvorkehrungen zu halten. Das heisst beispielsweise, die Masken regelmässig zu wechseln oder die Hände dauernd zu desinfizieren. Weil es wohl andere Möglichkeiten gibt, sehe ich nicht ein, wo eine Impfung zwingend notwendig wäre.
Das Gespräch führte Roger Aebli.