Der sogenannte Black Friday geht los und mit ihm die jährliche Rabattschlacht. Warum wir auch in Zeiten von Nachhaltigkeit auf solche Marketing-Gags anspringen, erklärt Wirtschaftspsychologe Christian Fichter.
SRF News: Woher kommt es, dass wir Menschen von solchen Schnäppchenkäufen angezogen werden?
Christian Fichter: Wir sind von Natur aus gemacht zum Schnäppchenjagen. Wenn sich uns eine günstige Gelegenheit bietet, nutzen wir diese. Das war schon vor 10'000 Jahren so. Lief uns damals eine Antilope über den Weg, überlegten wir nicht zweimal, ob wir sie erlegen sollten oder nicht.
Früher jagte man lieber zu viel, als zu wenig. Diese Denkweise ist immer noch in uns drin.
Unsere Vorfahren mussten schnell und kurzfristig handeln. Sprang die Antilope weg, konnten wir verhungern. Früher jagte man lieber zu viel, als zu wenig. Diese Denkweise ist immer noch in uns drin.
Und die Anbieter wissen das und nutzen unseren Jagdinstinkt aus?
Genau. Und sie wissen auch, wie sie etwas als Schnäppchen aussehen lassen können. Da ist zum einen der Zeitdruck: Man hat nur in einer gewissen Zeit die Chance, ein Schnäppchen zu kaufen. Dazu kommt der soziale Druck: Wenn alle am Einkaufen sind, hat man das Gefühl, dass man auch einkaufen muss. Und dann kommen die Signalreize: Preise, die auf dem Schild durchgestrichen sind oder anstelle von 10 Franken 9.95 Franken steht. All dies weckt unseren Jagdinstinkt.
Welche psychologischen Effekte laufen bei einem erfolgreichen Schnäppchenkauf ab?
Sobald wir ein Schnäppchen gekauft haben, stösst unser Gehirn Glückshormone aus und belohnt uns. Danach kommt aber bald die Ernüchterung. Die Wissenschaft spricht hier auch von zwei Hirnsystemen. Das erste Hirnsystem handelt schnell und emotional. Es hilft uns, in brenzligen Situationen schnell agieren zu können. Das zweite Hirnsystem, welches nach dem Kauf einsetzt, beurteilt die Situation rational. Oft merken wir dann, dass wir das Konsumgut eigentlich nicht brauchen.
Was können wir tun, um resistent zu bleiben?
Wir sollten uns über diese zwei Hirnsysteme bewusst werden und lernen, mit ihnen umzugehen. Schnelle Entscheide stellen sich im Nachhinein oft als schlecht heraus, weil wir in diesen Situationen emotional und nicht rational handeln. Dieses erste Hirnsystem ist für uns überlebenswichtig, aber gleichzeitig auch schwierig zu kontrollieren. Wenn wir das wissen, können wir in gewissen Situationen anders reagieren.
Ist es nicht ein Widerspruch, wenn man heute von mehr Nachhaltigkeit spricht und gleichzeitig der Black Friday so beliebt ist?
Ja, das Leben ist ein einziger Widerspruch. Unsere Einstellungen und unser Verhalten sind nicht immer deckungsgleich. Die einen wollen das Klima schützen und gleichzeitig schöne Kleider tragen.
Im Moment des Shoppens liegt die Kaufentscheidung im Vordergrund und nicht die Herstellung.
Wir haben diesen Kampf in uns drin. Aber es gibt immer mehr Anbieter, die versuchen, diese zwei Einstellungen kompatibel zu machen – beispielsweise Secondhand-Läden.
Unfaire Arbeitsbedingungen in den Herstellungsländern ermöglichen es den Händlern, Black-Friday-Deals anzubieten. Verschliesst die Gesellschaft die Augen vor diesen Fakten?
Im Moment des Shoppens steht die Kaufentscheidung im Vordergrund und nicht die Herstellung. Aber den Leuten ist es nicht egal. Da hat sich in den letzten 30 Jahren viel getan. Staatliche und nicht-staatliche Organisationen haben Massnahmen ergriffen und es gibt Selbstkontrollinstanzen. Dies ist auch effektiver als von den Konsumenten zu erwarten, beim Einkaufen immer moralisch zu handeln. Wir Menschen sind dafür nicht gemacht.
Das Gespräch führte Cindy Schneeberger.