Peter Voser ist überzeugt, dass derzeit zu wenig Geld in die erneuerbaren Energien fliesse. Fossile Treibstoffe würden weiterhin wichtig bleiben, sagt der ehemalige Konzernchef von Shell am Wirtschaftstreffen in Davos – und meint damit vor allem Erdgas.
SRF News: Es sind sehr bewegte Zeiten. Es herrschen Kriege. In den USA und in Europa ist die Inflation weiterhin erhöht. Wie geht es der Industrie?
Peter Voser: 2023 war ganz klar noch von den ersten sechs bis neun guten Monaten geprägt. Für 2024 hat sich alles etwas eingetrübt. Gewisse geografische Einheiten, wie die USA, sind immer noch positiv. Andere sind eher am Schlingern – wie Europa. Diese unterschiedliche Weltentwicklung wird 2024 prägen.
In Deutschland etwa leidet die Industrie. Auch in China hat man negative Anzeichen. Was macht Ihnen mehr Sorgen?
Gegenwärtig macht mir Europa etwas mehr Sorgen als Asien, inklusive China, oder auch Amerika. Denn dort hat man Kräfte, die dagegen wirken. Indien wächst sehr stark. China ist etwas langsamer gewachsen. Amerika hat noch ganz gut gezogen. Deshalb macht mir Europa mit der Schwäche der Industrie etwas mehr Sorgen.
Nach wie vor ist die Energieversorgung ein grosses Thema. Dieses Jahr ist gut gestartet. Die AKW in Frankreich laufen wieder. Auch die Gasspeicher in Deutschland sind voll. Wie sehen Sie die mittelfristige Perspektive?
In der mittelfristigen Perspektive müssen wir den Ausbau der erneuerbaren Energien wieder mit etwas mehr Elan angehen, wenn ich das so sagen darf. Die Investitionsvolumen sind leicht zurückgefahren. Im Energiemix haben wir zwar gesehen, dass man nicht alles sofort umstellen kann.
Wir werden die AKW benötigen.
Alle müssen dazu beitragen, dass wir genügend Energie haben. Aber damit es bei der erneuerbaren Energie vorwärtsgeht, benötigen wir wieder grössere Investitionen.
Hat man sich etwas zu früh mit dem Gedanken befasst, dass man die AKW herunterfahren will? Was ist Ihr Gefühl, wie lange brauchen wir sie noch?
Ich glaube, sie müssen so lange laufen, wie wir sie laufen lassen können. Wir werden sie benötigen. Ich möchte nicht zurückgehen und den Entscheid kommentieren. Heute ist die Lage, wie sie ist.
Ich glaube, wir werden sowohl fossile als auch nukleare und erneuerbare Energien noch ziemlich lange brauchen, damit wir das Wachstum der Welt unterstützen können. Die letzten zwei oder drei Jahre haben gezeigt, dass wir keine eindimensionale Richtung haben können.
Öl wird vom Gas abgelöst werden.
Andererseits kommen neue Technologien wie Wasserstoff. Sie kann man über die Zeit auch einfliessen lassen. Ich glaube, wir müssen uns einfach etwas mehr Zeit geben, um das alles zu bewerkstelligen.
Beim fossilen Energieträger Öl hat man von «Peak Oil» gesprochen und meinte, dass die Nachfrage abnehmen werde. Corona hat alles durcheinander geschüttelt. Sie waren lange Chef von Shell. Wie lange sind wir noch auf Öl angewiesen?
Das wird noch ein paar Dekaden gehen. Ich würde aber sagen, dass das Öl über die Zeit vom Gas abgelöst werden wird – sozusagen als «Brückenbauer» in eine neue Welt. Gas wird wichtiger werden als das Öl heute ist.
Das hat man ja in den vergangenen Jahren schon gesehen. Bei der Öl-Nachfrage kommen wir wahrscheinlich wesentlich früher an den «Peak», den Sie erwähnt haben. Ich würde sagen, die nächste Dekade wird wohl der letzte Höchststand beim Öl werden.
Das Gespräch führte Andi Lüscher.