Ein Anruf bei der Bank: Der Kunde will sich über einen Dauerauftrag erkundigen, der nicht ausgeführt wurde. Er muss sich aber gedulden, denn zur Sicherheit muss die Kundenberaterin am anderen Ende der Leitung den Anrufer als Kontobesitzer identifizieren. Es beginnt ein mühsamer Marathon von Sicherheitsfragen.
«Was ist Ihr aktueller Kontostand? An wen ging die letzte Einzahlung und wann war das?» Solche Fragen gehören bei Postfinance der Vergangenheit an. Anhand verschiedener Merkmale wird von Kunden ein Stimmenprofil angelegt. Lautstärke, Redegeschwindigkeit und Frequenz bilden einen stimmlichen «Fingerabdruck», der als Code hinterlegt wird. Ein Anrufer kann so vom Kundendienst blitzschnell erkannt werden.
Lästige Fragen fallen weg
Seit September identifiziert Postfinance ihre Kunden anhand der Stimme. Mediensprecher Johannes Möri erklärt, dass die Kunden die Sicherheitsfragen lästig und mühsam empfunden hätten. «Mit der Stimmerkennung können wir viel schneller auf die Anliegen eingehen», sagt Möri.
Die Stimme hilft nicht nur zur Identifikation, sie verrät auch viel über den Charakter einer Person. Das wollen sich Unternehmen beim Bewerbungsprozess zunutze machen. Die Firma Softfactors analysiert mit ihrer Software anhand einer dreiminütigen Sprechprobe vor der Kamera eine Kandidatin und findet somit heraus, ob die Stelle für sie in Frage kommt.
Zeig mir ein Video von dir, und ich weiss wer du bist.
Diese Technologie werde das Bewerbungsverfahren revolutionieren, erklärt Geschäftsleiter Reto Rüegger. «Ich weiss viel mehr über den Menschen, bevor ich ihn sehe.» Es brauche nur noch wenige Jahre, bis man diese Technologie einsetzen könne, ist sich Rüegger sicher. Bereits heute haben Schweizer Versicherungen und Detailhändler die Software getestet. Welche es sind, bleibt geheim.
Die Seele auf der Zunge
Kundinnen und Kunden anhand der Stimme entschlüsseln will auch die Münchner Firma Audeering. Ihre Anwendung analysiert den Gemütszustand der Kunden. Die Software erkennt in der Stimme, ob jemand traurig oder wütend ist. Ob die Person gut aufgelegt oder glücklich und zufrieden ist.
Was in der Psychologie entwickelt wurde, kommt heute geschäftlich zum Einsatz. Die Software weist beispielsweise einen Kundenberater darauf hin, wenn er einen Kunden beruhigen sollte oder ihm sogar entgegenkommen soll mit einem Angebot. Ein Schweizer Call-Center, das nicht genannt werden will, setzt diese Software bereits ein.
Kunden müssen explizit widersprechen
Je mehr Stimmenprofile erfasst werden, umso problematischer sei dies, warnt Cornelia Diethelm. Sie lehrt digitale Ethik an der Hochschule für Wirtschaft Zürich. Schliesslich handle es sich bei der Stimme um biometrische Daten.
Anders als in der EU müssen Unternehmen in der Schweiz nicht die explizite Einwilligung für Stimmprofile beim Kunden einholen. Bei Postfinance müssen Kunden ausdrücklich widersprechen, wenn sie nicht wollen, dass ihre Stimme gespeichert wird.
Diese sogenannte «Opt-Out»-Regelung erachtet Diethelm als problematisch: Von einem Einverständnis könne hier keine Rede sein. Postfinance will an dieser Widerspruchsregelung festhalten, bis das Datenschutzgesetz geändert wird.