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Arzneimittelreport Helsana-Experte: «Ein wenig Menge und ganz viel Preis»

Die Gesundheitskosten belaufen sich auf rund 92 Milliarden Franken. Ein Teil davon sind Medikamente. Letztes Jahr haben die Krankenkassen in der Grundversicherung 9 Milliarden für Medikamente ausgegeben, fast 6 Prozent mehr als im Vorjahr. Und so viel wie noch nie.

Warum sind die Medikamentenkosten gestiegen? Dafür gibt es verschiedene Gründe: mehr Patientinnen, mehr Medikamente pro Person und neue, teure Therapien. In den letzten Jahren hat sich das allgemeine Preisniveau von neuen Präparaten gemäss Helsana sogar verdoppelt. «Ein bisschen Menge und ganz viel Preis», schlussfolgern die Autoren des Arzneimittelreports.

Was hat der demografische Wandel mit den Medikamentenkosten zu tun? Menschen werden immer älter. Die Zahl der Personen über 65 ist im vergangenen Jahr um 2.3 Prozent gewachsen, während die ständige Wohnbevölkerung um 1.7 Prozent zugenommen hat. Mit dem Alter steigt auch der Bedarf an Medikamenten. Immer mehr Menschen brauchen also Medikamente, und viele nehmen nicht nur ein Medikament zu sich, sondern mehrere.

Welche Medikamente haben hohe Kosten verursacht? Krebs- und Immunsystemmittel haben mit 2.8 Milliarden Franken fast ein Drittel der gesamten Medikamentenkosten verursacht. Dabei machen sie nur 1.9 Prozent der Medikamentenbezüge aus. Die durchschnittlichen Jahreskosten der fünf teuersten Krebsmedikamente betrugen rund 90'000 Franken pro Patient.

Welche Kostenfolgen haben die neuen Diabetes- und Abnehmmedikamente? Medikamente mit dem neuen Wirkstoff Semaglutid (enthalten unter anderem im Diabetesmedikament Ozempic und dem Abnehmpräparat Wegovy) konnten häufig nicht termingerecht geliefert werden. Dennoch haben sie Kosten von mehr als 113 Millionen Franken verursacht. Das entspricht einem Plus von fast 40 Prozent. Insgesamt wuchsen die Ausgaben der Krankenkassen für Diabetesmedikamente auf rund 455 Millionen Franken. Bei den neuen Abnehmmedikamenten zeigt sich der Effekt, wonach neue Therapien ältere ersetzen: So haben Ärzte ältere Medikamente, die über die Jahre günstiger wurden, weniger oft verschrieben, da diese auch weniger effektiv sind.

Hohe Kosten – aber was ist mit dem Nutzen?

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Der Helsana-Report untersucht die Kosten der Medikamente, nicht aber den konkreten Nutzen der einzelnen Arzneien. Aus Sicht der Pharmaindustrie greift der Kostenblick zu kurz. «Wir finden es gesellschaftlich falsch, Innovationen in den Fokus der Kostendebatte zu stellen», sagt René Buholzer vom Pharmaverband Interpharma. Die Sterblichkeit bei Krebserkrankungen habe dank neuen Medikamenten in den letzten 10 Jahren um 25 Prozent gesenkt werden können. Der Blick auf die Kosten bilde den Nutzen nicht ab.

Rabatte ab einer gewissen Umsatzschwelle seien zwar aus Sicht der Pharmaindustrie ein mögliches Instrument, um dem Kostenwachstum entgegenzutreten. Doch im Gegenzug müssten neue Medikamente in der Schweiz schneller verfügbar werden, denn neue Therapien würden mit einem höheren Nutzen einhergehen.

Die Experten von Helsana hingegen sprechen von vielen «Schein-Innovationen». Eine politische Debatte, die sich um den Nutzen dreht, wird in der Schweiz kaum geführt. Im Zentrum stehen die Kosten. Auch die Helsana-Experten würden eine profunde, differenzierte Nutzen-Diskussion begrüssen.

Wie die Kosten in den Griff kriegen? Politisch diskutiert wird derzeit (im Rahmen des Kostendämpfungspakets 2) ein Mengenrabatt. Ab einer gewissen Umsatzschwelle sollen Pharmafirmen den Krankenkassen Rabatte gewähren respektive Kosten zurückerstatten. Die Experten von Helsana sehen darin einen Lösungsansatz. Auch der Pharma-Verband Interpharma bietet Hand, fordert im Gegenzug aber, dass die Preisverhandlungen bei neue Medikamenten zügiger angepackt werden. Die eigentlich definierten Fristen würden nicht eingehalten. Patienten werde dadurch der Zugang zu neueren, wirkungsvollen Medikamenten verwehrt. Weiteres Potenzial orten die Experten der Helsana bei Generika: zwei Drittel der ambulanten Medikamentenkosten entfallen auf Produkte ohne Nachahmerpräparate. Die Einführung von Generika in der Schweiz müsste attraktiver werden.

Wer entscheidet eigentlich, was ein Medikament kostet?

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Pharmafirmen können die Preise, die von der Grundversicherung vergütet werden, nicht frei wählen, sondern das Bundesamt für Gesundheit BAG setzt die Preise. Die Behörde bezieht dabei diverse Kriterien der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit in Betracht, konkret etwa den Vergleich mit Preisen im Ausland (Auslandspreisvergleich) sowie die Preise von ähnlichen Wirkstoffen (therapeutischer Quervergleich).

Das BAG überprüft die Preise alle drei Jahre. Medikamente in der Grundversicherung werden dadurch über die Jahre günstiger. Der Branchenverband Interpharma spricht von einer Reduktion von 46 Prozent über mehrere Jahre.

Gibt es kantonale Unterschiede? In Genf, Neuenburg und im Tessin sind die Medikamentenbezüge pro Person überdurchschnittlich hoch. Appenzell Innerrhoden, Obwalden, Uri und Zug haben die niedrigsten Werte. Das dürfte gemäss Helsana auch mit kulturellen Unterschieden zu tun haben: In der Zentral- und Ostschweiz seien Medikamente vermutlich zurückhaltender eingesetzt worden als im nationalen Durchschnitt.

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Die Krankenkasse Helsana hat zum 11. Mal den Arzneimittelreport publiziert. Er basiert auf Abrechnungsdaten von mehr als 2 Millionen Versicherten, die auf die Gesamtbevölkerung hochgerechnet werden. Die Autoren betonen, mit dem Report eine neutrale Darstellung einzunehmen, unabhängig vom Standpunkt der Krankenkasse, von Patientenorganisationen oder der Industrie. Ziel sei, eine fundierte Diskussion über die Entwicklung des Schweizer Gesundheitssystems anzuregen.

Echo der Zeit, 3.12.2024, 18:00 Uhr;kobt

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