Ob Luxusmarke oder Discounter, Kaffeeproduzent oder Ölkonzern: Sie alle kompensierten CO₂-Emissionen mit einem Waldgebiet in Simbabwe. «Kariba» nennt sich eines der grössten Kompensationsprojekte der Welt. Rund 40 Millionen Tonnen CO₂ soll es schon eingespart haben. Firmen konnten sich mit Kariba-Zertifikaten «klimaneutral» kaufen. Berechnet und vermarktet wird es von South Pole, dem Schweizer Weltmarktführer für CO₂-Kompensationen.
Doch nun ist das Projekt in Bedrängnis. Letzte Woche verkündete der Modekonzern Gucci gegenüber dem Guardian, man habe die Zusammenarbeit mit South Pole beendet. Die gesamte versprochene Klimaneutralität Guccis basierte zuletzt auf dem Wald in Simbabwe. Auch auf den Webseiten von Nespresso, Lavazza oder Booking.com sind Hinweise auf das Projekt verschwunden. Das Filmfestival in Cannes, das derzeit läuft, überprüft, ob es weiterhin mit Kariba kompensieren will. Grund könnten Zweifel an der Wirksamkeit sein.
Kompensationen müssten nach-kompensiert werden
Kariba basiert auf einer steilen Prognose: Dass die Wälder in einem Gebiet, das grösser ist als der Kanton Graubünden, in dreissig Jahren vollständig zerstört würden, wenn der lokalen Bevölkerung nicht Praktiken wie nachhaltige Landwirtschaft oder Brandbekämpfung beigebracht werden. Die so angeblich verhinderten CO₂-Emissionen wurden als Zertifikate verkauft.
Dass das Projekt überbewertet sein könnte, räumt mittlerweile auch South Pole ein. Gegenüber der ZEIT und der niederländischen Investigativplattform Follow The Money sagte das Unternehmen, man vermute, dass die Prognose um 50 Prozent überschätzt war. Die Neuberechnung sei aber noch nicht abgeschlossen. Experten halten selbst diese Zahl für zu optimistisch. South Pole sah darin bislang aber kein Problem.
«Selbst wenn wir ein paar Tonnen zu viel verkauft haben, gleicht sich das in den nächsten Jahren wieder aus», beschwichtigte South-Pole-CEO Renat Heuberger in einem Interview mit der Wochenzeitung. Sollten sich verkaufte Kompensationen als wirkungslos herausstellen, könne man diese mit neuen Zertifikaten, die Kariba in Zukunft generieren soll, quasi nach-kompensieren, hofft man bei South Pole. Dieser selbstkorrigierende Mechanismus sei von Anfang an Teil des Plans gewesen.
Simbabwe erklärt Projekte für «null und nichtig»
Doch nun steht infrage, ob das Projekt überhaupt wie geplant weitergehen kann. Letzte Woche kündigte die Regierung Simbabwes überraschend an, private Kompensationsprojekte im Land für «null und nichtig» zu erklären. Mindestens die Hälfte ihrer Einnahmen müssten künftig an den Staat gehen, so Informationsministerin Monica Mutsvangwa. Mit den neuen Regeln wolle man die Transparenz auf dem Markt erhöhen und sicherstellen, dass die lokale Bevölkerung wirtschaftlich davon profitiert. Ausländische Firmen dürften höchstens dreissig Prozent einbehalten. Davon wären auch Kariba und South Pole betroffen. Die Projektinhaber haben nun zwei Monate Zeit, um ihre Verträge anzupassen.
«Wir prüfen derzeit die Auswirkungen, die diese neue potenzielle Regelung auf das Kariba REDD+ Projekt und die lokalen Gemeinschaften haben könnte», sagt South Pole gegenüber SRF. Es handle sich um eine Ankündigung der Regierung Simbabwes – jetzt müsse man das konkrete Gesetz abwarten. Ausserdem hält South Pole fest, dass «Kariba über 750'000 Hektar Wald geschützt hat und den vielen Tausend Menschen, die im Projektgebiet und darüber hinaus leben, spürbare Vorteile brachte». Jedes verkaufte Zertifikat habe einen «positiven, verifizierten Einfluss auf das Klima».
Für Axel Michaelowa, Forscher für internationale Klimapolitik an der Uni Zürich und Klimaschutzberater bei Perspectives, ist der Entscheid Simbabwes «starker Tobak». Damit mache sich Simbabwe am Markt unbeliebt – und für South Pole sei der Geldsegen aus dieser Quelle im Moment vorbei. Aber es könne sich so für die Firma auch eine Gelegenheit bieten, das umstrittene Projekt ohne viele Abschreiber zu beerdigen. Denn der Preis für Waldschutz-Zertifikate sei stark gefallen. Aber so lange noch Geld für Zertifikate bezahlt werde, sei das besser, als wenn gar nichts mehr passiere.
Die Turbulenzen rund um das Kariba-Projekt sind nur ein weiterer Schlag für den milliardenschweren Kompensationsmarkt in den letzten Wochen. Nicht nur Firmen wie Gucci nehmen inzwischen Abstand. Die Schweizer Stiftung MyClimate will künftig nicht mehr von «Kompensation» oder «Klimaneutralität» sprechen, sondern beispielsweise von «Klimaschutzbeitrag».