Seit wenigen Tagen erst herrscht Klarheit. Schweizer Seilbahnen wissen, dass sie vorerst in eine Wintersaison ohne Zertifikatspflicht starten können. Und die österreichischen Betreiber haben eine 3G-Verordnung vorliegen. Sie müssen sicherstellen, dass keine Person, die nicht geimpft, genesen oder getestet ist, auf die Pisten gelangt.
Am 25. November soll es losgehen. Im schweizerischen Samnaun und im österreichischen Ischgl ist man sich bewusst: Es wird kompliziert.
Die beiden Wintersportorte verbindet seit 40 Jahren ein gemeinsames Skigebiet. Eine Kooperation, die für beide Seiten lange lukrativ war. Und für Wintersportler attraktiv: In Samnaun konnten sie zollfrei einkaufen, in Ischgl sich in die Après-Ski-Szene stürzen.
Wir müssen gute Miene zum bösen Spiel machen.
In der Silvretta-Arena, wie das binationale Skigebiet heisst, sind die Grenzen nicht wahrnehmbar, und das soll auch in diesem speziellen Winter so bleiben.
«Es ist selbstredend, dass die schärfstmögliche Regelung zum Zug kommt, sonst hätten die Kollegen in Österreich ein Problem», sagt Mario Jenal, Direktor der Samnauner Bergbahnen.
«Da müssen wir jetzt Hand bieten und gute Miene zum bösen Spiel machen.» Denn er stellt auch klar, dass er viel lieber jeden und jede in seine Seilbahnen lassen würde.
Stattdessen beschäftigt Mario Jenal sich nun damit, wie er die Kontrollen technisch sicherstellen soll und wie er den Schweizer Gästen vermitteln soll, dass sie hier ein Zertifikat brauchen und gleichzeitig in fast allen anderen Schweizer Skigebieten zertifikatsfrei fahren können. Ob das ein Wettbewerbsnachteil ist? Darüber mache er sich keine Gedanken.
Er will lieber die Vorteile herausstreichen. Auf 2600 Metern Höhe führt er durch das leere Panorama-Restaurant und sagt: «Wenn wir die Zertifikate schon beim Zutritt ins Skigebiet überprüfen, wäre das hier natürlich ein freies Bewegen.» Denn für die Gastronomie gälte ja ohnehin die 3G-Pflicht.
100'000 Franken Zusatzkosten
In Samnaun ist geplant, dass jeder einen Skipass kaufen kann und dieser an der Kasse entsprechend der Zertifikatsgültigkeit programmiert wird.
Wer kein Zertifikat besitzt, soll sich kostenlos vor der Seilbahn testen lassen können. Mario Jenal rechnet für Tests und Software bis zu 100'000 Franken Zusatzkosten.
Unbedingt verhindern will er eine Saison wie im letzten Jahr: Weil die Unterschiede bei den Covid-Massnahmen zwischen der Schweiz und Österreich zu gross war, entschied sich Ischgl, sein Skigebiet nicht zu öffnen.
Samnaun verzeichnete an Spitzentagen nur rund ein Zehntel des sonstigen Betriebs. Auf österreichischer Seite liegt der Grossteil des gemeinsamen Skigebiets, und Ischgl hat fünf Mal so viele Fremdenbetten wie Samnaun.
Mario Jenal sagt: «Wir haben unsere Infrastruktur darauf aufgebaut, dass wir 20'000 Gäste pro Tag befördern können und nicht nur die 2000 oder die 2500 aus Samnaun. Wenn wir nur im Samnauner Gebiet Leute befördern müssten, bräuchten wir nicht so viele Anlagen, wie wir haben.»
Ischgl versucht Imageschaden zu begrenzen
Auf der anderen Seite des Berges ist man ebenfalls damit beschäftigt, den Skibetrieb 3G-konform zu machen – und zwar auf Verordnung der Regierung. Bergbahn-Vorstand Günther Zangerl spricht von einem Umsatzverlust von 100 Millionen Euro seit der Pandemie.
Das wird möglicherweise der wichtigste Winter, den wir jemals hatten.
Letzte Saison habe man in Ischgl mehrmals kurz vor der Eröffnung gestanden: «Wir haben beschneit, wir haben die Pisten präpariert. Aber letztlich waren die Bedingungen, zu denen wir hätten aufsperren dürfen, und zusätzlich die Schwierigkeit, die Grenze zu managen, doch so grosse Hürden, dass wir gesagt haben: Es macht einfach keinen Sinn.»
Die Schweiz und Österreich hätten sich bis ins Detail in ihren Vorgaben unterschieden: «Angefangen von Mindestabständen, den Kapazitätsbeschränkungen, wie eine Gastronomie zu betreiben ist, welche Masken die Gäste tragen müssen - hier gab es überall Unterschiede», sagt Günther Zangerl.
«Das Hauptproblem waren aber die Quarantäne-Bestimmungen. Das heisst, Gäste von Ischgl, die nach Samnaun gewechselt wären, hätten bei der Rückkehr sogar in Quarantäne müssen.» Vor diesem Hintergrund findet er es in diesem Jahr deutlich unkomplizierter.
In einem Monat sollen Skifahrer und Snowboarderinnen wieder auf die Piste können. «Das wird möglicherweise der wichtigste Winter, den wir jemals hatten», sagt Günther Zangerl. Vor der Tür steht die erste Saison, seitdem Ischgl 2020 weltweit für Schlagzeilen sorgte.
Tausende Wintersportler sollen sich beim Après-Ski mit Covid-19 infiziert haben. Derzeit laufen Gerichtsprozesse über die Verantwortlichkeiten. Günther Zangerl: «Das heisst, dass wir uns bewusst sein müssen, dass auf uns besonders genau geschaut werden wird.»
Ischgl gibt sich derzeit Mühe, ein geläutertes Bild abzugeben. Das Konzert zu Saisonbeginn wird zu 2G-Bedingungen stattfinden. «Wir haben auch bewusst gesagt, das Konzert soll nicht mit der typischen Partymusik in Zusammenhang stehen und haben heuer auf eine andere Art Musik gesetzt.» Das neue Setting solle signalisieren, dass man nicht da weitermache, wo man aufgehört habe.
Statt Lenny Kravitz oder Helene Fischer auf dem Gipfel gibt es italienischen Pop der italienischen Band «Il Volo» und der Sängerin Alice unten im Ort. Und 2G ist auch für die Après-Ski-Bars im Gespräch.
Mario Jenal wird sich der Saubermann-Strategie von Ischgl fügen müssen – nicht nur, weil man sich kennt, zusammenarbeitet und die Ischgler Teilhaber der Samnauner Bergbahn sind. Sondern aus handfesten eigenen Interessen: «Weil wir ein gemeinsames Skigebiet sind, haben wir natürlich die grössten Interessen, uns solidarisch zu erklären.»
Nicht, dass am Ende Ischgl wieder negative Schlagzeilen mache – «nicht nur Ischgl, sondern das Skigebiet Ischgl-Samnaun».
Eine offene Frage bleibt allerdings: Darf eine Schweizer Seilbahn 3G zur Zutrittsbedingung machen? Seilbahnen haben, genauso wie Züge, eine Beförderungspflicht. Die Antwort darauf will Mario Jenal so rasch wie möglich klären. Denn: Ein Verbot, 3G einzuführen und das Skigebiet aufteilen zu müssen, «wäre die schlimmstmögliche Variante».